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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene I. H. Löffler Erzählung ans dem oberfränkischen Volksleben von
vttfasser von "Martin Böftlnger"
(Fortsetzung)

le Sonne scheint so warm; es ist so schwül: heut kanns noch ein
Gewitter geben. Wer liegt oder sitzt, schläft ein, so schwül ist es.

Der Frieder war nach dem reichlichen Mittngsessen in weißen
Hemdärmeln zur hintern Thür hinaus durch den Obstgarten gegangen
und hatte sich auf der Wiese hinter eine Hecke gesetzt. Da es aber
so schwül war, war er umgesunken ins Gras und eingeschlafen. Der
blaue Himmel lachte ihm ins Gesicht; und ein Seur schritt an ihm vorüber und
sagte: Du Duckmäuser! Der Frieder aber sperrte das Maul auf und schnarchte sehr
ernsthaft weiter.

Im Traume liegt er da so glücklich wie ein Leutnant, und es ist ihm, als
säße er in einer Kutsche und die Madlene neben ihm, und als wüchse ihm ein
Schnurrbart, so kitzelte es unter seiner Nase. Es wollte ihm allerdings schon seit
langer als einem Jahr ein Schnnrrbnrt wachsen; er rasirte aber Donnerstags und
Sonntags jeglichen Bartkeim hinweg, als wäre das Unkraut. Heute zum ersten
Feiertag hatte er sich sogar mit besondern! Fleiß rasirt. Und doch° kitzelte es unter
seiner Nase. Er fuhr mit der Hemd über das Schnnrrbartsfeld -- im Traume --
und schnarchte weiter.

Madlene aber saß nicht neben dem Leutnant Frieder in einer Kutsche, sondern
stand neben dem Träumendeu und fuhr ihm mit einem Grashälmchen leise, ganz
sanft unter der Nase hin. Und wenn der Frieder das Hälmchen hinweg-
gestrichen hatte und in seiner Kutsche weiter fuhr, kam es immer wieder und
kitzelte weiter. Das Hälmchen wirkte endlich wie die Zauberrute eines Erdgeistes,
daß die Kutsche leicht und schwankend wurde, als wäre sie von Papier, und Frieder
hindurchplnmpste hinein ins Gras, wo er ruhig liege" blieb. Der Traum aber
war dahin, und Frieder schnarchte nicht mehr. Da kam das Grashälmchen
wieder.

Potztausend! Der Frieder springt auf. Mit einem Schrei entflieht Madlene.
Wie ein Ölgvtze steht der Frieder da; er weiß noch nicht, ob er träumt oder wacht.
Über Madlene aber ist ein großer Schreck gekommen, uicht einer, der blaß, sondern
einer der rot macht. Und weil der Schrecken und die Scham in ihr einen Kampf mit
einander begannen, so wurde es in der Gegend der Neugierde bei ihr so bänglich
und ängstlich, daß sie davon rannte wie ein gehetztes Reh.




Madlene I. H. Löffler Erzählung ans dem oberfränkischen Volksleben von
vttfasser von „Martin Böftlnger"
(Fortsetzung)

le Sonne scheint so warm; es ist so schwül: heut kanns noch ein
Gewitter geben. Wer liegt oder sitzt, schläft ein, so schwül ist es.

Der Frieder war nach dem reichlichen Mittngsessen in weißen
Hemdärmeln zur hintern Thür hinaus durch den Obstgarten gegangen
und hatte sich auf der Wiese hinter eine Hecke gesetzt. Da es aber
so schwül war, war er umgesunken ins Gras und eingeschlafen. Der
blaue Himmel lachte ihm ins Gesicht; und ein Seur schritt an ihm vorüber und
sagte: Du Duckmäuser! Der Frieder aber sperrte das Maul auf und schnarchte sehr
ernsthaft weiter.

