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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kiau?

Wir lesen, daß der Name des für Deutschland erworbnen chine¬
sischen Hafens jetzt offiziell festgelegt worden sei: wir sollen fortan Kiautschou
schreiben. Diese Schreibweise mag nrchinesisch sein, man wird darüber Experte
vernommen haben; mir tritt hier aber wieder eine Eigentümlichkeit unsrer Auto¬
ritäten entgegen, über die ich mich schou oft gewundert habe. Wenn ich nicht irre,
bedeutet der Zusatz Tschou deu Gattungsbegriff eiuer Kreis- oder Bezirksstadt, wie
das angehängte "Fu" einen Hauptort der Provinz bezeichnet; jedenfalls findet man
auf der Karte viele chinesische Orte mit dem Znsntz Fu oder Tschou. Wäre es
nun nicht am einfachsten, sich mit Kiau zu begnügen und sich um die chinesische
Orthographie nicht weiter zu kümmern, als für den Verkehr nötig ist? Wir
würden uns sechs Buchstaben ersparen in Wort und Schrift. Aber man scheint
in unsern Bureaus eine Vorliebe für lange Namen zu haben. Da bestehen noch
immer: "Deutsch-Südwestafriknnisches Schutzgebiet" und Deutsch-Ostafrikcmisches
Schutzgebiet"! Kann man sich etwas Pedantischeres, Schwerfälligeres ausdenken?
Als Lüderitz Angra Pegnena besetzte, sprach man einige Zeit lang von Lüdcritz-
land, aber unsre Bllrecmkraten kamen hinzu und machten, als wir an den Kuuene
gelangten, eine Kolonie mit dem längsten Namen, den die afrikanische Karte aus¬
weist. Andre Leute wären bei Liidcritzland geblieben oder hätten dem Gebiet den
ersten Volksnamen gegeben, der sich darbot, etwa Namaland, oder noch kürzer
Kolonie "Rama." Das läßt aber unsre Gewissenhaftigkeit, richtiger Pedanterie
nicht zu, denu "da sind ja auch noch Hereros und Bastarde und Bergdcimara."
Ebenso im Osten. Warum nicht "Petersland" oder -- wenn das den liebenden
Herzen mancher zu bitter war -- "Usagara" oder "Usmnbara," den ersten besten
Namen, den man im Lande fand? Ein Wunder, daß wir nicht statt Kamerun
>, Westafrikanisches Schutzgebiet" und statt Togo "Nordwestafrikanisches Schutzgebiet"
schreiben. "West, Südwest, Nordwest" -- das wäre so hübsch vollständig, so
ordnungsmäßig gewesen; unsre Dorfschulmeister selbst hätten ihre Freude daran
gehabt! Denn unsre Büreauleute arbeiten hierin ganz im Sinne unsers hochge-
geschulten Publikums -- das muß ich zugeben. Wir lieben nicht praktische Kürze,
sondern Ruinen und Bezeichnungen, die selbst gleich eine ganze Erklärung enthalten,
und gewöhnen uns gern ab, mit einem Billet in den Tram zu steigen, weil wir
"deutsch" sein wollen. Mein Gott! Niemand kann die Schwäche des deutschen
Selbstbewußtseins mehr bedauern als ich; aber für fo elend halte ich es denn doch
nicht, daß ich glauben könnte, die deutsche Sprache nud das deutsche Selbstgefühl
könnte durch "Fnhrscheiu" und "Pferdebahn" verbessert werden. Die Pedanterie
liegt darin, daß wir uns nicht entschließen können, einheimische Worte, die nicht
im Wörterbuch stehen, anzunehmen, wo wir sie finden, noch auch uus neue, fremde
Worte sprachlich bequem zu macheu, indem wir sie wo nötig deutsch umformen.
Wenn man uns zumutet. Tram zu sagen, so erhebt sich alsbald Widerspruch: "Es
heißt nicht Tram, sondern Trcnnway!" Möge es doch! Wir heißen es Tram --
würde ich antworten, und das ist ein gutes, deutsch klingendes Wort, das dadurch
nicht verliert, daß es englischen Ursprungs ist. Übrigens läßt der Engländer das
"way." selbst gern weg, so anstößig das unsern Pedanten vorkommen mag. Und
was "Billet" betrifft, so hätte selbst Luther wahrscheinlich nichts dagegen einzu¬
wenden gehabt; nur hätte er es vielleicht "Biljet" oder ähnlich geschrieben, zum
Entsetzen unsrer heutigen Schnlgclehrten, die nicht daran denken, daß kein Franzose
das Wort so ausspricht, wie wir es thun. Unsre Pedanterie geht sogar so weit,
daß wir uns oft bemühen, "Traumes" herauszubringen, um korrekt englisch zu
sein. Wer gar "Tramweg" sagen wollte, würde für ungebildet gelten. Und da ich
Nicht gerne solchen Vorwurf auf mich lenke, so gestehe ich lieber gleich ein, daß,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kiau?

