Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches einem Vorwort von Professor Dr. August Weismann; Jenni, Gustav Fischer, 1396) Sozialaristokratische Ideen nennt Karl Freiherr von Manteuffel Maßgebliches und Unmaßgebliches einem Vorwort von Professor Dr. August Weismann; Jenni, Gustav Fischer, 1396) Sozialaristokratische Ideen nennt Karl Freiherr von Manteuffel <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227080"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558"> einem Vorwort von Professor Dr. August Weismann; Jenni, Gustav Fischer, 1396)<lb/> erschien. Wir wollen die Hauptsätze von Kidds Lehre kurz zusammenstellen und<lb/> jedem unsern Haupteinwand in Klammer beifügen. Der Mensch hat, sich selbst<lb/> überlassen, „nicht den geringsten eingebornen Trieb, irgend einen Fortschritt nach<lb/> irgend einer Seite hin zu machen." (Unbewiesene Behauptung!) Durch nichts<lb/> andres hat daher ein Fortschritt entstehen können, als durch den auslesenden Daseins-<lb/> kampf. (Der Daseinskampf ist freilich eine der Triebfedern des Fortschritts, aber<lb/> nicht die einzige, und ebenso oft auch Ursache des Rückschritts.) Da nun die Ver¬<lb/> nunft jede» Meuscheu sein eignes Glück erstreben lehrt, so würden die Meuscheu,<lb/> wenn sie von der Vernunft allein geleitet würden, dem Leiden schaffenden Daseins¬<lb/> kämpfe, etwa durch eine sozialistische Organisation der Gesellschaft, ein Eude<lb/> macheu. (Als ob dazu ein bloßer Entschluß der Menschen hinreichte, und als ob<lb/> die Menschen mich nur eines Volkes sich über den Plan einer solchen Organisation<lb/> einigen könnten!) Damit würde aber der Fortschritt zum Stillstand gebracht, das<lb/> Wohl der zukünftigen Menschheit dem Jndividualglllck der jetzt lebenden Menschen<lb/> geopfert. Daher ist eine Triebfeder notwendig, die den Menschen zwingt, fein<lb/> Jndividualglück dem Interesse der Menschheit unterzuordnen und zu opfern. Diese<lb/> Triebfeder ist die Religion, der Glaube an eine übernatürliche Macht, die den<lb/> Altruismus gebietet. Die Religion darf und kann daher niemals aus der Vernunft<lb/> abgeleitet werden, da es gerade ihre Bestimmung ist, die Vernunft zu überwinden.<lb/> (Die Religion kann allerdings die Nächstenliebe befördern — manchmal thut sie<lb/> das Gegenteil — und verhilft zur innern Ergebung in die Opfer, die dem Ein¬<lb/> zelnen die Weltordnung auflegt. Aber uicht aus Religion und nicht aus Altruismus<lb/> unterwirft sich der Einzelne äußerlich — und darauf allein kommts hier an —<lb/> den harten Bedingungen des Daseinskampfcs, sondern weil er nicht anders kann;<lb/> die atheistischen Sozialdemokraten thun es ebenso vollkommen wie die frömmsten<lb/> Christen.) Zuletzt verlaufen sich Kidds Betrachtungen in einem hoffnungslosen<lb/> Gestrüpp von Widersprüchen. So z. B. soll in unsrer Zeit der Altruismus aufs<lb/> höchste gestiegen und trotzdem die Lage der arbeitenden Klassen so elend sein, daß<lb/> sie sich vor der Vernunft nicht rechtfertigen läßt, soll der Altruismus ein Hauptziel<lb/> der Entwicklung sein und zugleich diese beeinträchtige», weil er ja den Kampf<lb/> mildert wo nicht gar aufhebt. Das einzige einigermaßen positive Ergebnis seiner<lb/> Untersuchungen ist seine Ansicht, die Entwicklung strebe einem Zustande zu, wo alle,<lb/> und zwar alle unter gleichen Bedingungen in den fortschrittfvrderndcn Konkurrenz¬<lb/> kampf würden eintreten können. Kitt stellt seine berühmten Landsleute Herbert<lb/> Spencer und Huxley als Leute hin. die am Ende ihrer Forschungen mit ihrem<lb/> Latein zu Ende seien und dem Greise auf dem Dache glichen (dieses Bild gebraucht<lb/> er freilich uicht), der sich nicht zu helfen weiß; er kann sich als dritter zu ihnen<lb/> setzen. Das Theoretisiren wird dem Manne ungemein erleichtert durch seiue köstliche<lb/> Unwissenheit in allen den Dingen aus alte» und neuen Zeiten, über die er sich<lb/> weitläuftig ausläßt. Den alten Griechen spricht er die Humanität ab, was er nicht<lb/> thun könnte, wenn er auch weiter nichts als Xenophons Cyropädie gelesen hätte,<lb/> und die Verwaltung Indiens durch die Engländer preist er als einen Ausfluß des<lb/> englischen Altruismus. Den Gipfel des unfreiwilligen Humors aber erklimmt er<lb/> mit dem Satze: „Die Banmwollenindustrie Indiens steht bereits in einer freund¬<lb/> lichen Rivalität mit der von Lancashire" (S. 291).</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Sozialaristokratische Ideen</head> <p xml:id="ID_560" next="#ID_561"> nennt Karl Freiherr von Manteuffel<lb/> seine bei Otto Liebmann (Berlin, 1896) erschienenen Vetrnchtnngen, die vielfach<lb/> an die Grenzboten anklingen und ungefähr auf den von Massow empfohlenen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
