Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Der Lvangelismus in Rußland und sein Buch bei dieser wichtigen Gelegenheit so unverdienter Nichtachtung (Schluß folgt) Der (Lvangelismus in Rußland le Kirche, die sich selbst die rechtgläubige nennt, hat seit ihrer Der Lvangelismus in Rußland und sein Buch bei dieser wichtigen Gelegenheit so unverdienter Nichtachtung (Schluß folgt) Der (Lvangelismus in Rußland le Kirche, die sich selbst die rechtgläubige nennt, hat seit ihrer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227855"/> <fw type="header" place="top"> Der Lvangelismus in Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_584" prev="#ID_583"> und sein Buch bei dieser wichtigen Gelegenheit so unverdienter Nichtachtung<lb/> verfielen. Ist aber dieses Totschweigen nicht bezeichnend und beschämend zu¬<lb/> gleich? Beschämend — dazu mag jeder sich selbst das nötige sagen, bezeich¬<lb/> nend deshalb, weil es besser als jede Verteidigung die Wucht und Unwider-<lb/> leglichkeit von Richis Auffassung beweist. Selbstverständlich wäre es ein mehr<lb/> als eitles und aussichtsloses Beginnen, mit dem Buche Richis auch nur einen<lb/> Verfechter der Frauenbewegung überzeugen zu wollen; gleichwohl ist die Er¬<lb/> innerung daran und das ausführliche Eingehen auf die Neichstagsbercttungen<lb/> nicht überflüssig; mit der Annahme des bürgerlichen Gesetzbuchs und seines<lb/> Eherechts ist die Sache nicht abgethan; alle Gegner haben im Reichstage er¬<lb/> klärt, daß sie nicht ruhen und rasten wollen, bis die latente Mehrheit, die<lb/> schon im Juni 1896 für die Stummschen Anträge vorhanden gewesen sein<lb/> soll, sich auch offen dazu bekenne. Wie die Zeitungen berichten, will die<lb/> Frauenbewegung auch in den bevorstehenden Wahlkampf eintreten und nur<lb/> solche Kandidaten unterstützen, die ihre Forderungen gutheißen. Da scheint es<lb/> auch heute noch an der Zeit, den verschobnen Kampfplatz wieder zurecht¬<lb/> zurücken, und vielleicht ist auch die Hoffnung gerechtfertigt, daß für manchen<lb/> das Niehlsche „Trostgedicht" von der deutschen Familie mehr Überzeugungs¬<lb/> kraft hat als der nackte Satz, worin sich im Munde Vebels, wohl unabsichtlich,<lb/> die letzte Weisheit der Sozialdemokratie zusammenfaßte: „Ich meine also: hier<lb/> muß aufgeräumt werden."</p><lb/> <p xml:id="ID_585"> (Schluß folgt)</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Der (Lvangelismus in Rußland</head><lb/> <p xml:id="ID_586" next="#ID_587"> le Kirche, die sich selbst die rechtgläubige nennt, hat seit ihrer<lb/> Trennung von Rom weder eine wesentliche Reformation, noch<lb/> einen so gefährlichen Kampf und Zerfall erlebt, wie ihre römische<lb/> Schwestcrkirche im sechzehnten Jahrhundert. Vielmehr bestand,<lb/> seit Rußland der Hauptträger der griechisch-katholischen Kirche<lb/> geworden war, die einzige Reform, deren sich ihre Geschichte rühmt, in der im<lb/> siebzehnten Jahrhundert unternommnen Reinigung von einigen Mißstünden,<lb/> die sich im Laufe der Zeit in die Bräuche und Bücher der Kirche eingeschlichen<lb/> hatten. Die Kirchenreform des russischen Patriarchen nitor war eine Rück¬<lb/> kehr zu ältern Formen, nicht eine Entwicklung neuer Dogmen, neuer Lehren</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0219]
Der Lvangelismus in Rußland
und sein Buch bei dieser wichtigen Gelegenheit so unverdienter Nichtachtung
verfielen. Ist aber dieses Totschweigen nicht bezeichnend und beschämend zu¬
gleich? Beschämend — dazu mag jeder sich selbst das nötige sagen, bezeich¬
nend deshalb, weil es besser als jede Verteidigung die Wucht und Unwider-
leglichkeit von Richis Auffassung beweist. Selbstverständlich wäre es ein mehr
als eitles und aussichtsloses Beginnen, mit dem Buche Richis auch nur einen
Verfechter der Frauenbewegung überzeugen zu wollen; gleichwohl ist die Er¬
innerung daran und das ausführliche Eingehen auf die Neichstagsbercttungen
nicht überflüssig; mit der Annahme des bürgerlichen Gesetzbuchs und seines
Eherechts ist die Sache nicht abgethan; alle Gegner haben im Reichstage er¬
klärt, daß sie nicht ruhen und rasten wollen, bis die latente Mehrheit, die
schon im Juni 1896 für die Stummschen Anträge vorhanden gewesen sein
soll, sich auch offen dazu bekenne. Wie die Zeitungen berichten, will die
Frauenbewegung auch in den bevorstehenden Wahlkampf eintreten und nur
solche Kandidaten unterstützen, die ihre Forderungen gutheißen. Da scheint es
auch heute noch an der Zeit, den verschobnen Kampfplatz wieder zurecht¬
zurücken, und vielleicht ist auch die Hoffnung gerechtfertigt, daß für manchen
das Niehlsche „Trostgedicht" von der deutschen Familie mehr Überzeugungs¬
kraft hat als der nackte Satz, worin sich im Munde Vebels, wohl unabsichtlich,
die letzte Weisheit der Sozialdemokratie zusammenfaßte: „Ich meine also: hier
muß aufgeräumt werden."
(Schluß folgt)
Der (Lvangelismus in Rußland
le Kirche, die sich selbst die rechtgläubige nennt, hat seit ihrer
Trennung von Rom weder eine wesentliche Reformation, noch
einen so gefährlichen Kampf und Zerfall erlebt, wie ihre römische
Schwestcrkirche im sechzehnten Jahrhundert. Vielmehr bestand,
seit Rußland der Hauptträger der griechisch-katholischen Kirche
geworden war, die einzige Reform, deren sich ihre Geschichte rühmt, in der im
siebzehnten Jahrhundert unternommnen Reinigung von einigen Mißstünden,
die sich im Laufe der Zeit in die Bräuche und Bücher der Kirche eingeschlichen
hatten. Die Kirchenreform des russischen Patriarchen nitor war eine Rück¬
kehr zu ältern Formen, nicht eine Entwicklung neuer Dogmen, neuer Lehren
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