Wir lesen, daß der Name des für Deutschland erworbnen chine¬
sischen Hafens jetzt offiziell festgelegt worden sei: wir sollen fortan Kiautschou
schreiben. Diese Schreibweise mag nrchinesisch sein, man wird darüber Experte
vernommen haben; mir tritt hier aber wieder eine Eigentümlichkeit unsrer Auto¬
ritäten entgegen, über die ich mich schou oft gewundert habe. Wenn ich nicht irre,
bedeutet der Zusatz Tschou deu Gattungsbegriff eiuer Kreis- oder Bezirksstadt, wie
das angehängte „Fu" einen Hauptort der Provinz bezeichnet; jedenfalls findet man
auf der Karte viele chinesische Orte mit dem Znsntz Fu oder Tschou. Wäre es
nun nicht am einfachsten, sich mit Kiau zu begnügen und sich um die chinesische
Orthographie nicht weiter zu kümmern, als für den Verkehr nötig ist? Wir
würden uns sechs Buchstaben ersparen in Wort und Schrift. Aber man scheint
in unsern Bureaus eine Vorliebe für lange Namen zu haben. Da bestehen noch
immer: „Deutsch-Südwestafriknnisches Schutzgebiet" und Deutsch-Ostafrikcmisches
Schutzgebiet"! Kann man sich etwas Pedantischeres, Schwerfälligeres ausdenken?
Als Lüderitz Angra Pegnena besetzte, sprach man einige Zeit lang von Lüdcritz-
land, aber unsre Bllrecmkraten kamen hinzu und machten, als wir an den Kuuene
gelangten, eine Kolonie mit dem längsten Namen, den die afrikanische Karte aus¬
weist. Andre Leute wären bei Liidcritzland geblieben oder hätten dem Gebiet den
ersten Volksnamen gegeben, der sich darbot, etwa Namaland, oder noch kürzer
Kolonie „Rama." Das läßt aber unsre Gewissenhaftigkeit, richtiger Pedanterie
nicht zu, denu „da sind ja auch noch Hereros und Bastarde und Bergdcimara."
Ebenso im Osten. Warum nicht „Petersland" oder — wenn das den liebenden
Herzen mancher zu bitter war — „Usagara" oder „Usmnbara," den ersten besten
Namen, den man im Lande fand? Ein Wunder, daß wir nicht statt Kamerun
>, Westafrikanisches Schutzgebiet" und statt Togo „Nordwestafrikanisches Schutzgebiet"
schreiben. „West, Südwest, Nordwest" — das wäre so hübsch vollständig, so
ordnungsmäßig gewesen; unsre Dorfschulmeister selbst hätten ihre Freude daran
gehabt! Denn unsre Büreauleute arbeiten hierin ganz im Sinne unsers hochge-
geschulten Publikums — das muß ich zugeben. Wir lieben nicht praktische Kürze,
sondern Ruinen und Bezeichnungen, die selbst gleich eine ganze Erklärung enthalten,
und gewöhnen uns gern ab, mit einem Billet in den Tram zu steigen, weil wir
„deutsch" sein wollen. Mein Gott! Niemand kann die Schwäche des deutschen
Selbstbewußtseins mehr bedauern als ich; aber für fo elend halte ich es denn doch
nicht, daß ich glauben könnte, die deutsche Sprache nud das deutsche Selbstgefühl
könnte durch „Fnhrscheiu" und „Pferdebahn" verbessert werden. Die Pedanterie
liegt darin, daß wir uns nicht entschließen können, einheimische Worte, die nicht
im Wörterbuch stehen, anzunehmen, wo wir sie finden, noch auch uus neue, fremde
Worte sprachlich bequem zu macheu, indem wir sie wo nötig deutsch umformen.
