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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Siidwestdentsche Wanderungen

mit Heinzels Schlußworten: "Das Ganze der Stücke wurde durch Assoziationen
als schön empfunden: weil der Stoff ein christlich-moralischer war, weil die
Aufführung ein seltnes Stadtfest bedeutete -- durch Suggestion, weil die
Ältern wohl den Jüngern von der Herrlichkeit einer solchen Schaustellung mit
Worten und Geberden des Wohlgefallens werden gesprochen haben."


R. w.


^üdwestdeutsche Wanderungen
3

or der Sägmühle an der Landstraße, die sich nach dem grauen
ummauerten Pfalzburg hinaufwindet, sitze ich am Holztisch und
schaue in die duftigen, blauen Waldberge der Vogesen hinein.
Thalauf thalab hallt das Singen der Säge und das Fallen der
Bretter. Der Harzgeruch des frisch zerschnittnen Holzes würzt die
feuchte Luft. Hart vor mir stehen die ersten Tannen, und
Tannen erfüllen den vielgestaltigen Gesichtskreis rechts und links und vor mir.
Der fast regelmäßige flache Kegel des Schneebergs ist bis oben mit Tannen¬
wald bekleidet. Ich bin drei Stunden gewandert, habe wenig Föhren und
zahllose Tannen gesehen und habe kaum einmal ihren Schatten verlassen.
Ihr Wurzelgeflecht, das über den Boden hervortritt, hat mir den Weg herauf
erleichtert; man steigt auf dem Fußpfad wie auf Holzstufen von einer Wurzel
zur andern. Der Duft ihrer nahen Zweige weht mit der Abendluft thalaus.
Diese Tausende und Abertausende von Tannen, kräftig alle im Gewand ihrer
straff anliegenden silbergrauen Rinde und mit den breiten Schirmästen, scheinen
wie eine Armee über die runden Berge im Westen herzumarschiereu und mit
unwiderstehlicher Kraft ins Rheinthal hinabzubringen. In den Schluchten
schieben sich diese dunkeln Heerhaufen zusammen, und nur an den flachen
Berghängen zeigen sie Lücken, Lichtungen. Dort hinten schimmert es gelblich
und bläulichgrün vom Thalausgange her, das ist der obere Rand des Reben¬
gürtels, ein Grenzsaum, der dem Walde zuruft: Nicht weiter! Aber er ist
nur Grenze, solange der Mensch will. Als die Römer flohen und ihre Dörfer
und Pflanzungen den Alemannen überließen, da dauerte es nicht lange, daß
unter den hellen Neben die Vorposten des dunkeln Waldes erschienen, sie über¬
schattend und in sich aufnehmend. Dieser dunkle Tann ist der alte Wald, der
Urwald des Schwarzwalds und der Vogesen, mit denen er seit Jahrtausenden
verwachsen ist, und die auch heute ohne ihn gar nicht zu denken sind. Er ist
vor den Menschen dagewesen und würde an ihre Stelle treten, wenn sie jemals
wieder die Thäler verließen, in die sie sich seit der alten Keltenzcit mühsam
hineingerodet haben.

Zwischen diesen tiefen, dunkeln Wäldern des Gebirges und dem gartenartig
angebauten Lande des ebenen Rheinthals zieht an allen tiefern Berghängen ein
suum von Laubwald entlang. So hoch vor allem der Kastanien- oder Kcsteu-
baum ansteigt, so weit ist ein Zug von lichter Heiterkeit durch die hellgrünen.


Siidwestdentsche Wanderungen

mit Heinzels Schlußworten: „Das Ganze der Stücke wurde durch Assoziationen
als schön empfunden: weil der Stoff ein christlich-moralischer war, weil die
Aufführung ein seltnes Stadtfest bedeutete — durch Suggestion, weil die
Ältern wohl den Jüngern von der Herrlichkeit einer solchen Schaustellung mit
Worten und Geberden des Wohlgefallens werden gesprochen haben."


