Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Litteratur schichten teils zu philologisch studirt, teils zu derb und geradezu unanständig. Für Vielleicht erinnern sich noch einige Leser des sehr anziehenden Romans Auflagen. Die Cvttasche Buchhandlung fühlt sich durch die Bemerkung Litteratur schichten teils zu philologisch studirt, teils zu derb und geradezu unanständig. Für Vielleicht erinnern sich noch einige Leser des sehr anziehenden Romans Auflagen. Die Cvttasche Buchhandlung fühlt sich durch die Bemerkung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227739"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_256" prev="#ID_255"> schichten teils zu philologisch studirt, teils zu derb und geradezu unanständig. Für<lb/> Sohureys „Landjugend" wären sie jedenfalls nicht geeignet. — Wenn Fräulein<lb/> Voigt daran läge, zu wissen, inwiefern wir sie bei aller Anerkennung doch als<lb/> Anfängerin bezeichnen zu müssen glauben, so würden wir ihr empfehlen, die Er¬<lb/> zählung einer Meisterin zu lesen: Freund Vorwärts von P. Stnrsberg<lb/> (Eduard Moos, Leipzig, Erfurt, Zürich).</p><lb/> <p xml:id="ID_257"> Vielleicht erinnern sich noch einige Leser des sehr anziehenden Romans<lb/> „Jan de Ritter" derselben Verfasserin (wir hielten sie damals aus Unkunde<lb/> für einen Mann). Auch dieser neue, „Freund Vorwärts" führt uns in ein<lb/> kleines holländisches Dorf nicht weit von der deutschen Grenze, und die Ver¬<lb/> hältnisse sind von den deutschen nicht sehr verschieden. Hinter der sehr leben¬<lb/> digen Erzählung und deu durchweg sympathischen handelnden Personen steht<lb/> wieder, wie schon in Jan de Ritter, ein soziales Problem, nämlich wie die Ver¬<lb/> feinerung der Lebensverhältnisse auf dem Dorfe wirkt. Das wird uns in dem<lb/> Geschäfte und in der Familie eines kleinen Handelsmanns sehr hübsch vorgestellt.<lb/> Die Schilderung hat einen hohen Grad von Vollendung: im Äußerlichen anstatt<lb/> der anfängerhaften Beschreibung nur wenig Striche, die aber genügend deutlich<lb/> sind, erst mit der Vertiefung des psychologischen Gebiets wird die Zeichnung aus¬<lb/> führlicher, aber auch denn ist nichts überflüssiges dabei, was nachschleppt, wir werden<lb/> immer in Aufmerksamkeit erhalten. Die Verfasserin hat ein ungewöhnliches Talent,<lb/> aus einfachen Gegenständen etwas ganz besondres zu machen. — Und nun noch das<lb/> Beste zuletzt: Agricola, Bauerugeschichten, erzählt von Dr. Ludwig Thoma<lb/> (Passau, Waldbauer) in einer sehr originellen Ausstattung mit scharf skizzirenden<lb/> Abbildungen und vorzüglichem Druck. Diese Geschichten aus drei benachbarten<lb/> Bauerudörfern in der Nähe von München sind einfach brillant! So sind die<lb/> Menschen, alles daran leibt und lebt, wir werden anschaulich belehrt, gut unter¬<lb/> halten und von Herzen erheitert. Der Dialekt der Unterhaltung ist echt, aber all¬<lb/> gemein verständlich, die Sprache der Erztthluug dem Dialekt leise angenähert, die<lb/> Diktion also einheitlich abgetönt, und das Ganze darum ein kleines litterarisches<lb/> Kunstwerk. Nebenbei gesagt, diese libet berufnen bayrischen Bauern kommen einem<lb/> im Grnnde ihres Herzens ein ganzes Teil anständiger vor, als z. B. die Spree-<lb/> wäldler Vittrichs. Aber nnn noch ein weiter ausgreifendes Urteil. Künstlerisch<lb/> übertreffen diese Erzählungen von Thoma nicht nur die Bauerngeschichten von<lb/> Bittrich, Helene Voigt und selbst Sohnrey, sondern die gesamte norddeutsche Dorf-<lb/> geschichteulitteratur hat kaum etwas hervorgebracht, was sich ihnen an die Seite<lb/> stellen ließe. Und dies Verhältnis hat zweierlei Ursachen. Einmal hat die Technik<lb/> der süddeutschen Dorfgeschichten eine lange litterarische Vergangenheit, in der bereits<lb/> alle möglichen Kunstgriffe und Feinheiten erprobt werden konnten. Sodann aber<lb/> ist auch der Rohstoff schou dankbarer als im Norden. In den süddeutschen<lb/> Stämmen pulsirt uun einmal das Blut munterer, also werden auch die Äußerungen<lb/> dieser Gefühle origineller sein müssen, die Natur kommt der Poetik des Schrift¬<lb/> stellers schon entgegen, und nachher in dem Ergebnis stimmt dann meistens alles<lb/> so wohl zu einander, daß man Natur und Dichtung nicht mehr zu unterscheiden<lb/> wüßte, während in fast allen norddeutschen Geschichten dieser Art die Bemühungen<lb/> des Schriftstellers an dem ungefügen Stoff ihre Spuren zurückgelassen haben. Je<lb/> tiefer sie hinabsteigen, desto unästhetischer werden sie.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="2"> <head> Auflagen.</head> <p xml:id="ID_258" next="#ID_259"> Die Cvttasche Buchhandlung fühlt sich durch die Bemerkung<lb/> unsers Aufsatzes über Sudermanns „Johannes" in Heft 10 d. I. gekränkt, es<lb/> gehöre zu den Begleiterscheinungen, mit denen die „Sensationen" — d. h. also</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0103]
Litteratur
schichten teils zu philologisch studirt, teils zu derb und geradezu unanständig. Für
Sohureys „Landjugend" wären sie jedenfalls nicht geeignet. — Wenn Fräulein
Voigt daran läge, zu wissen, inwiefern wir sie bei aller Anerkennung doch als
Anfängerin bezeichnen zu müssen glauben, so würden wir ihr empfehlen, die Er¬
zählung einer Meisterin zu lesen: Freund Vorwärts von P. Stnrsberg
(Eduard Moos, Leipzig, Erfurt, Zürich).
