Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rünstlerpostkarten

holen. Es ist eine seltsame Verbindung von philisterhafter Selbsttäuschung
und französischer Überhebung, die sie befangen machte. Dem unparteiischen
Beobachter aber, der heute aus Baden oder der Pfalz oder von der Saar ins
Elsaß kommt, ist es nicht zweifelhaft, daß dort drüben eine kräftigere Luft die
Nerven stählt und die Augen Heller macht. Ein bald dreißigjähriges Schmollen
bedeutet eben einen gewaltigen Verlust an Schwung und Thatkraft. Die männ¬
lichen Eigenschaften gehen unter weibischer Empfindlichkeit und Launenhaftigkeit
unter. An die Stelle der offnen Aussprache tritt der Klatsch. Man stichelt
auf die Plumpheit, Geschmacklosigkeit, Rauheit der deutschen Sitten und über¬
sieht dabei das wesentlichste, daß wir als das männlichere, durch Selbstzucht
kräftigere, mit ernsten Aufgaben beschäftigte Volk dem verweichlichten, eines
klaren Blickes in seine Zukunft baren Volke gegenübertreten.

Ein gebildeter Bürger im Unterelsaß zeichnete, ohne es zu wissen, sich
und seine Landsleute, indem er von den Franzosen mit feiner Beobachtung
fügte: "Der Franzos isch darin komisch, er isch zu ängstlich. Beim kleinste
0v8eg,o1<z, das er uf seim Wäg findt, retirirt er. Der Dütsche gobe xmr toros
drüber weg. Li'sse Is, raison: der Edmond About us Paris verkauft sein
Ferne unterm Preis und gobe hinter die Vogese zruck." Der leise Tadel war
mir ebenso interessant in diesen Sätzen, wie die Sympathie des stark fühlenden
Mannes für den schwachen. Viele Elsässer schützten eben an den Franzosen
gerade eine Art von Schlaffheit, die die Dinge gehen läßt, wie sie gehen, das
gerade Gegenteil der preußischen Schroffheit und Rastlosigkeit. Es lebte sich
so leicht damit. Jetzt hoffen sie sich in einem reichslündischen Sonderdasein
etwas von diesem Stillleben zu erhalten, und der Ruf: Das Elsaß den El-
sässern! hat bei der Masse keinen edlern Sinn. Aber die Regierenden in
Straßburg werden hoffentlich nach so vielen Enttäuschungen einsehen, daß das
ein ganz andrer Partikularismus wäre als der, dem wir sonst in Deutschland
geneigt sind, ein Daseinsrecht zuzugestehen, und dessen sich einst auch unsre
Landsleute zwischen Rhein und Vogesen erfreuen mögen.




Künstlerpostkarten

er A sagt, muß auch B sagen, und so gebe ich den Postkarten¬
sammlern unter unsern Lesern wieder Bericht über das, was der
Markt Neues gebracht hat. Vor einem Jahre wurde die Manie,
illustrirte Postkarten herzustellen und zu verschicken, allgemein. Wer
den Anfang gemacht hat, das hüllt sich schon in den Schleier der
Vergangenheit; ich glaube, es war das Hofbräuhaus, wo man schon
seit einigen Jahren derlei angeboten bekam, was beim Frühschoppen abzusenden
meist mehr Vergnügen bereitete als der Empfang, denn es war meist schauerlich.
Plötzlich sing es aber überall an hervorzubrechen und zu rieseln und schließlich
wie ein Strom heranzuschwemmen. Ein Narr macht viele, sagte man sich,
wenn man das Zeug sah und beobachtete, Wie es zu Tausenden gekauft und


Rünstlerpostkarten

holen. Es ist eine seltsame Verbindung von philisterhafter Selbsttäuschung
und französischer Überhebung, die sie befangen machte. Dem unparteiischen
Beobachter aber, der heute aus Baden oder der Pfalz oder von der Saar ins
Elsaß kommt, ist es nicht zweifelhaft, daß dort drüben eine kräftigere Luft die
Nerven stählt und die Augen Heller macht. Ein bald dreißigjähriges Schmollen
bedeutet eben einen gewaltigen Verlust an Schwung und Thatkraft. Die männ¬
lichen Eigenschaften gehen unter weibischer Empfindlichkeit und Launenhaftigkeit
unter. An die Stelle der offnen Aussprache tritt der Klatsch. Man stichelt
auf die Plumpheit, Geschmacklosigkeit, Rauheit der deutschen Sitten und über¬
sieht dabei das wesentlichste, daß wir als das männlichere, durch Selbstzucht
kräftigere, mit ernsten Aufgaben beschäftigte Volk dem verweichlichten, eines
klaren Blickes in seine Zukunft baren Volke gegenübertreten.

