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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?

schaftlichen Bildung. Dazu wird die überaus traurige Erscheinung: Herr
von Schulze-Gaevernitz als Anwalt der Vaterlandslosigkeit der Sozialdemo¬
kraten und ihrer bethörten Gefolgschaft unter den Arbeitern -- das ihrige sicher
beitragen. Auf die Sache selbst, die Herr von Schulze zu vertreten versucht,
werden die Grenzboten wohl noch Veranlassung haben zurückzukommen. Sie
steht im Vordergrunde des Interesses unsrer nationalen Selbsterhaltung.




Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?
Lin Nachwort zu den "Realpolitischen Betrachtungen" dos Herrn <L> L. in den vorjährigen
Septemberheften der Grenzboten

or einigen Tagen saß ich in die Betrachtung einer Völker-
uud Sprachenkarte des russischen Reichs vertieft. Es war nicht
schwer, sie zu verstehen: Dieses Grün, sagte ich mir, das
so entschieden vorherrscht, bezeichnet natürlich das slawische
Sprachgebiet. Und jenes Hellblau oder Gelb -- nun, eine von
diesen beiden Farben muß doch die Verbreitung der deutschen Sprache an¬
deuten, da ein so großer Teil der Ostseclünder damit angestrichen ist. Doch
was sagte die Farbenerklärung am Rande meiner Karte? Hellblau ist litauisch,
Gelb ist esthnisch. Ja, aber warum, fragte ich mich, spricht man denn
immer von den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands? Und wieder vertiefte ich
mich in meine Karte. Da entdeckte denn mein Auge endlich inmitten des
Meeres von Blau und Gelb einige rote Jnselchen, und dieses Rot bezeichnete,
nach der Farbenerklärung, deutsches Sprachgebiet. Und alle diese roten
Pünktchen hatten einen Namen: Reval, Dorpat, Mitau, Riga usw. Aha,
sagte ich zu mir selbst, jetzt verstehe ich, warum man in Rußland von
deutscheu Ostseeprovinzen spricht; einfach deshalb, weil die Bevölkerung ihrer
Städte vorwiegend deutsch ist.

Und nun erinnerte ich mich einer vor langer Zeit gemachten Beobachtung.
Im Jahre 1870 war ich durch das Elsaß gekommen. Da alle Eisenbahn¬
verbindungen unterbrochen waren, mußte ich im Wagen reisen. Das ging
zwar etwas langsam, aber es bot mir den Vorteil, auch das platte Land und
seine Bewohner ein wenig kennen zu lernen. Und was sah ich da? Eine
Bevölkerung in Sprache und Tracht ebenso deutsch wie die von Baden oder
Hessen. Aber aus ihrer französischen Gesinnung machten diese Leute mir
gegenüber, der ich ja nicht als Eroberer, sondern nur als harmloser Tourist


Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?

schaftlichen Bildung. Dazu wird die überaus traurige Erscheinung: Herr
von Schulze-Gaevernitz als Anwalt der Vaterlandslosigkeit der Sozialdemo¬
kraten und ihrer bethörten Gefolgschaft unter den Arbeitern — das ihrige sicher
beitragen. Auf die Sache selbst, die Herr von Schulze zu vertreten versucht,
werden die Grenzboten wohl noch Veranlassung haben zurückzukommen. Sie
steht im Vordergrunde des Interesses unsrer nationalen Selbsterhaltung.




Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden?
Lin Nachwort zu den „Realpolitischen Betrachtungen" dos Herrn <L> L. in den vorjährigen
Septemberheften der Grenzboten

or einigen Tagen saß ich in die Betrachtung einer Völker-
uud Sprachenkarte des russischen Reichs vertieft. Es war nicht
schwer, sie zu verstehen: Dieses Grün, sagte ich mir, das
so entschieden vorherrscht, bezeichnet natürlich das slawische
Sprachgebiet. Und jenes Hellblau oder Gelb — nun, eine von
diesen beiden Farben muß doch die Verbreitung der deutschen Sprache an¬
deuten, da ein so großer Teil der Ostseclünder damit angestrichen ist. Doch
was sagte die Farbenerklärung am Rande meiner Karte? Hellblau ist litauisch,
Gelb ist esthnisch. Ja, aber warum, fragte ich mich, spricht man denn
immer von den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands? Und wieder vertiefte ich
mich in meine Karte. Da entdeckte denn mein Auge endlich inmitten des
Meeres von Blau und Gelb einige rote Jnselchen, und dieses Rot bezeichnete,
nach der Farbenerklärung, deutsches Sprachgebiet. Und alle diese roten
Pünktchen hatten einen Namen: Reval, Dorpat, Mitau, Riga usw. Aha,
sagte ich zu mir selbst, jetzt verstehe ich, warum man in Rußland von
deutscheu Ostseeprovinzen spricht; einfach deshalb, weil die Bevölkerung ihrer
Städte vorwiegend deutsch ist.

