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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Münchner Plaudereien

Die englische Vorstellung, die Ergebnisse der Dienste als Güter auf¬
zufassen, die in ihrer Entstehung sogleich auch verzehrt werden, zeigt sich
als irrig, da sie lediglich zu auflösenden, vereinzelnden und streng materia¬
listischen Folgerungen führt. Daß alle Kultur- und Lebensverhältnisse der
Völker auch auf die Ergebnisse der gewerblichen Thätigkeit einen starken Ein¬
fluß üben und umgekehrt, ist richtig; falsch ist es aber, daraus zu schließen, daß
sich in dieser Einwirkung, in der ökonomischen Seite, die sie als Erwerbsquelle
hat, das eigentliche Wesen jeder menschlichen Thätigkeit, jedes Strebens erschöpft.
Auch ist der zufällige Einfluß, den die Dienste, z. B. des Arztes, aus die
Produktion üben, gewiß nicht der Grund, weshalb sie gesucht und belohnt
werden. Kein Mensch läßt sich heilen, um Tuch machen zu können, sondern
der Weber macht Tuch, um sich nötigenfalls unter anderm auch heilen lassen
zu können, und niemand erzieht seine Kinder, damit sie dereinst wollene Zeuge
Produziren.

Die englische Einteilung menschlicher Thätigkeit in materielle und im¬
materielle Produktion ist also verkehrt, weil Gleichartiges hierbei auseinander¬
gerissen und Ungleichartiges zusammengestellt wird; Bernhardi setzt an ihre
Stelle die Einteilung in Produktion, die nur der Wohlfahrt des Einzelnen
dient, und Produktion für die allgemeine Wohlfahrt oder für die Zukunft.

(Schluß folgt)




Münchner Plaudereien

reißig Feuilletons aus Münchner Zeitungen bilden eine Neue
Folge der Harmlosen Plaudereien eines alten Münchners
(München, Beck), deren erste Abteilung schon 1891 erschienen ist;
beide sind ausgezeichnet durch den Geist des Plauderers, sein
ungewöhnliches Erzählertalent und einen seltnen Reichtum an
Erlebnissen. Wer einen Weg durchs Leben gemacht hat, wie der Freiherr
Otto von Völderndorff, kann freilich etwas erzählen, und wenn er es
dann in einer so gewinnenden, anspruchslosen und natürlichen Weise thut, daß
man über dem Interesse an den Sachen die Bedeutung der Person beinahe
vergißt, dann schuldet ihm ein Berichterstatter vor allen Dingen die unum-
wundne Anerkennung einer in dieser leichtern Gattung ganz hervorragenden
schriftstellerischen Leistung. Mit diesen Plaudereien können wir getrost vor
unsre Nachbarn jenseits des Rheins hintreten, die darin Meister sind; besseres


Münchner Plaudereien

Die englische Vorstellung, die Ergebnisse der Dienste als Güter auf¬
zufassen, die in ihrer Entstehung sogleich auch verzehrt werden, zeigt sich
als irrig, da sie lediglich zu auflösenden, vereinzelnden und streng materia¬
listischen Folgerungen führt. Daß alle Kultur- und Lebensverhältnisse der
Völker auch auf die Ergebnisse der gewerblichen Thätigkeit einen starken Ein¬
fluß üben und umgekehrt, ist richtig; falsch ist es aber, daraus zu schließen, daß
sich in dieser Einwirkung, in der ökonomischen Seite, die sie als Erwerbsquelle
hat, das eigentliche Wesen jeder menschlichen Thätigkeit, jedes Strebens erschöpft.
Auch ist der zufällige Einfluß, den die Dienste, z. B. des Arztes, aus die
Produktion üben, gewiß nicht der Grund, weshalb sie gesucht und belohnt
werden. Kein Mensch läßt sich heilen, um Tuch machen zu können, sondern
der Weber macht Tuch, um sich nötigenfalls unter anderm auch heilen lassen
zu können, und niemand erzieht seine Kinder, damit sie dereinst wollene Zeuge
Produziren.