einem Vorwort von Professor Dr. August Weismann; Jenni, Gustav Fischer, 1396)
erschien. Wir wollen die Hauptsätze von Kidds Lehre kurz zusammenstellen und
jedem unsern Haupteinwand in Klammer beifügen. Der Mensch hat, sich selbst
überlassen, „nicht den geringsten eingebornen Trieb, irgend einen Fortschritt nach
irgend einer Seite hin zu machen." (Unbewiesene Behauptung!) Durch nichts
andres hat daher ein Fortschritt entstehen können, als durch den auslesenden Daseins-
kampf. (Der Daseinskampf ist freilich eine der Triebfedern des Fortschritts, aber
nicht die einzige, und ebenso oft auch Ursache des Rückschritts.) Da nun die Ver¬
nunft jede» Meuscheu sein eignes Glück erstreben lehrt, so würden die Meuscheu,
wenn sie von der Vernunft allein geleitet würden, dem Leiden schaffenden Daseins¬
kämpfe, etwa durch eine sozialistische Organisation der Gesellschaft, ein Eude
macheu. (Als ob dazu ein bloßer Entschluß der Menschen hinreichte, und als ob
die Menschen mich nur eines Volkes sich über den Plan einer solchen Organisation
einigen könnten!) Damit würde aber der Fortschritt zum Stillstand gebracht, das
Wohl der zukünftigen Menschheit dem Jndividualglllck der jetzt lebenden Menschen
geopfert. Daher ist eine Triebfeder notwendig, die den Menschen zwingt, fein
Jndividualglück dem Interesse der Menschheit unterzuordnen und zu opfern. Diese
Triebfeder ist die Religion, der Glaube an eine übernatürliche Macht, die den
Altruismus gebietet. Die Religion darf und kann daher niemals aus der Vernunft
abgeleitet werden, da es gerade ihre Bestimmung ist, die Vernunft zu überwinden.
(Die Religion kann allerdings die Nächstenliebe befördern — manchmal thut sie
das Gegenteil — und verhilft zur innern Ergebung in die Opfer, die dem Ein¬
zelnen die Weltordnung auflegt. Aber uicht aus Religion und nicht aus Altruismus
unterwirft sich der Einzelne äußerlich — und darauf allein kommts hier an —
den harten Bedingungen des Daseinskampfcs, sondern weil er nicht anders kann;
die atheistischen Sozialdemokraten thun es ebenso vollkommen wie die frömmsten
Christen.) Zuletzt verlaufen sich Kidds Betrachtungen in einem hoffnungslosen
Gestrüpp von Widersprüchen. So z. B. soll in unsrer Zeit der Altruismus aufs
höchste gestiegen und trotzdem die Lage der arbeitenden Klassen so elend sein, daß
sie sich vor der Vernunft nicht rechtfertigen läßt, soll der Altruismus ein Hauptziel
der Entwicklung sein und zugleich diese beeinträchtige», weil er ja den Kampf
mildert wo nicht gar aufhebt. Das einzige einigermaßen positive Ergebnis seiner
Untersuchungen ist seine Ansicht, die Entwicklung strebe einem Zustande zu, wo alle,
und zwar alle unter gleichen Bedingungen in den fortschrittfvrderndcn Konkurrenz¬
kampf würden eintreten können. Kitt stellt seine berühmten Landsleute Herbert
Spencer und Huxley als Leute hin. die am Ende ihrer Forschungen mit ihrem
Latein zu Ende seien und dem Greise auf dem Dache glichen (dieses Bild gebraucht
er freilich uicht), der sich nicht zu helfen weiß; er kann sich als dritter zu ihnen
setzen. Das Theoretisiren wird dem Manne ungemein erleichtert durch seiue köstliche
Unwissenheit in allen den Dingen aus alte» und neuen Zeiten, über die er sich
weitläuftig ausläßt. Den alten Griechen spricht er die Humanität ab, was er nicht
thun könnte, wenn er auch weiter nichts als Xenophons Cyropädie gelesen hätte,
und die Verwaltung Indiens durch die Engländer preist er als einen Ausfluß des
englischen Altruismus. Den Gipfel des unfreiwilligen Humors aber erklimmt er
mit dem Satze: „Die Banmwollenindustrie Indiens steht bereits in einer freund¬
lichen Rivalität mit der von Lancashire" (S. 291).
Sozialaristokratische Ideen nennt Karl Freiherr von Manteuffel
seine bei Otto Liebmann (Berlin, 1896) erschienenen Vetrnchtnngen, die vielfach
an die Grenzboten anklingen und ungefähr auf den von Massow empfohlenen
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