Und nun erinnerte ich mich einer vor langer Zeit gemachten Beobachtung.
Im Jahre 1870 war ich durch das Elsaß gekommen. Da alle Eisenbahn¬
verbindungen unterbrochen waren, mußte ich im Wagen reisen. Das ging
zwar etwas langsam, aber es bot mir den Vorteil, auch das platte Land und
seine Bewohner ein wenig kennen zu lernen. Und was sah ich da? Eine
Bevölkerung in Sprache und Tracht ebenso deutsch wie die von Baden oder
Hessen. Aber aus ihrer französischen Gesinnung machten diese Leute mir
gegenüber, der ich ja nicht als Eroberer, sondern nur als harmloser Tourist


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[0356] Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden? schaftlichen Bildung. Dazu wird die überaus traurige Erscheinung: Herr von Schulze-Gaevernitz als Anwalt der Vaterlandslosigkeit der Sozialdemo¬ kraten und ihrer bethörten Gefolgschaft unter den Arbeitern — das ihrige sicher beitragen. Auf die Sache selbst, die Herr von Schulze zu vertreten versucht, werden die Grenzboten wohl noch Veranlassung haben zurückzukommen. Sie steht im Vordergrunde des Interesses unsrer nationalen Selbsterhaltung. Wie soll der Kampf um die Gstmark geführt werden? Lin Nachwort zu den „Realpolitischen Betrachtungen" dos Herrn <L> L. in den vorjährigen Septemberheften der Grenzboten or einigen Tagen saß ich in die Betrachtung einer Völker- uud Sprachenkarte des russischen Reichs vertieft. Es war nicht schwer, sie zu verstehen: Dieses Grün, sagte ich mir, das so entschieden vorherrscht, bezeichnet natürlich das slawische Sprachgebiet. Und jenes Hellblau oder Gelb — nun, eine von diesen beiden Farben muß doch die Verbreitung der deutschen Sprache an¬ deuten, da ein so großer Teil der Ostseclünder damit angestrichen ist. Doch was sagte die Farbenerklärung am Rande meiner Karte? Hellblau ist litauisch, Gelb ist esthnisch. Ja, aber warum, fragte ich mich, spricht man denn immer von den deutschen Ostseeprovinzen Rußlands? Und wieder vertiefte ich mich in meine Karte. Da entdeckte denn mein Auge endlich inmitten des Meeres von Blau und Gelb einige rote Jnselchen, und dieses Rot bezeichnete, nach der Farbenerklärung, deutsches Sprachgebiet. Und alle diese roten Pünktchen hatten einen Namen: Reval, Dorpat, Mitau, Riga usw. Aha, sagte ich zu mir selbst, jetzt verstehe ich, warum man in Rußland von deutscheu Ostseeprovinzen spricht; einfach deshalb, weil die Bevölkerung ihrer Städte vorwiegend deutsch ist. Und nun erinnerte ich mich einer vor langer Zeit gemachten Beobachtung. Im Jahre 1870 war ich durch das Elsaß gekommen. Da alle Eisenbahn¬ verbindungen unterbrochen waren, mußte ich im Wagen reisen. Das ging zwar etwas langsam, aber es bot mir den Vorteil, auch das platte Land und seine Bewohner ein wenig kennen zu lernen. Und was sah ich da? Eine Bevölkerung in Sprache und Tracht ebenso deutsch wie die von Baden oder Hessen. Aber aus ihrer französischen Gesinnung machten diese Leute mir gegenüber, der ich ja nicht als Eroberer, sondern nur als harmloser Tourist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/356>, abgerufen am 05.01.2025.