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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

aus der Zeit des dreißigjährigen und des siebenjährigen Kriegs, durch die beide
der Ort entsetzlich mitgenommen wurde. Sodann werden die wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse sehr eingehend und bis auf alle einzelnen Zahlen genau, dabei aber höchst
anschaulich dargelegt. Wir erfahren, wie die Befreiung der Bauern und die Ein¬
führung neuer Landwirtschaftsarten, die Ablösungen, der Obstbau, die Vertopplung.
endlich der Anschluß an das Eisenbahnnetz auf den kleinen Ort gewirkt haben, und
"in Schluß zieht der Verfasser aus seinen Einzelheiten das Fazit für die haupt¬
sächlichsten sozialen Fragen. Er findet Mehrung des Wohlstandes, bessere Lebens¬
haltung gegen srllher und manchen Fortschritt im einzelnen zu verzeichnen. Die
einfache, an Daten sehr vollständige Darstellung scheint uns geradezu musterhaft
für solche kleinen Bilder der Heimatkunde zu sein. Was der Verfasser im Kleinen
beobachtet und beurteilt hat. läßt sich leicht weiter ausdehnen und durch Über¬
tragung und neue Anwendung nutzbar machen. Wir geben dafür eine Probe aus
vielen, indem wir die allgemeine Bemerkung, die dem Verzeichnis der Ortsvercme
vorausgeht, der Zustimmung unsrer Leser unterbreiten: "Eine Erscheinung, die wie
keine andre den Wohlstand der Bewohner kennzeichnet, ist das Vereinsleben in der
Gemeinde. Es muß ohne Zweifel ein Überschuß an materiellem Vermögen vor¬
handen sein, wenn die Einwohner Zeit und Geld darauf verwenden können, sich
"> Vereinen' zusammenzuthun, um in das Einerlei ihres arbeitsreichen Daseins
ewige Abwechslung zu bringen und dem Leben eine freundlichere Seite abzu¬
gewinnen." Ganz wie anderwärts und überall, wo mau über die Not der
Zeit klagt.


Präpariren.

Mein Neffe hatte bei mir französischen Unterricht. An
einigen Dutzend ihm bekannten Fremdwörtern hatte ich ihm die annähernd richtige
französische Aussprache beigebracht -- mein. sie ihm in das Gedächtnis zurück¬
gerufen. Dann war das erste leichte Lcsestück eines verbreiteten französischen Lehr¬
buchs gelesen worden, das nach den "euern Grundsätzen für den Unterricht >n
fremden Sprachen bearbeitet ist. Ich ließ den Schüler darin Wörter aufsuchen.
die er kannte. ließ einige andre aus der Ähnlichkeit mit lateinischen und denk,chen
Wörtern erschließen, ließ leichtere Fvrmwörter schlechtweg raten und gab schließlich
Von Satz zu Satz die Wörter und Ausdrücke a". die er nicht wissen, "och er¬
ließen und erraten konnte. Daun ging das zusammenhängende Übersetzen der
Geschichte vor sich usw. So waren einige Lektionen erledigt, als wir eines Tages
einen .wsvitantcu bekamen. Ein andrer Neffe, der Quintaner Walter von dem
Gymnasium zu H.. in dessen Qnartn Otto eintreten sollte, verlebte seine Ferien
bei uns.

Er war ein schwächliches Kerlchen, stark war entschieden die Brille, die er
^ug. Er hatte in seinem Wesen eine stetige Unruhe, in seinem Gesichtchen zuckte
"s jetzt hier, jetzt da -- nach meiner Ansicht ein echter ..Überbürdeter. Walter
hatte dem Unterricht eine Zeit lang zugehört. Endlich machte er die schüchterne
Bemerkung: Onkel, die Vokabeln zu den Erzählungen stehen hinten, ^es erwiderte.
Ganz recht, aber ich weiß sie ja so. Und er daraus: Ja. aber Otto sollte eigent¬
lich Präpariren. Ihr also, ihr präparirt. forschte ich nun aus dem Nepras ntanten
der Quinta heraus ihr lernt die Wörter vor der Geschichte auswendig, mußt sie
Wohl gar an schreiben? Euer Lehrer hört sie ab? Wer riethe gu prapar.re ha.
schneidet schlecht ab, hat eine Strafarbeit zu erwarten und vielleicht e.ne schlechte
Zensur im Fleiß? Walter bestätigte im allgemeinen diese me.ne Ansichten vom
Wesen des Präparirens, worauf ich mit einer Frage, ans d.e ich nichts weiter als


