Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litteratur

mit dem verschwiegnen "obgleich" liegt? Ist bei der Armut die Unehrlichkeit
vorauszusetzen oder doch zu vermuten? Mancher ist doch deshalb arm, weil er
ehrlich ist, weil er nicht mit dem Ärmel das Zuchthaus streifen wollte, weil er
es verschmähte, seines Nächsten Geld und Gut mit einem Schein des Rechts an
sich zu bringen, wie sein reicher Nachbar (oder dessen Vater oder Schwiegervater),
der vielleicht nicht selber den Leuten das Geld aus der Tasche zog, aber es durch
andre Hände besorgen ließ und dabei nicht nur ein "ehrlicher," sondern sogar ein
angesehener Mann geblieben ist. Welche Verwirrung der Begriffe also! Was für
ein Geschrei würde entstehen, wenn jemand sagen wollte: reich, aber ehrlich! Und
doch wäre das nach dem Worte Jesu vom ungerechten Mammon viel berechtigter.
Nun wollen wir uns freilich hüten, Christi Worte selber gedankenlos zu gebrauchen
und etwa dieses vom "ungerechten Mammon" zu national-ökonomischen Zwecken
zu mißbrauchen oder jeden Reichen für einen schlechten Menschen anzusehen: auch
die Worte Christi sollen mit Verstand aufgefaßt und angewandt werden (obgleich
es seltsam ist, daß manche Leute, die im übrigen sehr streng in der Bibelausleguug
sind, gerade bei den Worten Jesu über den Reichtum erklärte Feinde jeder Buch-
stabenkuechtschaft werdeu und sich einer höchst liberalen Auffassung befleißigen!).
Soviel aber muß uus jener Ausdruck Jesu lehren, daß die Redensart "arm aber
,
<L. Br. ehrlich" eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit ist.




Litteratur
Zur englischen Wirtschaftsgeschichte.

Da die Grenzboten öfters Ab¬
schnitte der englischen Wirtschaftsgeschichte beleuchtet haben, so wollen wir nicht
verfehlen, auf das 283. Heft der von Virchow herausgegebnen gemeinverständlichen
wissenschaftlichen Vorträge (Hamburger Verlagsnnstalt, vormals I. F. Richter) auf¬
merksam zu machen. Es enthält die Englische Wirtschaftsentwicklung im
Mittelalter mit Berücksichtigung der deutsche" Verhältnisse, dargestellt von Dr. Georg
Grupp, und bietet eine gute, kurzgefaßte Zusammenfassung der Hauptergebnisse
der Forschungen von Rogers und Ashley, ergänzt durch andre englische und deutsche
Werke, namentlich das von Schanz über Englands Handelspolitik. Die deutschen
Verhältnisse in den Kreis der Betrachtung zu ziehen war der Verfasser, der eine
gute Kulturgeschichte des Mittelalters geschrieben hat, durchaus befähigt.


Felice Namoriuos

Lornelio 1'g.cito nsllk storig. äella. eolturg, (Mailand,
Verlag von Ulrico Höpli) ist eine überaus interessante Darstellung der Geltung,
in der Tacitus in Altertum, Mittelalter und Neuzeit gestanden hat, sowie der
Einwirkung feiner Lektüre auf die politischen und moralischen Anschauungen der
Zeiten. Höchst bezeichnend, wenn auch manchmal von unfreiwilliger Komik, sind
die Urteile des ersten Napoleon über den Feind der Cäsaren, wenn sich auch nicht
verkennen läßt, daß Napoleon mit großem Scharfsinne die Eigenschaft des Taeitus
als eines Parteischriftstellers richtig erkannt hat.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

mit dem verschwiegnen „obgleich" liegt? Ist bei der Armut die Unehrlichkeit
vorauszusetzen oder doch zu vermuten? Mancher ist doch deshalb arm, weil er
ehrlich ist, weil er nicht mit dem Ärmel das Zuchthaus streifen wollte, weil er
es verschmähte, seines Nächsten Geld und Gut mit einem Schein des Rechts an
sich zu bringen, wie sein reicher Nachbar (oder dessen Vater oder Schwiegervater),
der vielleicht nicht selber den Leuten das Geld aus der Tasche zog, aber es durch
andre Hände besorgen ließ und dabei nicht nur ein „ehrlicher," sondern sogar ein
angesehener Mann geblieben ist. Welche Verwirrung der Begriffe also! Was für
ein Geschrei würde entstehen, wenn jemand sagen wollte: reich, aber ehrlich! Und
doch wäre das nach dem Worte Jesu vom ungerechten Mammon viel berechtigter.
Nun wollen wir uns freilich hüten, Christi Worte selber gedankenlos zu gebrauchen
und etwa dieses vom „ungerechten Mammon" zu national-ökonomischen Zwecken
zu mißbrauchen oder jeden Reichen für einen schlechten Menschen anzusehen: auch
die Worte Christi sollen mit Verstand aufgefaßt und angewandt werden (obgleich
es seltsam ist, daß manche Leute, die im übrigen sehr streng in der Bibelausleguug
sind, gerade bei den Worten Jesu über den Reichtum erklärte Feinde jeder Buch-
stabenkuechtschaft werdeu und sich einer höchst liberalen Auffassung befleißigen!).
Soviel aber muß uus jener Ausdruck Jesu lehren, daß die Redensart „arm aber
,
<L. Br. ehrlich" eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit ist.