Die englische Einteilung menschlicher Thätigkeit in materielle und im¬
materielle Produktion ist also verkehrt, weil Gleichartiges hierbei auseinander¬
gerissen und Ungleichartiges zusammengestellt wird; Bernhardi setzt an ihre
Stelle die Einteilung in Produktion, die nur der Wohlfahrt des Einzelnen
dient, und Produktion für die allgemeine Wohlfahrt oder für die Zukunft.

(Schluß folgt)




Münchner Plaudereien

reißig Feuilletons aus Münchner Zeitungen bilden eine Neue
Folge der Harmlosen Plaudereien eines alten Münchners
(München, Beck), deren erste Abteilung schon 1891 erschienen ist;
beide sind ausgezeichnet durch den Geist des Plauderers, sein
ungewöhnliches Erzählertalent und einen seltnen Reichtum an
Erlebnissen. Wer einen Weg durchs Leben gemacht hat, wie der Freiherr
Otto von Völderndorff, kann freilich etwas erzählen, und wenn er es
dann in einer so gewinnenden, anspruchslosen und natürlichen Weise thut, daß
man über dem Interesse an den Sachen die Bedeutung der Person beinahe
vergißt, dann schuldet ihm ein Berichterstatter vor allen Dingen die unum-
wundne Anerkennung einer in dieser leichtern Gattung ganz hervorragenden
schriftstellerischen Leistung. Mit diesen Plaudereien können wir getrost vor
unsre Nachbarn jenseits des Rheins hintreten, die darin Meister sind; besseres


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[0214] Münchner Plaudereien Die englische Vorstellung, die Ergebnisse der Dienste als Güter auf¬ zufassen, die in ihrer Entstehung sogleich auch verzehrt werden, zeigt sich als irrig, da sie lediglich zu auflösenden, vereinzelnden und streng materia¬ listischen Folgerungen führt. Daß alle Kultur- und Lebensverhältnisse der Völker auch auf die Ergebnisse der gewerblichen Thätigkeit einen starken Ein¬ fluß üben und umgekehrt, ist richtig; falsch ist es aber, daraus zu schließen, daß sich in dieser Einwirkung, in der ökonomischen Seite, die sie als Erwerbsquelle hat, das eigentliche Wesen jeder menschlichen Thätigkeit, jedes Strebens erschöpft. Auch ist der zufällige Einfluß, den die Dienste, z. B. des Arztes, aus die Produktion üben, gewiß nicht der Grund, weshalb sie gesucht und belohnt werden. Kein Mensch läßt sich heilen, um Tuch machen zu können, sondern der Weber macht Tuch, um sich nötigenfalls unter anderm auch heilen lassen zu können, und niemand erzieht seine Kinder, damit sie dereinst wollene Zeuge Produziren. Die englische Einteilung menschlicher Thätigkeit in materielle und im¬ materielle Produktion ist also verkehrt, weil Gleichartiges hierbei auseinander¬ gerissen und Ungleichartiges zusammengestellt wird; Bernhardi setzt an ihre Stelle die Einteilung in Produktion, die nur der Wohlfahrt des Einzelnen dient, und Produktion für die allgemeine Wohlfahrt oder für die Zukunft. (Schluß folgt) Münchner Plaudereien reißig Feuilletons aus Münchner Zeitungen bilden eine Neue Folge der Harmlosen Plaudereien eines alten Münchners (München, Beck), deren erste Abteilung schon 1891 erschienen ist; beide sind ausgezeichnet durch den Geist des Plauderers, sein ungewöhnliches Erzählertalent und einen seltnen Reichtum an Erlebnissen. Wer einen Weg durchs Leben gemacht hat, wie der Freiherr Otto von Völderndorff, kann freilich etwas erzählen, und wenn er es dann in einer so gewinnenden, anspruchslosen und natürlichen Weise thut, daß man über dem Interesse an den Sachen die Bedeutung der Person beinahe vergißt, dann schuldet ihm ein Berichterstatter vor allen Dingen die unum- wundne Anerkennung einer in dieser leichtern Gattung ganz hervorragenden schriftstellerischen Leistung. Mit diesen Plaudereien können wir getrost vor unsre Nachbarn jenseits des Rheins hintreten, die darin Meister sind; besseres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/214>, abgerufen am 24.07.2024.