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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Schreiben verwenden könnten, wofür ihnen in Anbetracht der Überfüllung ihrer
Klassen die Zeit zu knapp zugemessen sei. Zum Schluß sei bemerkt, daß die Lehrer
nicht wissen, ob die neuen Vorschriften aus dem Kultusministerium oder aus dem
Provinzialschulkollegium stammen.


Carlyles Helden.

Carlyle hatte die Fähigkeit und auch die Gewohnheit,
einen Gegenstand, den er behandeln wollte, solange anzusehen, bis ihm etwas daran
anders erschien, als allen frühern Betrachtern. Er war mit ihm ganz vertraut
geworden, er sah mehr als sie, die sich vielleicht im grobsinnlichen Verstände viel
mehr daran abgemüht hatten. Auf dieser Eigenschaft und ihrer Wirkung beruht
der Eindruck seiner Worte, oft über recht unbedeutende Dinge, nicht auf dem Neuen
an Stoff, dem bisher Unbekannten. Man lese daraufhin in der sechsten Vorlesung
über Helden -- der Held als Schriftsteller -- seine Betrachtung über das Wunder
des Buches, des geschriebnen, das imstande ist, das Lebendigste aus einem Zeitalter,
wenn dieses in aller seiner sichtbaren Kultur längst zerstört ist, der fernsten Nach¬
welt darzubieten, nicht erst des gedruckten, das mir die weite Verbreitung dieses
Lebens ermöglicht hat. Das hat jeder vou uns ebenso gut gewußt, und mancher
hat schon darüber nachgedacht, aber keiner hat es so wunderbar ausgedrückt, wie
Carlyle, sodaß, wer es gelesen hat, fortan um dieses "Wunders" willen seine
Bücher noch einmal so gern hat. Carlyle war so beweglich, teilnehmend und
parteilos in seinem Denken, daß er uns sogar für Mohamet -- den Helden als
Propheten -- begeistern könnte. Die "Sechs Vorlesungen über Helden, Heldenver¬
ehrung und das Heldentümliche in der Geschichte," seine ersten, 1840 in London
bald nach seiner Übersiedlung aus Schottland gehalten, sind kürzlich deutsch in
dritter Auflage -- von Neuberg -- bei Decker in Berlin erschienen. 1893 er¬
schien die zweite. Man sieht, Carlyle gewinnt immer mehr Boden in Deutschland.
Die Ausstattung ist sehr geschmackvoll, und der Druck ausgezeichnet, was man be¬
kanntlich von der ersten Auflage des ganzen Übersetzungswerks nicht sagen konnte.
Hätten wir einen Wunsch zu äußern, so wäre es der, wenn er geschäftlich aus¬
führbar wäre, daß einmal von der viel zu wenig gekannten Geschichte Friedrichs
des Großen eine neue Auflage der Übersetzung erschiene. Sie könnte sehr gekürzt
werden und müßte nur die Glanzpartien aus den drei Kriegen und die pracht¬
vollen Schilderungen der Persönlichkeiten ausführlich geben, zugleich mit kurzen
Hinweisen auf etwa geänderte Auffassungen von der Hand eines belesenen und
taktvollen Historikers. Es dürfte drei Bände in der Art des vorliegenden geben
und könnte großen Nutzen stiften. Fände sich doch eine gemeinnützige Gesell¬
schaft, sich für die Kosten zu verbürgen. Für die Akademien ist es ja natürlich
nicht vornehm genug; es würde auch zu ausführlich und darum nachher im Handel
zu teuer werden.






Herausgegeben von Johannes Grunoiv in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig, -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Schreiben verwenden könnten, wofür ihnen in Anbetracht der Überfüllung ihrer
Klassen die Zeit zu knapp zugemessen sei. Zum Schluß sei bemerkt, daß die Lehrer
nicht wissen, ob die neuen Vorschriften aus dem Kultusministerium oder aus dem
Provinzialschulkollegium stammen.


Carlyles Helden.

