Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches wo sich -- in Österreich ist man ja schon so weit -- die verschiednen Zünfte um sozialpolitische Schriften. DaS Wort rechtlich, unter dem man bisher rechtschaffen verstanden hat, wird seit
einiger Zeit in den Bedeutungen gesetzlich, verfassungsmäßig lind juristisch gebraucht. Maßgebliches und Unmaßgebliches wo sich — in Österreich ist man ja schon so weit — die verschiednen Zünfte um sozialpolitische Schriften. DaS Wort rechtlich, unter dem man bisher rechtschaffen verstanden hat, wird seit
einiger Zeit in den Bedeutungen gesetzlich, verfassungsmäßig lind juristisch gebraucht. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227944"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_818" prev="#ID_817" next="#ID_819"> wo sich — in Österreich ist man ja schon so weit — die verschiednen Zünfte um<lb/> das Recht balgen, eine Schnalle oder eine Lederhose anfertigen oder einen Krapfen<lb/> backen zu dürfen, sondern es handelt sich um das Recht der Selbstverwaltung der<lb/> Stadt und um das Recht der korporativ organisirten Bürgerschaft auf die Teil¬<lb/> nahme an der Verwaltung. „Nur ein greifbarer Irrtum in der Auslegung des<lb/> Zwangsprinzips konnte die verfafsungsgeschichtlichen Aufgaben des Zunft¬<lb/> wesens verkennen. Der Zunstverband hat sich nirgends die Erlangung gewerb¬<lb/> licher Vorrechte zum Gegenstand gesetzt; sondern sein Ziel war die Ausbreitung<lb/> der städtischen Freiheiten und die Einfügung des Handwerks in die allgemeine<lb/> und öffentliche Verwaltung." Zur Zeit der Blüte der Zünfte hatte der Zunft¬<lb/> zwang nicht den Zweck, den Handwerkern die Konkurrenten vom Leibe zu halten,<lb/> sondern den Sinn, daß alle, die des Bürgerrechts teilhaft sein wollten, auch einer<lb/> der Körperschaften angehören mußten, die die Leistungen für den kleinen Freistaat:<lb/> Steuern, Kriegsdienst und den Dienst in unbesoldeten Gemeindeämtern unter sich<lb/> verteilten. — Wie wenig die Zünfte ursprünglich gewerbliche Interessengemeinschaften<lb/> und wie sehr sie politische Körperschaften gewesen sind, das tritt besonders deutlich<lb/> in der Florentiner Zunftgeschichte hervor; wirkt doch schon der eine Umstand als<lb/> durchschlagender Beweis, daß zur Zunft der Ärzte und Apotheker auch die Krämer<lb/> in vielfacher Verzweigung gehörten — namentlich werden angeführt die Material¬<lb/> warenhändler, die Börsenhändler (mit Börsen sind hier Geldbeutelchen gemeint)<lb/> und die Haubenmacher —, dann die Sattler, die Maler und die Händler mit<lb/> Malerfarben. Nur bei dem mächtigen Exportgewerbe der Wollenweberei fällt mit<lb/> der politischen auch die gewerbliche Organisation zusammen, und hier sieht man<lb/> zugleich, worauf wir schon wiederholt hingewiesen haben, in welchem Grade die<lb/> politische von der sozialen Gliederung, diese aber von der Technik abhängig ist.<lb/> In dem genannten Gewerbe, wie überhaupt in den Textilgewerbcn, hat sich zuerst<lb/> der Gegensatz zwischen kapitalbesitzenden Unternehmern und kapitallosen Lohnarbeitern<lb/> ausgebildet, und daher brach sich an diesem Gewerbe die demokratische Entwicklung<lb/> von Arno-Athen. Der Aufstand der Ciompi 1373 errang zwar den Lohnarbeitern<lb/> der Wollenzunft die politische Gleichberechtigung, aber diese blieb rein formell:<lb/> thatsächlich behielten die Unternehmer die Macht, und der Versuch der Arbeiter,<lb/> dnrch Erweiterung ihrer politischen Rechte ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern,<lb/> verlief erfolglos. „Der rechtliche^) Abschluß der Stände, wie er das frühere<lb/> Mittelalter bezeichnet, war in der Stadt modernen Verkehrs längst durchbrochen;<lb/> die ökonomische Entwicklung hatte statt dessen Schranken aufgerichtet, die kaum<lb/> leichter zu durchbreche» waren," schreibt Alfred Dorer in seiner Schrift „Ent¬<lb/> wicklung und Organisation der Florentiner Zünfte im dreizehnten und vier¬<lb/> zehnten Jahrhundert" (Leipzig, Duncker und Humblot, 1897). Sie ändert das<lb/> Bild, das wir aus Perrens und Poehlmann gewonnen haben, in keinem wesent¬<lb/> lichen Punkte, ergänzt es aber in dankenswerter Weise. Dorer hebt unter anderm<lb/> hervor, daß bei der Entstehung und Entwicklung der Florentiner Zünfte weder<lb/> das in Deutschland so wirksame religiöse Bruderschaftswesen, noch der Zweck gegen¬<lb/> seitiger Unterstützung eine Rolle gespielt habe.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> sozialpolitische Schriften.</head><lb/> <note xml:id="FID_22" place="foot"> DaS Wort rechtlich, unter dem man bisher rechtschaffen verstanden hat, wird seit<lb/> einiger Zeit in den Bedeutungen gesetzlich, verfassungsmäßig lind juristisch gebraucht.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0308]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