Wenn man uns zumutet. Tram zu sagen, so erhebt sich alsbald Widerspruch: „Es
heißt nicht Tram, sondern Trcnnway!" Möge es doch! Wir heißen es Tram —
würde ich antworten, und das ist ein gutes, deutsch klingendes Wort, das dadurch
nicht verliert, daß es englischen Ursprungs ist. Übrigens läßt der Engländer das
„way." selbst gern weg, so anstößig das unsern Pedanten vorkommen mag. Und
was „Billet" betrifft, so hätte selbst Luther wahrscheinlich nichts dagegen einzu¬
wenden gehabt; nur hätte er es vielleicht „Biljet" oder ähnlich geschrieben, zum
Entsetzen unsrer heutigen Schnlgclehrten, die nicht daran denken, daß kein Franzose
das Wort so ausspricht, wie wir es thun. Unsre Pedanterie geht sogar so weit,
daß wir uns oft bemühen, „Traumes" herauszubringen, um korrekt englisch zu
sein. Wer gar „Tramweg" sagen wollte, würde für ungebildet gelten. Und da ich
Nicht gerne solchen Vorwurf auf mich lenke, so gestehe ich lieber gleich ein, daß,


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[0157] Maßgebliches und Unmaßgebliches Kiau? Wir lesen, daß der Name des für Deutschland erworbnen chine¬ sischen Hafens jetzt offiziell festgelegt worden sei: wir sollen fortan Kiautschou schreiben. Diese Schreibweise mag nrchinesisch sein, man wird darüber Experte vernommen haben; mir tritt hier aber wieder eine Eigentümlichkeit unsrer Auto¬ ritäten entgegen, über die ich mich schou oft gewundert habe. Wenn ich nicht irre, bedeutet der Zusatz Tschou deu Gattungsbegriff eiuer Kreis- oder Bezirksstadt, wie das angehängte „Fu" einen Hauptort der Provinz bezeichnet; jedenfalls findet man auf der Karte viele chinesische Orte mit dem Znsntz Fu oder Tschou. Wäre es nun nicht am einfachsten, sich mit Kiau zu begnügen und sich um die chinesische Orthographie nicht weiter zu kümmern, als für den Verkehr nötig ist? Wir würden uns sechs Buchstaben ersparen in Wort und Schrift. Aber man scheint in unsern Bureaus eine Vorliebe für lange Namen zu haben. Da bestehen noch immer: „Deutsch-Südwestafriknnisches Schutzgebiet" und Deutsch-Ostafrikcmisches Schutzgebiet"! Kann man sich etwas Pedantischeres, Schwerfälligeres ausdenken? Als Lüderitz Angra Pegnena besetzte, sprach man einige Zeit lang von Lüdcritz- land, aber unsre Bllrecmkraten kamen hinzu und machten, als wir an den Kuuene gelangten, eine Kolonie mit dem längsten Namen, den die afrikanische Karte aus¬ weist. Andre Leute wären bei Liidcritzland geblieben oder hätten dem Gebiet den ersten Volksnamen gegeben, der sich darbot, etwa Namaland, oder noch kürzer Kolonie „Rama." Das läßt aber unsre Gewissenhaftigkeit, richtiger Pedanterie nicht zu, denu „da sind ja auch noch Hereros und Bastarde und Bergdcimara." Ebenso im Osten. Warum nicht „Petersland" oder — wenn das den liebenden Herzen mancher zu bitter war — „Usagara" oder „Usmnbara," den ersten besten Namen, den man im Lande fand? Ein Wunder, daß wir nicht statt Kamerun >, Westafrikanisches Schutzgebiet" und statt Togo „Nordwestafrikanisches Schutzgebiet" schreiben. „West, Südwest, Nordwest" — das wäre so hübsch vollständig, so ordnungsmäßig gewesen; unsre Dorfschulmeister selbst hätten ihre Freude daran gehabt! Denn unsre Büreauleute arbeiten hierin ganz im Sinne unsers hochge- geschulten Publikums — das muß ich zugeben. Wir lieben nicht praktische Kürze, sondern Ruinen und Bezeichnungen, die selbst gleich eine ganze Erklärung enthalten, und gewöhnen uns gern ab, mit einem Billet in den Tram zu steigen, weil wir „deutsch" sein wollen. Mein Gott! Niemand kann die Schwäche des deutschen Selbstbewußtseins mehr bedauern als ich; aber für fo elend halte ich es denn doch nicht, daß ich glauben könnte, die deutsche Sprache nud das deutsche Selbstgefühl könnte durch „Fnhrscheiu" und „Pferdebahn" verbessert werden. Die Pedanterie liegt darin, daß wir uns nicht entschließen können, einheimische Worte, die nicht im Wörterbuch stehen, anzunehmen, wo wir sie finden, noch auch uus neue, fremde Worte sprachlich bequem zu macheu, indem wir sie wo nötig deutsch umformen. Wenn man uns zumutet. Tram zu sagen, so erhebt sich alsbald Widerspruch: „Es heißt nicht Tram, sondern Trcnnway!" Möge es doch! Wir heißen es Tram — würde ich antworten, und das ist ein gutes, deutsch klingendes Wort, das dadurch nicht verliert, daß es englischen Ursprungs ist. Übrigens läßt der Engländer das „way." selbst gern weg, so anstößig das unsern Pedanten vorkommen mag. Und was „Billet" betrifft, so hätte selbst Luther wahrscheinlich nichts dagegen einzu¬ wenden gehabt; nur hätte er es vielleicht „Biljet" oder ähnlich geschrieben, zum Entsetzen unsrer heutigen Schnlgclehrten, die nicht daran denken, daß kein Franzose das Wort so ausspricht, wie wir es thun. Unsre Pedanterie geht sogar so weit, daß wir uns oft bemühen, „Traumes" herauszubringen, um korrekt englisch zu sein. Wer gar „Tramweg" sagen wollte, würde für ungebildet gelten. Und da ich Nicht gerne solchen Vorwurf auf mich lenke, so gestehe ich lieber gleich ein, daß,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/157>, abgerufen am 23.07.2024.