Ein gebildeter Bürger im Unterelsaß zeichnete, ohne es zu wissen, sich
und seine Landsleute, indem er von den Franzosen mit feiner Beobachtung
fügte: „Der Franzos isch darin komisch, er isch zu ängstlich. Beim kleinste
0v8eg,o1<z, das er uf seim Wäg findt, retirirt er. Der Dütsche gobe xmr toros
drüber weg. Li'sse Is, raison: der Edmond About us Paris verkauft sein
Ferne unterm Preis und gobe hinter die Vogese zruck." Der leise Tadel war
mir ebenso interessant in diesen Sätzen, wie die Sympathie des stark fühlenden
Mannes für den schwachen. Viele Elsässer schützten eben an den Franzosen
gerade eine Art von Schlaffheit, die die Dinge gehen läßt, wie sie gehen, das
gerade Gegenteil der preußischen Schroffheit und Rastlosigkeit. Es lebte sich
so leicht damit. Jetzt hoffen sie sich in einem reichslündischen Sonderdasein
etwas von diesem Stillleben zu erhalten, und der Ruf: Das Elsaß den El-
sässern! hat bei der Masse keinen edlern Sinn. Aber die Regierenden in
Straßburg werden hoffentlich nach so vielen Enttäuschungen einsehen, daß das
ein ganz andrer Partikularismus wäre als der, dem wir sonst in Deutschland
geneigt sind, ein Daseinsrecht zuzugestehen, und dessen sich einst auch unsre
Landsleute zwischen Rhein und Vogesen erfreuen mögen.