Litteratur
Zur englischen Wirtschaftsgeschichte.

Da die Grenzboten öfters Ab¬
schnitte der englischen Wirtschaftsgeschichte beleuchtet haben, so wollen wir nicht
verfehlen, auf das 283. Heft der von Virchow herausgegebnen gemeinverständlichen
wissenschaftlichen Vorträge (Hamburger Verlagsnnstalt, vormals I. F. Richter) auf¬
merksam zu machen. Es enthält die Englische Wirtschaftsentwicklung im
Mittelalter mit Berücksichtigung der deutsche» Verhältnisse, dargestellt von Dr. Georg
Grupp, und bietet eine gute, kurzgefaßte Zusammenfassung der Hauptergebnisse
der Forschungen von Rogers und Ashley, ergänzt durch andre englische und deutsche
Werke, namentlich das von Schanz über Englands Handelspolitik. Die deutschen
Verhältnisse in den Kreis der Betrachtung zu ziehen war der Verfasser, der eine
gute Kulturgeschichte des Mittelalters geschrieben hat, durchaus befähigt.


Felice Namoriuos

Lornelio 1'g.cito nsllk storig. äella. eolturg, (Mailand,
Verlag von Ulrico Höpli) ist eine überaus interessante Darstellung der Geltung,
in der Tacitus in Altertum, Mittelalter und Neuzeit gestanden hat, sowie der
Einwirkung feiner Lektüre auf die politischen und moralischen Anschauungen der
Zeiten. Höchst bezeichnend, wenn auch manchmal von unfreiwilliger Komik, sind
die Urteile des ersten Napoleon über den Feind der Cäsaren, wenn sich auch nicht
verkennen läßt, daß Napoleon mit großem Scharfsinne die Eigenschaft des Taeitus
als eines Parteischriftstellers richtig erkannt hat.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227692"/>
            <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_130" prev="#ID_129"> mit dem verschwiegnen &#x201E;obgleich" liegt? Ist bei der Armut die Unehrlichkeit<lb/>
vorauszusetzen oder doch zu vermuten? Mancher ist doch deshalb arm, weil er<lb/>
ehrlich ist, weil er nicht mit dem Ärmel das Zuchthaus streifen wollte, weil er<lb/>
es verschmähte, seines Nächsten Geld und Gut mit einem Schein des Rechts an<lb/>
sich zu bringen, wie sein reicher Nachbar (oder dessen Vater oder Schwiegervater),<lb/>
der vielleicht nicht selber den Leuten das Geld aus der Tasche zog, aber es durch<lb/>
andre Hände besorgen ließ und dabei nicht nur ein &#x201E;ehrlicher," sondern sogar ein<lb/>
angesehener Mann geblieben ist. Welche Verwirrung der Begriffe also! Was für<lb/>
ein Geschrei würde entstehen, wenn jemand sagen wollte: reich, aber ehrlich! Und<lb/>
doch wäre das nach dem Worte Jesu vom ungerechten Mammon viel berechtigter.<lb/>
Nun wollen wir uns freilich hüten, Christi Worte selber gedankenlos zu gebrauchen<lb/>
und etwa dieses vom &#x201E;ungerechten Mammon" zu national-ökonomischen Zwecken<lb/>
zu mißbrauchen oder jeden Reichen für einen schlechten Menschen anzusehen: auch<lb/>
die Worte Christi sollen mit Verstand aufgefaßt und angewandt werden (obgleich<lb/>
es seltsam ist, daß manche Leute, die im übrigen sehr streng in der Bibelausleguug<lb/>
sind, gerade bei den Worten Jesu über den Reichtum erklärte Feinde jeder Buch-<lb/>
stabenkuechtschaft werdeu und sich einer höchst liberalen Auffassung befleißigen!).<lb/>
Soviel aber muß uus jener Ausdruck Jesu lehren, daß die Redensart &#x201E;arm aber<lb/><note type="byline"> ,<lb/>
&lt;L. Br.</note> ehrlich" eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit ist. </p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Litteratur</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Zur englischen Wirtschaftsgeschichte.</head>
            <p xml:id="ID_131"> Da die Grenzboten öfters Ab¬<lb/>
schnitte der englischen Wirtschaftsgeschichte beleuchtet haben, so wollen wir nicht<lb/>
verfehlen, auf das 283. Heft der von Virchow herausgegebnen gemeinverständlichen<lb/>
wissenschaftlichen Vorträge (Hamburger Verlagsnnstalt, vormals I. F. Richter) auf¬<lb/>
merksam zu machen. Es enthält die Englische Wirtschaftsentwicklung im<lb/>
Mittelalter mit Berücksichtigung der deutsche» Verhältnisse, dargestellt von Dr. Georg<lb/>
Grupp, und bietet eine gute, kurzgefaßte Zusammenfassung der Hauptergebnisse<lb/>
der Forschungen von Rogers und Ashley, ergänzt durch andre englische und deutsche<lb/>
Werke, namentlich das von Schanz über Englands Handelspolitik. Die deutschen<lb/>