R. w.


^üdwestdeutsche Wanderungen
3

or der Sägmühle an der Landstraße, die sich nach dem grauen
ummauerten Pfalzburg hinaufwindet, sitze ich am Holztisch und
schaue in die duftigen, blauen Waldberge der Vogesen hinein.
Thalauf thalab hallt das Singen der Säge und das Fallen der
Bretter. Der Harzgeruch des frisch zerschnittnen Holzes würzt die
feuchte Luft. Hart vor mir stehen die ersten Tannen, und
Tannen erfüllen den vielgestaltigen Gesichtskreis rechts und links und vor mir.
Der fast regelmäßige flache Kegel des Schneebergs ist bis oben mit Tannen¬
wald bekleidet. Ich bin drei Stunden gewandert, habe wenig Föhren und
zahllose Tannen gesehen und habe kaum einmal ihren Schatten verlassen.
Ihr Wurzelgeflecht, das über den Boden hervortritt, hat mir den Weg herauf
erleichtert; man steigt auf dem Fußpfad wie auf Holzstufen von einer Wurzel
zur andern. Der Duft ihrer nahen Zweige weht mit der Abendluft thalaus.
Diese Tausende und Abertausende von Tannen, kräftig alle im Gewand ihrer
straff anliegenden silbergrauen Rinde und mit den breiten Schirmästen, scheinen
wie eine Armee über die runden Berge im Westen herzumarschiereu und mit
unwiderstehlicher Kraft ins Rheinthal hinabzubringen. In den Schluchten
schieben sich diese dunkeln Heerhaufen zusammen, und nur an den flachen
Berghängen zeigen sie Lücken, Lichtungen. Dort hinten schimmert es gelblich
und bläulichgrün vom Thalausgange her, das ist der obere Rand des Reben¬
gürtels, ein Grenzsaum, der dem Walde zuruft: Nicht weiter! Aber er ist
nur Grenze, solange der Mensch will. Als die Römer flohen und ihre Dörfer
und Pflanzungen den Alemannen überließen, da dauerte es nicht lange, daß
unter den hellen Neben die Vorposten des dunkeln Waldes erschienen, sie über¬
schattend und in sich aufnehmend. Dieser dunkle Tann ist der alte Wald, der
Urwald des Schwarzwalds und der Vogesen, mit denen er seit Jahrtausenden
verwachsen ist, und die auch heute ohne ihn gar nicht zu denken sind. Er ist
vor den Menschen dagewesen und würde an ihre Stelle treten, wenn sie jemals
wieder die Thäler verließen, in die sie sich seit der alten Keltenzcit mühsam
hineingerodet haben.

Zwischen diesen tiefen, dunkeln Wäldern des Gebirges und dem gartenartig
angebauten Lande des ebenen Rheinthals zieht an allen tiefern Berghängen ein
suum von Laubwald entlang. So hoch vor allem der Kastanien- oder Kcsteu-
baum ansteigt, so weit ist ein Zug von lichter Heiterkeit durch die hellgrünen.


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[0591] Siidwestdentsche Wanderungen mit Heinzels Schlußworten: „Das Ganze der Stücke wurde durch Assoziationen als schön empfunden: weil der Stoff ein christlich-moralischer war, weil die Aufführung ein seltnes Stadtfest bedeutete — durch Suggestion, weil die Ältern wohl den Jüngern von der Herrlichkeit einer solchen Schaustellung mit Worten und Geberden des Wohlgefallens werden gesprochen haben." R. w. ^üdwestdeutsche Wanderungen 3 or der Sägmühle an der Landstraße, die sich nach dem grauen ummauerten Pfalzburg hinaufwindet, sitze ich am Holztisch und schaue in die duftigen, blauen Waldberge der Vogesen hinein. Thalauf thalab hallt das Singen der Säge und das Fallen der Bretter. Der Harzgeruch des frisch zerschnittnen Holzes würzt die feuchte Luft. Hart vor mir stehen die ersten Tannen, und Tannen erfüllen den vielgestaltigen Gesichtskreis rechts und links und vor mir. Der fast regelmäßige flache Kegel des Schneebergs ist bis oben mit Tannen¬ wald bekleidet. Ich bin drei Stunden gewandert, habe wenig Föhren und zahllose Tannen gesehen und habe kaum einmal ihren Schatten verlassen. Ihr Wurzelgeflecht, das über den Boden hervortritt, hat mir den Weg herauf erleichtert; man steigt auf dem Fußpfad wie auf Holzstufen von einer Wurzel zur andern. Der Duft ihrer nahen Zweige weht mit der Abendluft thalaus. Diese Tausende und Abertausende von Tannen, kräftig alle im Gewand ihrer straff anliegenden silbergrauen Rinde und mit den breiten Schirmästen, scheinen wie eine Armee über die runden Berge im Westen herzumarschiereu und mit unwiderstehlicher Kraft ins Rheinthal hinabzubringen. In den Schluchten schieben sich diese dunkeln Heerhaufen zusammen, und nur an den flachen Berghängen zeigen sie Lücken, Lichtungen. Dort hinten schimmert es gelblich und bläulichgrün vom Thalausgange her, das ist der obere Rand des Reben¬ gürtels, ein Grenzsaum, der dem Walde zuruft: Nicht weiter! Aber er ist nur Grenze, solange der Mensch will. Als die Römer flohen und ihre Dörfer und Pflanzungen den Alemannen überließen, da dauerte es nicht lange, daß unter den hellen Neben die Vorposten des dunkeln Waldes erschienen, sie über¬ schattend und in sich aufnehmend. Dieser dunkle Tann ist der alte Wald, der Urwald des Schwarzwalds und der Vogesen, mit denen er seit Jahrtausenden verwachsen ist, und die auch heute ohne ihn gar nicht zu denken sind. Er ist vor den Menschen dagewesen und würde an ihre Stelle treten, wenn sie jemals wieder die Thäler verließen, in die sie sich seit der alten Keltenzcit mühsam hineingerodet haben. Zwischen diesen tiefen, dunkeln Wäldern des Gebirges und dem gartenartig angebauten Lande des ebenen Rheinthals zieht an allen tiefern Berghängen ein suum von Laubwald entlang. So hoch vor allem der Kastanien- oder Kcsteu- baum ansteigt, so weit ist ein Zug von lichter Heiterkeit durch die hellgrünen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/591>, abgerufen am 26.12.2024.