Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches annehmen, das sich an diesem edeln und konfessionell gänzlich vorwurfsfreien Daß sich solche bodenlosen Albernheiten und Unwissenheiten selber richten, ist Deutsche oder lateinische Schrift? Man fürchte keine gelehrte Ab¬ Manche Gegner der deutschen Schrift belehren uns, daß diese schon deshalb Aber, heißt es nnn, unsre Schrift sei auch nichts eigentümlich Deutsches, Maßgebliches und Unmaßgebliches annehmen, das sich an diesem edeln und konfessionell gänzlich vorwurfsfreien Daß sich solche bodenlosen Albernheiten und Unwissenheiten selber richten, ist Deutsche oder lateinische Schrift? Man fürchte keine gelehrte Ab¬ Manche Gegner der deutschen Schrift belehren uns, daß diese schon deshalb Aber, heißt es nnn, unsre Schrift sei auch nichts eigentümlich Deutsches, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0724" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227626"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2549" prev="#ID_2548"> annehmen, das sich an diesem edeln und konfessionell gänzlich vorwurfsfreien<lb/> Schauspiel sicher erwärmt hätte. Darf aber ein Mann, der den Ansprüchen einer<lb/> allgemeinen Bildung so wenig genügt, litterarische Fragen überhaupt behandeln?<lb/> Übrigens ist es erheiternd, wie die Redaktion in einer besondern Anmerkung ihren<lb/> Mitarbeiter ergänzt; es wird nämlich zu dem Namen von Julius Wolff, der uach<lb/> Gottschall als vierter abgekanzelt wird, unter dem Text wörtlich bemerkt! Julius<lb/> Wolff ist trotz seines jüdisch klingenden Namens kein Jude, doch find seine Dich¬<lb/> tungen nicht minder ungefährlich (so!) für jugendliche Gemüter. D. Red. Man<lb/> ficht, daß Redaktion und Autor einander würdig sind, und nimmt nach all diesem<lb/> Unfug endlich fast mit Erstannen wahr, daß Gustav Freytag, „dem wirkliche Große<lb/> nicht abzusprechen ist, der aber bei der Vernnglimpfnng der katholischen Kirche be¬<lb/> kanntlich in den ersten Reihen der Streiter steht," nicht schließlich auch noch für<lb/> einen Juden erklärt wird. Wenn Verfasser und Redaktion einmal sein Bildnis<lb/> gesehen hätten, würden sie vielleicht hinzugesetzt haben: trotz seines Aussehens.<lb/> Aber das wird ihnen ebenso unbekannt geblieben sein wie seine Ehe mit einer<lb/> Jüdin, die sonst von dieser Seite sicherlich auch ausgenützt worden wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2550"> Daß sich solche bodenlosen Albernheiten und Unwissenheiten selber richten, ist<lb/> nun nicht unbedingt der Fall. Hat doch bald nach dem Erscheinen des behandelten<lb/> Artikels die gelesenste westpreußische Zeitung, der Gesellige, einem an seinem Blatt<lb/> irregewordncn, wahrhcitsdnrstigcn Leser tiefen Ernstes und mit einigen Einzelheiten<lb/> versichern müssen, daß Paul Hesse trotz des Wcstpreußischen Volksblattes — kein<lb/> Jude sei. Und da soll es noch leicht sein, keine Satiren zu schreiben!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Deutsche oder lateinische Schrift?</head> <p xml:id="ID_2551"> Man fürchte keine gelehrte Ab¬<lb/> handlung, denn diese Frage, die jeden Deutschen angeht, kann man glücklicherweise<lb/> beantworten ohne Fachgelehrsamkeit. Ja es ist, wie wir gleich sehen werden, gar<lb/> nicht angebracht, den Fachgelehrten in dieser Frage die alleinige Entscheidung zu<lb/> überlasse».</p><lb/> <p xml:id="ID_2552"> Manche Gegner der deutschen Schrift belehren uns, daß diese schon deshalb<lb/> kein Recht habe, länger beibehalten zu werde», weil sie gar nicht original, sondern<lb/> durch die verzierende, schnörkelnde Hand der Mönche seit dem zwölften oder drei¬<lb/> zehnten Jahrhundert aus der lateinischen Minuskel entstanden sei. Nun wäre zu¬<lb/> nächst zu erwidern, daß unsre jetzige sogenannte lateinische Schrift, die „Antigua,"<lb/> doch auch uur eine Nachbildung der altrömischen Schrift ist, oder genauer, daß sie<lb/> sich erst im Lauf vieler Jahrhunderte ans der römischen Kapitalschrift entwickelt<lb/> hat, also ein recht später Nachkomme der altrömischen Schrift ist. Und weiter:<lb/> war denn die römische Schrift selber „original"? Sie ist doch aus der griechischen<lb/> entstanden, die Griechen aber waren wieder nicht ganz original, sondern bildeten<lb/> sich ihre Buchstaben aus den semitischen. Da müßten wir also zum Phöuizischen<lb/> Alphabet zurückkehren? Schade nnr, daß wir dann vielleicht immer noch nicht<lb/> durchaus original wären; denn schließlich wird doch das phönizische Alphabet auf<lb/> die äghptischen Hieroglyphen zurückgehen. Also den kindischen Einwand von der<lb/> mangelnden Originalität sollte man beiseite lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2553" next="#ID_2554"> Aber, heißt es nnn, unsre Schrift sei auch nichts eigentümlich Deutsches,<lb/> nicht einmal etwas eigentümlich Germanisches, denn jene Mönchsschrift, die eckige<lb/> Minuskel, sei im Mittelalter auch bei deu romanischen Völkern gebraucht worden.<lb/> Richtig! Aber sie ist uach Erfindung der Bnchoruckerknnst in Deutschland zu ihrer<lb/> jetzigen Gestalt umgebildet (besonders durch Albrecht Dürer) und zunächst auch von<lb/> den meisten übrigen germanischen Völkern beibehalten worden. Freilich wird sie</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0724]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
annehmen, das sich an diesem edeln und konfessionell gänzlich vorwurfsfreien
Schauspiel sicher erwärmt hätte. Darf aber ein Mann, der den Ansprüchen einer
allgemeinen Bildung so wenig genügt, litterarische Fragen überhaupt behandeln?