wo sich — in Österreich ist man ja schon so weit — die verschiednen Zünfte um
das Recht balgen, eine Schnalle oder eine Lederhose anfertigen oder einen Krapfen
backen zu dürfen, sondern es handelt sich um das Recht der Selbstverwaltung der
Stadt und um das Recht der korporativ organisirten Bürgerschaft auf die Teil¬
nahme an der Verwaltung. „Nur ein greifbarer Irrtum in der Auslegung des
Zwangsprinzips konnte die verfafsungsgeschichtlichen Aufgaben des Zunft¬
wesens verkennen. Der Zunstverband hat sich nirgends die Erlangung gewerb¬
licher Vorrechte zum Gegenstand gesetzt; sondern sein Ziel war die Ausbreitung
der städtischen Freiheiten und die Einfügung des Handwerks in die allgemeine
und öffentliche Verwaltung." Zur Zeit der Blüte der Zünfte hatte der Zunft¬
zwang nicht den Zweck, den Handwerkern die Konkurrenten vom Leibe zu halten,
sondern den Sinn, daß alle, die des Bürgerrechts teilhaft sein wollten, auch einer
der Körperschaften angehören mußten, die die Leistungen für den kleinen Freistaat:
Steuern, Kriegsdienst und den Dienst in unbesoldeten Gemeindeämtern unter sich
verteilten. — Wie wenig die Zünfte ursprünglich gewerbliche Interessengemeinschaften
und wie sehr sie politische Körperschaften gewesen sind, das tritt besonders deutlich
in der Florentiner Zunftgeschichte hervor; wirkt doch schon der eine Umstand als
durchschlagender Beweis, daß zur Zunft der Ärzte und Apotheker auch die Krämer
in vielfacher Verzweigung gehörten — namentlich werden angeführt die Material¬
warenhändler, die Börsenhändler (mit Börsen sind hier Geldbeutelchen gemeint)
und die Haubenmacher —, dann die Sattler, die Maler und die Händler mit
Malerfarben. Nur bei dem mächtigen Exportgewerbe der Wollenweberei fällt mit
der politischen auch die gewerbliche Organisation zusammen, und hier sieht man
zugleich, worauf wir schon wiederholt hingewiesen haben, in welchem Grade die
politische von der sozialen Gliederung, diese aber von der Technik abhängig ist.
In dem genannten Gewerbe, wie überhaupt in den Textilgewerbcn, hat sich zuerst
der Gegensatz zwischen kapitalbesitzenden Unternehmern und kapitallosen Lohnarbeitern
ausgebildet, und daher brach sich an diesem Gewerbe die demokratische Entwicklung
von Arno-Athen. Der Aufstand der Ciompi 1373 errang zwar den Lohnarbeitern
der Wollenzunft die politische Gleichberechtigung, aber diese blieb rein formell:
thatsächlich behielten die Unternehmer die Macht, und der Versuch der Arbeiter,
dnrch Erweiterung ihrer politischen Rechte ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern,
verlief erfolglos. „Der rechtliche^) Abschluß der Stände, wie er das frühere
Mittelalter bezeichnet, war in der Stadt modernen Verkehrs längst durchbrochen;
die ökonomische Entwicklung hatte statt dessen Schranken aufgerichtet, die kaum
leichter zu durchbreche» waren," schreibt Alfred Dorer in seiner Schrift „Ent¬
wicklung und Organisation der Florentiner Zünfte im dreizehnten und vier¬
zehnten Jahrhundert" (Leipzig, Duncker und Humblot, 1897). Sie ändert das
Bild, das wir aus Perrens und Poehlmann gewonnen haben, in keinem wesent¬
lichen Punkte, ergänzt es aber in dankenswerter Weise. Dorer hebt unter anderm
hervor, daß bei der Entstehung und Entwicklung der Florentiner Zünfte weder
das in Deutschland so wirksame religiöse Bruderschaftswesen, noch der Zweck gegen¬
seitiger Unterstützung eine Rolle gespielt habe.
sozialpolitische Schriften.
DaS Wort rechtlich, unter dem man bisher rechtschaffen verstanden hat, wird seit
einiger Zeit in den Bedeutungen gesetzlich, verfassungsmäßig lind juristisch gebraucht.
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