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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Mängeln, aber sie kann sich in dieser unvollkommnen Welt schon sehen lassen.
Nehmen wir nun noch hinzu, daß wir das, was man gewöhnlich unter Parlamen¬
tarismus versteht, die Parteiregierung, in Deutschland überhaupt nicht haben, so
können wir sagen, daß der deutsche Parlamentarismus von der Offcrmcmnschen
Kritik eigentlich wenig getroffen wird. Der der romanischen Staaten freilich desto
mehr, vom österreichischen nicht zu reden, von dem mau vorläufig nicht weiß, ob
er in Zisleithcmien überhaupt noch vorhanden ist.




Litteratur
Hie gut Württemberg allewege! Ein litterarisches Jahrbuch aus Schwaben. Erster Band.
Heilbronn, Eugen Salzer, 1893

Wie sehr wir auch in politischen Dingen auf eine geschlossene, kräftige Reichs¬
einheit dringen, so möchten wir doch nicht den Partikularismus, die Sonder¬
interessen der Stämme und Landschaften in der Dichtung und in den musischen
und bildenden Künsten missen. Wir haben schon genug über das Eindringen der
vielgepriesenen "modernen" Kultur in die entlegensten Gebirgsgegenden und Heide-
landschaften unsers Vaterlands zu klagen, über diese öde Gleichmacherei, die alles
urwüchsige Volkstum so gründlich vernichtet, daß sich die Museen schon als rettende
Häfen aufthun müssen, um wenigstens etwas von altdeutschem Hausrat, altdeutscher
Hausknnst und Tracht zu retten. Darum sind uus Sammelstellen, wie sie das
schwäbische Jahrbuch für Dichtung, Litteratur und Kunst begründen will, sehr will¬
kommen, auch wenn, was hier der Fall ist, der gute Wille stärker war als die
vollbrachte That. Es ist aber ein erster Versuch, den der Verleger unter dem
Eindruck der über eiuen großen Teil Württembergs hereingebrochnen Unwetter und
Überschwemmungen schnell unternommen und durchgeführt hat. Nur kurze Zeit
stand ihm zur Verfügung, wenn er wirklich, wie er sichs vorgenommen hatte, den
durch Hagelschlag geschädigten Landleuten etwas helfen wollte. Trotzdem ist ihm
mehr gelungen, als er vielleicht selbst erwartet hat. Viel berühmte Namen wird
mau freilich nicht finden. Die Dichter Württembergs, deren Namen in ganz
Deutschland geschätzt werden, haben sich noch zurückgehalten. Nur Isolde Kurz
hat sich mit einer wunderlichen Plauderei mystisch-psychologischen Inhalts beteiligt,
und Eduard Paulus hat zwei Gedichte gebracht, die in wenigen schlichten Strophen
einen wahren Reichtum von inniger Empfindung und sinniger Betrachtung des
Vergangnen und Gegenwärtigen enthüllen. Desto mehr haben sich die nur in
kleinern Kreisen bekannten Volksdichter und die Schriftsteller Stuttgarts angestrengt,
ihrem engern Vaterlande Ehre zu machen. Unter den Dialektdichtuugen von
Eduard Hiller, Gustav Seuffer und Eugen Keller findet man einige ganz prächtige
Sachen, die der an Volkslyrik bettelarm gewordne norddeutsche mit besondrer
Andacht lesen sollte, und in den Aufsätze" von Th. Ziegler über Hölderlin und
Nietzsche, von Eugen Schneider über die Adelsakademie in Tübingen und von
Adolf Palm über das Hoftheater in Stuttgart uuter dem jetzigen Könige ist maucher
wertvolle Beitrag zur Geschichte des geistigen Lebeus in Deutschland enthalten.


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Mängeln, aber sie kann sich in dieser unvollkommnen Welt schon sehen lassen.
Nehmen wir nun noch hinzu, daß wir das, was man gewöhnlich unter Parlamen¬
tarismus versteht, die Parteiregierung, in Deutschland überhaupt nicht haben, so
können wir sagen, daß der deutsche Parlamentarismus von der Offcrmcmnschen
Kritik eigentlich wenig getroffen wird. Der der romanischen Staaten freilich desto
mehr, vom österreichischen nicht zu reden, von dem mau vorläufig nicht weiß, ob
er in Zisleithcmien überhaupt noch vorhanden ist.




Litteratur
Hie gut Württemberg allewege! Ein litterarisches Jahrbuch aus Schwaben. Erster Band.
Heilbronn, Eugen Salzer, 1893

