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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Zehn Jahre deutscher Kämpfe. Schriften zur Tagespolitik von Heinrich von Treitschke.
Z. Auflage, 2 Bände, Berlin, G, Reimer, 1807

Schon die zweite Auflage dieser bekannten Sammlung von Tcigesschriftcn
Treitschkes (1879), die meist in den Preußischen Jahrbüchern erschienen waren,
umfaßte nicht mehr zehn, sondern fünfzehn Jahre. Trotzdem hat der Verfasser
damals den einmal eingeführten Titel unverändert gelassen, und auch der Heraus¬
geber dieser dritten Auflage, Erich Liesegang, hat daran festgehalten, aber der
Zweckmäßigkeit wegen den Inhalt in zwei Bände geteilt, von denen der erste die
Jahre 1865 bis 1870, der zweite die Zeit von 1871 bis 1379 umfaßt. Neue
Stücke sind also nicht hinzugekommen (der Aufsatz "Unsre Aussichten" ist sogar der
neuen Folge der deutscheu Kämpfe zugewiesen worden), wohl aber ein vorzüglich aus¬
geführtes Bildnis Treitschkes mit feinem Namenszuge. Wenn eine solche Sammlung
von Aufsätzen, die in der Erregung des Tages entstanden und auf die Wirkung für
den Tag berechnet sind, noch dreiundzwanzig oder achtzehn Jahre nach ihrem ersten
Erscheinen unter gänzlich verwandelten Verhältnissen wieder aufgelegt wird, so ist
schon damit der Beweis für ihren innern Wert geliefert. Und dieser Wert liegt
nicht nur darin, daß die Aufsätze den Entwicklungsgang dieses größten aller deutschen
Publizisten vergegenwärtigen und in die Kämpfe dieser gewaltigen Zeit einen tiefen
Einblick verstatten, sondern daß sie, obwohl sie nunmehr weit zurückliegende Dinge
behandeln, doch mitunter wie für die Gegenwart geschrieben sind und auf den
Leser wirken wie ein Stahlbad. Die unbestechliche mannhafte Wahrheitsliebe, der
lautere Patriotismus, der sich stetig auf ein Ziel richtet und sich nicht durch irgend¬
welche kleinliche Sonderinteressen der Parteien oder der Landschaften ablenken läßt,
die Besonnenheit in den einzelnen Vorschlägen und Forderungen, der tiefe sittliche
Ernst und ein oft geradezu prophetischer Scharfblick in die Zukunft treten überall
hervor. Artikel, wie "Österreich und das deutsche Reich" (vom Dezember 1371),
"Die Türkei und die Großmächte" (vom Juni 1376), "Deutschland und die orien¬
talische Frage" (vom Dezember desselben Jahres), oder der berühmte große Aufsatz
"Der Sozialismus und seine Gönner" (1874), "Bund und Reich" (1874) ent¬
halten unvergängliche Wahrheiten, die heute nur zu oft verdunkelt oder vergessen
werden, Warnungsrufe, die zum ernstesten Nachdenken und zur Einkehr anregen,
und Weissagungen für die Zukunft aus dem tiefsten Verständnis unsers Volkslebens
und der gesamten europäischen Gesellschaft heraus. Für reife Männer, die mit
Bewußtsein und mit innerer Teilnahme diese Jahrzehnte erlebt haben, kann es kein
* schöneres Buch geben.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

Zehn Jahre deutscher Kämpfe. Schriften zur Tagespolitik von Heinrich von Treitschke.
Z. Auflage, 2 Bände, Berlin, G, Reimer, 1807