Künstlerpostkarten

er A sagt, muß auch B sagen, und so gebe ich den Postkarten¬
sammlern unter unsern Lesern wieder Bericht über das, was der
Markt Neues gebracht hat. Vor einem Jahre wurde die Manie,
illustrirte Postkarten herzustellen und zu verschicken, allgemein. Wer
den Anfang gemacht hat, das hüllt sich schon in den Schleier der
Vergangenheit; ich glaube, es war das Hofbräuhaus, wo man schon
seit einigen Jahren derlei angeboten bekam, was beim Frühschoppen abzusenden
meist mehr Vergnügen bereitete als der Empfang, denn es war meist schauerlich.
Plötzlich sing es aber überall an hervorzubrechen und zu rieseln und schließlich
wie ein Strom heranzuschwemmen. Ein Narr macht viele, sagte man sich,
wenn man das Zeug sah und beobachtete, Wie es zu Tausenden gekauft und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0646" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228282"/>
          <fw type="header" place="top"> Rünstlerpostkarten</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1881" prev="#ID_1880"> holen. Es ist eine seltsame Verbindung von philisterhafter Selbsttäuschung<lb/>
und französischer Überhebung, die sie befangen machte. Dem unparteiischen<lb/>
Beobachter aber, der heute aus Baden oder der Pfalz oder von der Saar ins<lb/>
Elsaß kommt, ist es nicht zweifelhaft, daß dort drüben eine kräftigere Luft die<lb/>
Nerven stählt und die Augen Heller macht. Ein bald dreißigjähriges Schmollen<lb/>
bedeutet eben einen gewaltigen Verlust an Schwung und Thatkraft. Die männ¬<lb/>
lichen Eigenschaften gehen unter weibischer Empfindlichkeit und Launenhaftigkeit<lb/>
unter. An die Stelle der offnen Aussprache tritt der Klatsch. Man stichelt<lb/>
auf die Plumpheit, Geschmacklosigkeit, Rauheit der deutschen Sitten und über¬<lb/>
sieht dabei das wesentlichste, daß wir als das männlichere, durch Selbstzucht<lb/>
kräftigere, mit ernsten Aufgaben beschäftigte Volk dem verweichlichten, eines<lb/>
klaren Blickes in seine Zukunft baren Volke gegenübertreten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1882"> Ein gebildeter Bürger im Unterelsaß zeichnete, ohne es zu wissen, sich<lb/>
und seine Landsleute, indem er von den Franzosen mit feiner Beobachtung<lb/>
fügte: &#x201E;Der Franzos isch darin komisch, er isch zu ängstlich. Beim kleinste<lb/>
0v8eg,o1&lt;z, das er uf seim Wäg findt, retirirt er. Der Dütsche gobe xmr toros<lb/>
drüber weg. Li'sse Is, raison: der Edmond About us Paris verkauft sein<lb/>
Ferne unterm Preis und gobe hinter die Vogese zruck." Der leise Tadel war<lb/>
mir ebenso interessant in diesen Sätzen, wie die Sympathie des stark fühlenden<lb/>
Mannes für den schwachen. Viele Elsässer schützten eben an den Franzosen<lb/>
gerade eine Art von Schlaffheit, die die Dinge gehen läßt, wie sie gehen, das<lb/>
gerade Gegenteil der preußischen Schroffheit und Rastlosigkeit. Es lebte sich<lb/>
so leicht damit. Jetzt hoffen sie sich in einem reichslündischen Sonderdasein<lb/>
etwas von diesem Stillleben zu erhalten, und der Ruf: Das Elsaß den El-<lb/>
sässern! hat bei der Masse keinen edlern Sinn. Aber die Regierenden in<lb/>
Straßburg werden hoffentlich nach so vielen Enttäuschungen einsehen, daß das<lb/>
ein ganz andrer Partikularismus wäre als der, dem wir sonst in Deutschland<lb/>
geneigt sind, ein Daseinsrecht zuzugestehen, und dessen sich einst auch unsre<lb/>
Landsleute zwischen Rhein und Vogesen erfreuen mögen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Künstlerpostkarten</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1883" next="#ID_1884"> er A sagt, muß auch B sagen, und so gebe ich den Postkarten¬<lb/>
sammlern unter unsern Lesern wieder Bericht über das, was der<lb/>
Markt Neues gebracht hat. Vor einem Jahre wurde die Manie,<lb/>
illustrirte Postkarten herzustellen und zu verschicken, allgemein. Wer<lb/>
den Anfang gemacht hat, das hüllt sich schon in den Schleier der<lb/>
Vergangenheit; ich glaube, es war das Hofbräuhaus, wo man schon<lb/>
seit einigen Jahren derlei angeboten bekam, was beim Frühschoppen abzusenden<lb/>
meist mehr Vergnügen bereitete als der Empfang, denn es war meist schauerlich.<lb/>
Plötzlich sing es aber überall an hervorzubrechen und zu rieseln und schließlich<lb/>
wie ein Strom heranzuschwemmen. Ein Narr macht viele, sagte man sich,<lb/>
wenn man das Zeug sah und beobachtete, Wie es zu Tausenden gekauft und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0646] Rünstlerpostkarten holen. Es ist eine seltsame Verbindung von philisterhafter Selbsttäuschung und französischer Überhebung, die sie befangen machte. Dem unparteiischen Beobachter aber, der heute aus Baden oder der Pfalz oder von der Saar ins Elsaß kommt, ist es nicht zweifelhaft, daß dort drüben eine kräftigere Luft die Nerven stählt und die Augen Heller macht. Ein bald dreißigjähriges Schmollen bedeutet eben einen gewaltigen Verlust an Schwung und Thatkraft. Die männ¬ lichen Eigenschaften gehen unter weibischer Empfindlichkeit und Launenhaftigkeit unter. An die Stelle der offnen Aussprache tritt der Klatsch. Man stichelt auf die Plumpheit, Geschmacklosigkeit, Rauheit der deutschen Sitten und über¬ sieht dabei das wesentlichste, daß wir als das männlichere, durch Selbstzucht kräftigere, mit ernsten Aufgaben beschäftigte Volk dem verweichlichten, eines klaren Blickes in seine Zukunft baren Volke gegenübertreten. Ein gebildeter Bürger im Unterelsaß zeichnete, ohne es zu wissen, sich und seine Landsleute, indem er von den Franzosen mit feiner Beobachtung fügte: „Der Franzos isch darin komisch, er isch zu ängstlich. Beim kleinste 0v8eg,o1<z, das er uf seim Wäg findt, retirirt er. Der Dütsche gobe xmr toros drüber weg. Li'sse Is, raison: der Edmond About us Paris verkauft sein Ferne unterm Preis und gobe hinter die Vogese zruck." Der leise Tadel war mir ebenso interessant in diesen Sätzen, wie die Sympathie des stark fühlenden Mannes für den schwachen. Viele Elsässer schützten eben an den Franzosen gerade eine Art von Schlaffheit, die die Dinge gehen läßt, wie sie gehen, das gerade Gegenteil der preußischen Schroffheit und Rastlosigkeit. Es lebte sich so leicht damit. Jetzt hoffen sie sich in einem reichslündischen Sonderdasein etwas von diesem Stillleben zu erhalten, und der Ruf: Das Elsaß den El- sässern! hat bei der Masse keinen edlern Sinn. Aber die Regierenden in Straßburg werden hoffentlich nach so vielen Enttäuschungen einsehen, daß das ein ganz andrer Partikularismus wäre als der, dem wir sonst in Deutschland geneigt sind, ein Daseinsrecht zuzugestehen, und dessen sich einst auch unsre Landsleute zwischen Rhein und Vogesen erfreuen mögen. Künstlerpostkarten er A sagt, muß auch B sagen, und so gebe ich den Postkarten¬ sammlern unter unsern Lesern wieder Bericht über das, was der Markt Neues gebracht hat. Vor einem Jahre wurde die Manie, illustrirte Postkarten herzustellen und zu verschicken, allgemein. Wer den Anfang gemacht hat, das hüllt sich schon in den Schleier der Vergangenheit; ich glaube, es war das Hofbräuhaus, wo man schon seit einigen Jahren derlei angeboten bekam, was beim Frühschoppen abzusenden meist mehr Vergnügen bereitete als der Empfang, denn es war meist schauerlich. Plötzlich sing es aber überall an hervorzubrechen und zu rieseln und schließlich wie ein Strom heranzuschwemmen. Ein Narr macht viele, sagte man sich, wenn man das Zeug sah und beobachtete, Wie es zu Tausenden gekauft und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/646
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/646>, abgerufen am 26.12.2024.