Wie sehr wir auch in politischen Dingen auf eine geschlossene, kräftige Reichs¬
einheit dringen, so möchten wir doch nicht den Partikularismus, die Sonder¬
interessen der Stämme und Landschaften in der Dichtung und in den musischen
und bildenden Künsten missen. Wir haben schon genug über das Eindringen der
vielgepriesenen „modernen" Kultur in die entlegensten Gebirgsgegenden und Heide-
landschaften unsers Vaterlands zu klagen, über diese öde Gleichmacherei, die alles
urwüchsige Volkstum so gründlich vernichtet, daß sich die Museen schon als rettende
Häfen aufthun müssen, um wenigstens etwas von altdeutschem Hausrat, altdeutscher
Hausknnst und Tracht zu retten. Darum sind uus Sammelstellen, wie sie das
schwäbische Jahrbuch für Dichtung, Litteratur und Kunst begründen will, sehr will¬
kommen, auch wenn, was hier der Fall ist, der gute Wille stärker war als die
vollbrachte That. Es ist aber ein erster Versuch, den der Verleger unter dem
Eindruck der über eiuen großen Teil Württembergs hereingebrochnen Unwetter und
Überschwemmungen schnell unternommen und durchgeführt hat. Nur kurze Zeit
stand ihm zur Verfügung, wenn er wirklich, wie er sichs vorgenommen hatte, den
durch Hagelschlag geschädigten Landleuten etwas helfen wollte. Trotzdem ist ihm
mehr gelungen, als er vielleicht selbst erwartet hat. Viel berühmte Namen wird
mau freilich nicht finden. Die Dichter Württembergs, deren Namen in ganz
Deutschland geschätzt werden, haben sich noch zurückgehalten. Nur Isolde Kurz
hat sich mit einer wunderlichen Plauderei mystisch-psychologischen Inhalts beteiligt,
und Eduard Paulus hat zwei Gedichte gebracht, die in wenigen schlichten Strophen
einen wahren Reichtum von inniger Empfindung und sinniger Betrachtung des
Vergangnen und Gegenwärtigen enthüllen. Desto mehr haben sich die nur in
kleinern Kreisen bekannten Volksdichter und die Schriftsteller Stuttgarts angestrengt,
ihrem engern Vaterlande Ehre zu machen. Unter den Dialektdichtuugen von
Eduard Hiller, Gustav Seuffer und Eugen Keller findet man einige ganz prächtige
Sachen, die der an Volkslyrik bettelarm gewordne norddeutsche mit besondrer
Andacht lesen sollte, und in den Aufsätze» von Th. Ziegler über Hölderlin und
Nietzsche, von Eugen Schneider über die Adelsakademie in Tübingen und von
Adolf Palm über das Hoftheater in Stuttgart uuter dem jetzigen Könige ist maucher
wertvolle Beitrag zur Geschichte des geistigen Lebeus in Deutschland enthalten.


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[0400] Litteratur Mängeln, aber sie kann sich in dieser unvollkommnen Welt schon sehen lassen. Nehmen wir nun noch hinzu, daß wir das, was man gewöhnlich unter Parlamen¬ tarismus versteht, die Parteiregierung, in Deutschland überhaupt nicht haben, so können wir sagen, daß der deutsche Parlamentarismus von der Offcrmcmnschen Kritik eigentlich wenig getroffen wird. Der der romanischen Staaten freilich desto mehr, vom österreichischen nicht zu reden, von dem mau vorläufig nicht weiß, ob er in Zisleithcmien überhaupt noch vorhanden ist. Litteratur Hie gut Württemberg allewege! Ein litterarisches Jahrbuch aus Schwaben. Erster Band. Heilbronn, Eugen Salzer, 1893 Wie sehr wir auch in politischen Dingen auf eine geschlossene, kräftige Reichs¬ einheit dringen, so möchten wir doch nicht den Partikularismus, die Sonder¬ interessen der Stämme und Landschaften in der Dichtung und in den musischen und bildenden Künsten missen. Wir haben schon genug über das Eindringen der vielgepriesenen „modernen" Kultur in die entlegensten Gebirgsgegenden und Heide- landschaften unsers Vaterlands zu klagen, über diese öde Gleichmacherei, die alles urwüchsige Volkstum so gründlich vernichtet, daß sich die Museen schon als rettende Häfen aufthun müssen, um wenigstens etwas von altdeutschem Hausrat, altdeutscher Hausknnst und Tracht zu retten. Darum sind uus Sammelstellen, wie sie das schwäbische Jahrbuch für Dichtung, Litteratur und Kunst begründen will, sehr will¬ kommen, auch wenn, was hier der Fall ist, der gute Wille stärker war als die vollbrachte That. Es ist aber ein erster Versuch, den der Verleger unter dem Eindruck der über eiuen großen Teil Württembergs hereingebrochnen Unwetter und Überschwemmungen schnell unternommen und durchgeführt hat. Nur kurze Zeit stand ihm zur Verfügung, wenn er wirklich, wie er sichs vorgenommen hatte, den durch Hagelschlag geschädigten Landleuten etwas helfen wollte. Trotzdem ist ihm mehr gelungen, als er vielleicht selbst erwartet hat. Viel berühmte Namen wird mau freilich nicht finden. Die Dichter Württembergs, deren Namen in ganz Deutschland geschätzt werden, haben sich noch zurückgehalten. Nur Isolde Kurz hat sich mit einer wunderlichen Plauderei mystisch-psychologischen Inhalts beteiligt, und Eduard Paulus hat zwei Gedichte gebracht, die in wenigen schlichten Strophen einen wahren Reichtum von inniger Empfindung und sinniger Betrachtung des Vergangnen und Gegenwärtigen enthüllen. Desto mehr haben sich die nur in kleinern Kreisen bekannten Volksdichter und die Schriftsteller Stuttgarts angestrengt, ihrem engern Vaterlande Ehre zu machen. Unter den Dialektdichtuugen von Eduard Hiller, Gustav Seuffer und Eugen Keller findet man einige ganz prächtige Sachen, die der an Volkslyrik bettelarm gewordne norddeutsche mit besondrer Andacht lesen sollte, und in den Aufsätze» von Th. Ziegler über Hölderlin und Nietzsche, von Eugen Schneider über die Adelsakademie in Tübingen und von Adolf Palm über das Hoftheater in Stuttgart uuter dem jetzigen Könige ist maucher wertvolle Beitrag zur Geschichte des geistigen Lebeus in Deutschland enthalten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/400>, abgerufen am 05.01.2025.