Schon die zweite Auflage dieser bekannten Sammlung von Tcigesschriftcn
Treitschkes (1879), die meist in den Preußischen Jahrbüchern erschienen waren,
umfaßte nicht mehr zehn, sondern fünfzehn Jahre. Trotzdem hat der Verfasser
damals den einmal eingeführten Titel unverändert gelassen, und auch der Heraus¬
geber dieser dritten Auflage, Erich Liesegang, hat daran festgehalten, aber der
Zweckmäßigkeit wegen den Inhalt in zwei Bände geteilt, von denen der erste die
Jahre 1865 bis 1870, der zweite die Zeit von 1871 bis 1379 umfaßt. Neue
Stücke sind also nicht hinzugekommen (der Aufsatz „Unsre Aussichten" ist sogar der
neuen Folge der deutscheu Kämpfe zugewiesen worden), wohl aber ein vorzüglich aus¬
geführtes Bildnis Treitschkes mit feinem Namenszuge. Wenn eine solche Sammlung
von Aufsätzen, die in der Erregung des Tages entstanden und auf die Wirkung für
den Tag berechnet sind, noch dreiundzwanzig oder achtzehn Jahre nach ihrem ersten
Erscheinen unter gänzlich verwandelten Verhältnissen wieder aufgelegt wird, so ist
schon damit der Beweis für ihren innern Wert geliefert. Und dieser Wert liegt
nicht nur darin, daß die Aufsätze den Entwicklungsgang dieses größten aller deutschen
Publizisten vergegenwärtigen und in die Kämpfe dieser gewaltigen Zeit einen tiefen
Einblick verstatten, sondern daß sie, obwohl sie nunmehr weit zurückliegende Dinge
behandeln, doch mitunter wie für die Gegenwart geschrieben sind und auf den
Leser wirken wie ein Stahlbad. Die unbestechliche mannhafte Wahrheitsliebe, der
lautere Patriotismus, der sich stetig auf ein Ziel richtet und sich nicht durch irgend¬
welche kleinliche Sonderinteressen der Parteien oder der Landschaften ablenken läßt,
die Besonnenheit in den einzelnen Vorschlägen und Forderungen, der tiefe sittliche
Ernst und ein oft geradezu prophetischer Scharfblick in die Zukunft treten überall
hervor. Artikel, wie „Österreich und das deutsche Reich" (vom Dezember 1371),
„Die Türkei und die Großmächte" (vom Juni 1376), „Deutschland und die orien¬
talische Frage" (vom Dezember desselben Jahres), oder der berühmte große Aufsatz
„Der Sozialismus und seine Gönner" (1874), „Bund und Reich" (1874) ent¬
halten unvergängliche Wahrheiten, die heute nur zu oft verdunkelt oder vergessen
werden, Warnungsrufe, die zum ernstesten Nachdenken und zur Einkehr anregen,
und Weissagungen für die Zukunft aus dem tiefsten Verständnis unsers Volkslebens
und der gesamten europäischen Gesellschaft heraus. Für reife Männer, die mit
Bewußtsein und mit innerer Teilnahme diese Jahrzehnte erlebt haben, kann es kein
* schöneres Buch geben.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0064] Litteratur Zehn Jahre deutscher Kämpfe. Schriften zur Tagespolitik von Heinrich von Treitschke. Z. Auflage, 2 Bände, Berlin, G, Reimer, 1807 Schon die zweite Auflage dieser bekannten Sammlung von Tcigesschriftcn Treitschkes (1879), die meist in den Preußischen Jahrbüchern erschienen waren, umfaßte nicht mehr zehn, sondern fünfzehn Jahre. Trotzdem hat der Verfasser damals den einmal eingeführten Titel unverändert gelassen, und auch der Heraus¬ geber dieser dritten Auflage, Erich Liesegang, hat daran festgehalten, aber der Zweckmäßigkeit wegen den Inhalt in zwei Bände geteilt, von denen der erste die Jahre 1865 bis 1870, der zweite die Zeit von 1871 bis 1379 umfaßt. Neue Stücke sind also nicht hinzugekommen (der Aufsatz „Unsre Aussichten" ist sogar der neuen Folge der deutscheu Kämpfe zugewiesen worden), wohl aber ein vorzüglich aus¬ geführtes Bildnis Treitschkes mit feinem Namenszuge. Wenn eine solche Sammlung von Aufsätzen, die in der Erregung des Tages entstanden und auf die Wirkung für den Tag berechnet sind, noch dreiundzwanzig oder achtzehn Jahre nach ihrem ersten Erscheinen unter gänzlich verwandelten Verhältnissen wieder aufgelegt wird, so ist schon damit der Beweis für ihren innern Wert geliefert. Und dieser Wert liegt nicht nur darin, daß die Aufsätze den Entwicklungsgang dieses größten aller deutschen Publizisten vergegenwärtigen und in die Kämpfe dieser gewaltigen Zeit einen tiefen Einblick verstatten, sondern daß sie, obwohl sie nunmehr weit zurückliegende Dinge behandeln, doch mitunter wie für die Gegenwart geschrieben sind und auf den Leser wirken wie ein Stahlbad. Die unbestechliche mannhafte Wahrheitsliebe, der lautere Patriotismus, der sich stetig auf ein Ziel richtet und sich nicht durch irgend¬ welche kleinliche Sonderinteressen der Parteien oder der Landschaften ablenken läßt, die Besonnenheit in den einzelnen Vorschlägen und Forderungen, der tiefe sittliche Ernst und ein oft geradezu prophetischer Scharfblick in die Zukunft treten überall hervor. Artikel, wie „Österreich und das deutsche Reich" (vom Dezember 1371), „Die Türkei und die Großmächte" (vom Juni 1376), „Deutschland und die orien¬ talische Frage" (vom Dezember desselben Jahres), oder der berühmte große Aufsatz „Der Sozialismus und seine Gönner" (1874), „Bund und Reich" (1874) ent¬ halten unvergängliche Wahrheiten, die heute nur zu oft verdunkelt oder vergessen werden, Warnungsrufe, die zum ernstesten Nachdenken und zur Einkehr anregen, und Weissagungen für die Zukunft aus dem tiefsten Verständnis unsers Volkslebens und der gesamten europäischen Gesellschaft heraus. Für reife Männer, die mit Bewußtsein und mit innerer Teilnahme diese Jahrzehnte erlebt haben, kann es kein * schöneres Buch geben. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/64>, abgerufen am 05.01.2025.