Carlyle hatte die Fähigkeit und auch die Gewohnheit,
einen Gegenstand, den er behandeln wollte, solange anzusehen, bis ihm etwas daran
anders erschien, als allen frühern Betrachtern. Er war mit ihm ganz vertraut
geworden, er sah mehr als sie, die sich vielleicht im grobsinnlichen Verstände viel
mehr daran abgemüht hatten. Auf dieser Eigenschaft und ihrer Wirkung beruht
der Eindruck seiner Worte, oft über recht unbedeutende Dinge, nicht auf dem Neuen
an Stoff, dem bisher Unbekannten. Man lese daraufhin in der sechsten Vorlesung
über Helden — der Held als Schriftsteller — seine Betrachtung über das Wunder
des Buches, des geschriebnen, das imstande ist, das Lebendigste aus einem Zeitalter,
wenn dieses in aller seiner sichtbaren Kultur längst zerstört ist, der fernsten Nach¬
welt darzubieten, nicht erst des gedruckten, das mir die weite Verbreitung dieses
Lebens ermöglicht hat. Das hat jeder vou uns ebenso gut gewußt, und mancher
hat schon darüber nachgedacht, aber keiner hat es so wunderbar ausgedrückt, wie
Carlyle, sodaß, wer es gelesen hat, fortan um dieses „Wunders" willen seine
Bücher noch einmal so gern hat. Carlyle war so beweglich, teilnehmend und
parteilos in seinem Denken, daß er uns sogar für Mohamet — den Helden als
Propheten — begeistern könnte. Die „Sechs Vorlesungen über Helden, Heldenver¬
ehrung und das Heldentümliche in der Geschichte," seine ersten, 1840 in London
bald nach seiner Übersiedlung aus Schottland gehalten, sind kürzlich deutsch in
dritter Auflage — von Neuberg — bei Decker in Berlin erschienen. 1893 er¬
schien die zweite. Man sieht, Carlyle gewinnt immer mehr Boden in Deutschland.
Die Ausstattung ist sehr geschmackvoll, und der Druck ausgezeichnet, was man be¬
kanntlich von der ersten Auflage des ganzen Übersetzungswerks nicht sagen konnte.
Hätten wir einen Wunsch zu äußern, so wäre es der, wenn er geschäftlich aus¬
führbar wäre, daß einmal von der viel zu wenig gekannten Geschichte Friedrichs
des Großen eine neue Auflage der Übersetzung erschiene. Sie könnte sehr gekürzt
werden und müßte nur die Glanzpartien aus den drei Kriegen und die pracht¬
vollen Schilderungen der Persönlichkeiten ausführlich geben, zugleich mit kurzen
Hinweisen auf etwa geänderte Auffassungen von der Hand eines belesenen und
taktvollen Historikers. Es dürfte drei Bände in der Art des vorliegenden geben
und könnte großen Nutzen stiften. Fände sich doch eine gemeinnützige Gesell¬
schaft, sich für die Kosten zu verbürgen. Für die Akademien ist es ja natürlich
nicht vornehm genug; es würde auch zu ausführlich und darum nachher im Handel
zu teuer werden.






Herausgegeben von Johannes Grunoiv in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig, — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0464] Maßgebliches und Unmaßgebliches Schreiben verwenden könnten, wofür ihnen in Anbetracht der Überfüllung ihrer Klassen die Zeit zu knapp zugemessen sei. Zum Schluß sei bemerkt, daß die Lehrer nicht wissen, ob die neuen Vorschriften aus dem Kultusministerium oder aus dem Provinzialschulkollegium stammen. Carlyles Helden. Carlyle hatte die Fähigkeit und auch die Gewohnheit, einen Gegenstand, den er behandeln wollte, solange anzusehen, bis ihm etwas daran anders erschien, als allen frühern Betrachtern. Er war mit ihm ganz vertraut geworden, er sah mehr als sie, die sich vielleicht im grobsinnlichen Verstände viel mehr daran abgemüht hatten. Auf dieser Eigenschaft und ihrer Wirkung beruht der Eindruck seiner Worte, oft über recht unbedeutende Dinge, nicht auf dem Neuen an Stoff, dem bisher Unbekannten. Man lese daraufhin in der sechsten Vorlesung über Helden — der Held als Schriftsteller — seine Betrachtung über das Wunder des Buches, des geschriebnen, das imstande ist, das Lebendigste aus einem Zeitalter, wenn dieses in aller seiner sichtbaren Kultur längst zerstört ist, der fernsten Nach¬ welt darzubieten, nicht erst des gedruckten, das mir die weite Verbreitung dieses Lebens ermöglicht hat. Das hat jeder vou uns ebenso gut gewußt, und mancher hat schon darüber nachgedacht, aber keiner hat es so wunderbar ausgedrückt, wie Carlyle, sodaß, wer es gelesen hat, fortan um dieses „Wunders" willen seine Bücher noch einmal so gern hat. Carlyle war so beweglich, teilnehmend und parteilos in seinem Denken, daß er uns sogar für Mohamet — den Helden als Propheten — begeistern könnte. Die „Sechs Vorlesungen über Helden, Heldenver¬ ehrung und das Heldentümliche in der Geschichte," seine ersten, 1840 in London bald nach seiner Übersiedlung aus Schottland gehalten, sind kürzlich deutsch in dritter Auflage — von Neuberg — bei Decker in Berlin erschienen. 1893 er¬ schien die zweite. Man sieht, Carlyle gewinnt immer mehr Boden in Deutschland. Die Ausstattung ist sehr geschmackvoll, und der Druck ausgezeichnet, was man be¬ kanntlich von der ersten Auflage des ganzen Übersetzungswerks nicht sagen konnte. Hätten wir einen Wunsch zu äußern, so wäre es der, wenn er geschäftlich aus¬ führbar wäre, daß einmal von der viel zu wenig gekannten Geschichte Friedrichs des Großen eine neue Auflage der Übersetzung erschiene. Sie könnte sehr gekürzt werden und müßte nur die Glanzpartien aus den drei Kriegen und die pracht¬ vollen Schilderungen der Persönlichkeiten ausführlich geben, zugleich mit kurzen Hinweisen auf etwa geänderte Auffassungen von der Hand eines belesenen und taktvollen Historikers. Es dürfte drei Bände in der Art des vorliegenden geben und könnte großen Nutzen stiften. Fände sich doch eine gemeinnützige Gesell¬ schaft, sich für die Kosten zu verbürgen. Für die Akademien ist es ja natürlich nicht vornehm genug; es würde auch zu ausführlich und darum nachher im Handel zu teuer werden. Herausgegeben von Johannes Grunoiv in Leipzig Verlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig, — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/464>, abgerufen am 26.12.2024.