Vielleicht erinnern sich noch einige Leser des sehr anziehenden Romans
„Jan de Ritter" derselben Verfasserin (wir hielten sie damals aus Unkunde
für einen Mann). Auch dieser neue, „Freund Vorwärts" führt uns in ein
kleines holländisches Dorf nicht weit von der deutschen Grenze, und die Ver¬
hältnisse sind von den deutschen nicht sehr verschieden. Hinter der sehr leben¬
digen Erzählung und deu durchweg sympathischen handelnden Personen steht
wieder, wie schon in Jan de Ritter, ein soziales Problem, nämlich wie die Ver¬
feinerung der Lebensverhältnisse auf dem Dorfe wirkt. Das wird uns in dem
Geschäfte und in der Familie eines kleinen Handelsmanns sehr hübsch vorgestellt.
Die Schilderung hat einen hohen Grad von Vollendung: im Äußerlichen anstatt
der anfängerhaften Beschreibung nur wenig Striche, die aber genügend deutlich
sind, erst mit der Vertiefung des psychologischen Gebiets wird die Zeichnung aus¬
führlicher, aber auch denn ist nichts überflüssiges dabei, was nachschleppt, wir werden
immer in Aufmerksamkeit erhalten. Die Verfasserin hat ein ungewöhnliches Talent,
aus einfachen Gegenständen etwas ganz besondres zu machen. — Und nun noch das
Beste zuletzt: Agricola, Bauerugeschichten, erzählt von Dr. Ludwig Thoma
(Passau, Waldbauer) in einer sehr originellen Ausstattung mit scharf skizzirenden
Abbildungen und vorzüglichem Druck. Diese Geschichten aus drei benachbarten
Bauerudörfern in der Nähe von München sind einfach brillant! So sind die
Menschen, alles daran leibt und lebt, wir werden anschaulich belehrt, gut unter¬
halten und von Herzen erheitert. Der Dialekt der Unterhaltung ist echt, aber all¬
gemein verständlich, die Sprache der Erztthluug dem Dialekt leise angenähert, die
Diktion also einheitlich abgetönt, und das Ganze darum ein kleines litterarisches
Kunstwerk. Nebenbei gesagt, diese libet berufnen bayrischen Bauern kommen einem
im Grnnde ihres Herzens ein ganzes Teil anständiger vor, als z. B. die Spree-
wäldler Vittrichs. Aber nnn noch ein weiter ausgreifendes Urteil. Künstlerisch
übertreffen diese Erzählungen von Thoma nicht nur die Bauerngeschichten von
Bittrich, Helene Voigt und selbst Sohnrey, sondern die gesamte norddeutsche Dorf-
geschichteulitteratur hat kaum etwas hervorgebracht, was sich ihnen an die Seite
stellen ließe. Und dies Verhältnis hat zweierlei Ursachen. Einmal hat die Technik
der süddeutschen Dorfgeschichten eine lange litterarische Vergangenheit, in der bereits
alle möglichen Kunstgriffe und Feinheiten erprobt werden konnten. Sodann aber
ist auch der Rohstoff schou dankbarer als im Norden. In den süddeutschen
Stämmen pulsirt uun einmal das Blut munterer, also werden auch die Äußerungen
dieser Gefühle origineller sein müssen, die Natur kommt der Poetik des Schrift¬
stellers schon entgegen, und nachher in dem Ergebnis stimmt dann meistens alles
so wohl zu einander, daß man Natur und Dichtung nicht mehr zu unterscheiden
wüßte, während in fast allen norddeutschen Geschichten dieser Art die Bemühungen
des Schriftstellers an dem ungefügen Stoff ihre Spuren zurückgelassen haben. Je
tiefer sie hinabsteigen, desto unästhetischer werden sie.
Auflagen. Die Cvttasche Buchhandlung fühlt sich durch die Bemerkung
unsers Aufsatzes über Sudermanns „Johannes" in Heft 10 d. I. gekränkt, es
gehöre zu den Begleiterscheinungen, mit denen die „Sensationen" — d. h. also
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