Maßgebliches und Unmaßgebliches

aus der Zeit des dreißigjährigen und des siebenjährigen Kriegs, durch die beide
der Ort entsetzlich mitgenommen wurde. Sodann werden die wirtschaftlichen Ver¬
hältnisse sehr eingehend und bis auf alle einzelnen Zahlen genau, dabei aber höchst
anschaulich dargelegt. Wir erfahren, wie die Befreiung der Bauern und die Ein¬
führung neuer Landwirtschaftsarten, die Ablösungen, der Obstbau, die Vertopplung.
endlich der Anschluß an das Eisenbahnnetz auf den kleinen Ort gewirkt haben, und
«in Schluß zieht der Verfasser aus seinen Einzelheiten das Fazit für die haupt¬
sächlichsten sozialen Fragen. Er findet Mehrung des Wohlstandes, bessere Lebens¬
haltung gegen srllher und manchen Fortschritt im einzelnen zu verzeichnen. Die
einfache, an Daten sehr vollständige Darstellung scheint uns geradezu musterhaft
für solche kleinen Bilder der Heimatkunde zu sein. Was der Verfasser im Kleinen
beobachtet und beurteilt hat. läßt sich leicht weiter ausdehnen und durch Über¬
tragung und neue Anwendung nutzbar machen. Wir geben dafür eine Probe aus
vielen, indem wir die allgemeine Bemerkung, die dem Verzeichnis der Ortsvercme
vorausgeht, der Zustimmung unsrer Leser unterbreiten: „Eine Erscheinung, die wie
keine andre den Wohlstand der Bewohner kennzeichnet, ist das Vereinsleben in der
Gemeinde. Es muß ohne Zweifel ein Überschuß an materiellem Vermögen vor¬
handen sein, wenn die Einwohner Zeit und Geld darauf verwenden können, sich
"> Vereinen' zusammenzuthun, um in das Einerlei ihres arbeitsreichen Daseins
ewige Abwechslung zu bringen und dem Leben eine freundlichere Seite abzu¬
gewinnen." Ganz wie anderwärts und überall, wo mau über die Not der
Zeit klagt.


Präpariren.

Mein Neffe hatte bei mir französischen Unterricht. An
einigen Dutzend ihm bekannten Fremdwörtern hatte ich ihm die annähernd richtige
französische Aussprache beigebracht — mein. sie ihm in das Gedächtnis zurück¬
gerufen. Dann war das erste leichte Lcsestück eines verbreiteten französischen Lehr¬
buchs gelesen worden, das nach den »euern Grundsätzen für den Unterricht >n
fremden Sprachen bearbeitet ist. Ich ließ den Schüler darin Wörter aufsuchen.
die er kannte. ließ einige andre aus der Ähnlichkeit mit lateinischen und denk,chen
Wörtern erschließen, ließ leichtere Fvrmwörter schlechtweg raten und gab schließlich
Von Satz zu Satz die Wörter und Ausdrücke a». die er nicht wissen, »och er¬
ließen und erraten konnte. Daun ging das zusammenhängende Übersetzen der
Geschichte vor sich usw. So waren einige Lektionen erledigt, als wir eines Tages
einen .wsvitantcu bekamen. Ein andrer Neffe, der Quintaner Walter von dem
Gymnasium zu H.. in dessen Qnartn Otto eintreten sollte, verlebte seine Ferien
bei uns.

Er war ein schwächliches Kerlchen, stark war entschieden die Brille, die er
^ug. Er hatte in seinem Wesen eine stetige Unruhe, in seinem Gesichtchen zuckte
«s jetzt hier, jetzt da — nach meiner Ansicht ein echter ..Überbürdeter. Walter
hatte dem Unterricht eine Zeit lang zugehört. Endlich machte er die schüchterne
Bemerkung: Onkel, die Vokabeln zu den Erzählungen stehen hinten, ^es erwiderte.
Ganz recht, aber ich weiß sie ja so. Und er daraus: Ja. aber Otto sollte eigent¬
lich Präpariren. Ihr also, ihr präparirt. forschte ich nun aus dem Nepras ntanten
der Quinta heraus ihr lernt die Wörter vor der Geschichte auswendig, mußt sie
Wohl gar an schreiben? Euer Lehrer hört sie ab? Wer riethe gu prapar.re ha.
schneidet schlecht ab, hat eine Strafarbeit zu erwarten und vielleicht e.ne schlechte
Zensur im Fleiß? Walter bestätigte im allgemeinen diese me.ne Ansichten vom
Wesen des Präparirens, worauf ich mit einer Frage, ans d.e ich nichts weiter als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/53>, abgerufen am 26.12.2024.