Übrigens ist es erheiternd, wie die Redaktion in einer besondern Anmerkung ihren
Mitarbeiter ergänzt; es wird nämlich zu dem Namen von Julius Wolff, der uach
Gottschall als vierter abgekanzelt wird, unter dem Text wörtlich bemerkt! Julius
Wolff ist trotz seines jüdisch klingenden Namens kein Jude, doch find seine Dich¬
tungen nicht minder ungefährlich (so!) für jugendliche Gemüter. D. Red. Man
ficht, daß Redaktion und Autor einander würdig sind, und nimmt nach all diesem
Unfug endlich fast mit Erstannen wahr, daß Gustav Freytag, „dem wirkliche Große
nicht abzusprechen ist, der aber bei der Vernnglimpfnng der katholischen Kirche be¬
kanntlich in den ersten Reihen der Streiter steht," nicht schließlich auch noch für
einen Juden erklärt wird. Wenn Verfasser und Redaktion einmal sein Bildnis
gesehen hätten, würden sie vielleicht hinzugesetzt haben: trotz seines Aussehens.
Aber das wird ihnen ebenso unbekannt geblieben sein wie seine Ehe mit einer
Jüdin, die sonst von dieser Seite sicherlich auch ausgenützt worden wäre.
Daß sich solche bodenlosen Albernheiten und Unwissenheiten selber richten, ist
nun nicht unbedingt der Fall. Hat doch bald nach dem Erscheinen des behandelten
Artikels die gelesenste westpreußische Zeitung, der Gesellige, einem an seinem Blatt
irregewordncn, wahrhcitsdnrstigcn Leser tiefen Ernstes und mit einigen Einzelheiten
versichern müssen, daß Paul Hesse trotz des Wcstpreußischen Volksblattes — kein
Jude sei. Und da soll es noch leicht sein, keine Satiren zu schreiben!
Deutsche oder lateinische Schrift? Man fürchte keine gelehrte Ab¬
handlung, denn diese Frage, die jeden Deutschen angeht, kann man glücklicherweise
beantworten ohne Fachgelehrsamkeit. Ja es ist, wie wir gleich sehen werden, gar
nicht angebracht, den Fachgelehrten in dieser Frage die alleinige Entscheidung zu
überlasse».
Manche Gegner der deutschen Schrift belehren uns, daß diese schon deshalb
kein Recht habe, länger beibehalten zu werde», weil sie gar nicht original, sondern
durch die verzierende, schnörkelnde Hand der Mönche seit dem zwölften oder drei¬
zehnten Jahrhundert aus der lateinischen Minuskel entstanden sei. Nun wäre zu¬
nächst zu erwidern, daß unsre jetzige sogenannte lateinische Schrift, die „Antigua,"
doch auch uur eine Nachbildung der altrömischen Schrift ist, oder genauer, daß sie
sich erst im Lauf vieler Jahrhunderte ans der römischen Kapitalschrift entwickelt
hat, also ein recht später Nachkomme der altrömischen Schrift ist. Und weiter:
war denn die römische Schrift selber „original"? Sie ist doch aus der griechischen
entstanden, die Griechen aber waren wieder nicht ganz original, sondern bildeten
sich ihre Buchstaben aus den semitischen. Da müßten wir also zum Phöuizischen
Alphabet zurückkehren? Schade nnr, daß wir dann vielleicht immer noch nicht
durchaus original wären; denn schließlich wird doch das phönizische Alphabet auf
die äghptischen Hieroglyphen zurückgehen. Also den kindischen Einwand von der
mangelnden Originalität sollte man beiseite lassen.
Aber, heißt es nnn, unsre Schrift sei auch nichts eigentümlich Deutsches,
nicht einmal etwas eigentümlich Germanisches, denn jene Mönchsschrift, die eckige
Minuskel, sei im Mittelalter auch bei deu romanischen Völkern gebraucht worden.
Richtig! Aber sie ist uach Erfindung der Bnchoruckerknnst in Deutschland zu ihrer
jetzigen Gestalt umgebildet (besonders durch Albrecht Dürer) und zunächst auch von
den meisten übrigen germanischen Völkern beibehalten worden. Freilich wird sie
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