Verhältnisse in den Kreis der Betrachtung zu ziehen war der Verfasser, der eine<lb/>
gute Kulturgeschichte des Mittelalters geschrieben hat, durchaus befähigt.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Felice Namoriuos </head>
            <p xml:id="ID_132"> Lornelio 1'g.cito nsllk storig. äella. eolturg, (Mailand,<lb/>
Verlag von Ulrico Höpli) ist eine überaus interessante Darstellung der Geltung,<lb/>
in der Tacitus in Altertum, Mittelalter und Neuzeit gestanden hat, sowie der<lb/>
Einwirkung feiner Lektüre auf die politischen und moralischen Anschauungen der<lb/>
Zeiten. Höchst bezeichnend, wenn auch manchmal von unfreiwilliger Komik, sind<lb/>
die Urteile des ersten Napoleon über den Feind der Cäsaren, wenn sich auch nicht<lb/>
verkennen läßt, daß Napoleon mit großem Scharfsinne die Eigenschaft des Taeitus<lb/>
als eines Parteischriftstellers richtig erkannt hat.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <note type="byline"> Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig<lb/>
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. &#x2014; Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] Litteratur mit dem verschwiegnen „obgleich" liegt? Ist bei der Armut die Unehrlichkeit vorauszusetzen oder doch zu vermuten? Mancher ist doch deshalb arm, weil er ehrlich ist, weil er nicht mit dem Ärmel das Zuchthaus streifen wollte, weil er es verschmähte, seines Nächsten Geld und Gut mit einem Schein des Rechts an sich zu bringen, wie sein reicher Nachbar (oder dessen Vater oder Schwiegervater), der vielleicht nicht selber den Leuten das Geld aus der Tasche zog, aber es durch andre Hände besorgen ließ und dabei nicht nur ein „ehrlicher," sondern sogar ein angesehener Mann geblieben ist. Welche Verwirrung der Begriffe also! Was für ein Geschrei würde entstehen, wenn jemand sagen wollte: reich, aber ehrlich! Und doch wäre das nach dem Worte Jesu vom ungerechten Mammon viel berechtigter. Nun wollen wir uns freilich hüten, Christi Worte selber gedankenlos zu gebrauchen und etwa dieses vom „ungerechten Mammon" zu national-ökonomischen Zwecken zu mißbrauchen oder jeden Reichen für einen schlechten Menschen anzusehen: auch die Worte Christi sollen mit Verstand aufgefaßt und angewandt werden (obgleich es seltsam ist, daß manche Leute, die im übrigen sehr streng in der Bibelausleguug sind, gerade bei den Worten Jesu über den Reichtum erklärte Feinde jeder Buch- stabenkuechtschaft werdeu und sich einer höchst liberalen Auffassung befleißigen!). Soviel aber muß uus jener Ausdruck Jesu lehren, daß die Redensart „arm aber , <L. Br. ehrlich" eine unverantwortliche Gedankenlosigkeit ist. Litteratur Zur englischen Wirtschaftsgeschichte. Da die Grenzboten öfters Ab¬ schnitte der englischen Wirtschaftsgeschichte beleuchtet haben, so wollen wir nicht verfehlen, auf das 283. Heft der von Virchow herausgegebnen gemeinverständlichen wissenschaftlichen Vorträge (Hamburger Verlagsnnstalt, vormals I. F. Richter) auf¬ merksam zu machen. Es enthält die Englische Wirtschaftsentwicklung im Mittelalter mit Berücksichtigung der deutsche» Verhältnisse, dargestellt von Dr. Georg Grupp, und bietet eine gute, kurzgefaßte Zusammenfassung der Hauptergebnisse der Forschungen von Rogers und Ashley, ergänzt durch andre englische und deutsche Werke, namentlich das von Schanz über Englands Handelspolitik. Die deutschen Verhältnisse in den Kreis der Betrachtung zu ziehen war der Verfasser, der eine gute Kulturgeschichte des Mittelalters geschrieben hat, durchaus befähigt. Felice Namoriuos Lornelio 1'g.cito nsllk storig. äella. eolturg, (Mailand, Verlag von Ulrico Höpli) ist eine überaus interessante Darstellung der Geltung, in der Tacitus in Altertum, Mittelalter und Neuzeit gestanden hat, sowie der Einwirkung feiner Lektüre auf die politischen und moralischen Anschauungen der Zeiten. Höchst bezeichnend, wenn auch manchmal von unfreiwilliger Komik, sind die Urteile des ersten Napoleon über den Feind der Cäsaren, wenn sich auch nicht verkennen läßt, daß Napoleon mit großem Scharfsinne die Eigenschaft des Taeitus als eines Parteischriftstellers richtig erkannt hat. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/56>, abgerufen am 26.12.2024.