Im Traume liegt er da so glücklich wie ein Leutnant, und es ist ihm, als
säße er in einer Kutsche und die Madlene neben ihm, und als wüchse ihm ein
Schnurrbart, so kitzelte es unter seiner Nase. Es wollte ihm allerdings schon seit
langer als einem Jahr ein Schnnrrbnrt wachsen; er rasirte aber Donnerstags und
Sonntags jeglichen Bartkeim hinweg, als wäre das Unkraut. Heute zum ersten
Feiertag hatte er sich sogar mit besondern! Fleiß rasirt. Und doch° kitzelte es unter
seiner Nase. Er fuhr mit der Hemd über das Schnnrrbartsfeld — im Traume —
und schnarchte weiter.

Madlene aber saß nicht neben dem Leutnant Frieder in einer Kutsche, sondern
stand neben dem Träumendeu und fuhr ihm mit einem Grashälmchen leise, ganz
sanft unter der Nase hin. Und wenn der Frieder das Hälmchen hinweg-
gestrichen hatte und in seiner Kutsche weiter fuhr, kam es immer wieder und
kitzelte weiter. Das Hälmchen wirkte endlich wie die Zauberrute eines Erdgeistes,
daß die Kutsche leicht und schwankend wurde, als wäre sie von Papier, und Frieder
hindurchplnmpste hinein ins Gras, wo er ruhig liege» blieb. Der Traum aber
war dahin, und Frieder schnarchte nicht mehr. Da kam das Grashälmchen
wieder.

Potztausend! Der Frieder springt auf. Mit einem Schrei entflieht Madlene.
Wie ein Ölgvtze steht der Frieder da; er weiß noch nicht, ob er träumt oder wacht.
Über Madlene aber ist ein großer Schreck gekommen, uicht einer, der blaß, sondern
einer der rot macht. Und weil der Schrecken und die Scham in ihr einen Kampf mit
einander begannen, so wurde es in der Gegend der Neugierde bei ihr so bänglich
und ängstlich, daß sie davon rannte wie ein gehetztes Reh.


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[0163] [Abbildung] Madlene I. H. Löffler Erzählung ans dem oberfränkischen Volksleben von vttfasser von „Martin Böftlnger" (Fortsetzung) le Sonne scheint so warm; es ist so schwül: heut kanns noch ein Gewitter geben. Wer liegt oder sitzt, schläft ein, so schwül ist es. Der Frieder war nach dem reichlichen Mittngsessen in weißen Hemdärmeln zur hintern Thür hinaus durch den Obstgarten gegangen und hatte sich auf der Wiese hinter eine Hecke gesetzt. Da es aber so schwül war, war er umgesunken ins Gras und eingeschlafen. Der blaue Himmel lachte ihm ins Gesicht; und ein Seur schritt an ihm vorüber und sagte: Du Duckmäuser! Der Frieder aber sperrte das Maul auf und schnarchte sehr ernsthaft weiter. Im Traume liegt er da so glücklich wie ein Leutnant, und es ist ihm, als säße er in einer Kutsche und die Madlene neben ihm, und als wüchse ihm ein Schnurrbart, so kitzelte es unter seiner Nase. Es wollte ihm allerdings schon seit langer als einem Jahr ein Schnnrrbnrt wachsen; er rasirte aber Donnerstags und Sonntags jeglichen Bartkeim hinweg, als wäre das Unkraut. Heute zum ersten Feiertag hatte er sich sogar mit besondern! Fleiß rasirt. Und doch° kitzelte es unter seiner Nase. Er fuhr mit der Hemd über das Schnnrrbartsfeld — im Traume — und schnarchte weiter. Madlene aber saß nicht neben dem Leutnant Frieder in einer Kutsche, sondern stand neben dem Träumendeu und fuhr ihm mit einem Grashälmchen leise, ganz sanft unter der Nase hin. Und wenn der Frieder das Hälmchen hinweg- gestrichen hatte und in seiner Kutsche weiter fuhr, kam es immer wieder und kitzelte weiter. Das Hälmchen wirkte endlich wie die Zauberrute eines Erdgeistes, daß die Kutsche leicht und schwankend wurde, als wäre sie von Papier, und Frieder hindurchplnmpste hinein ins Gras, wo er ruhig liege» blieb. Der Traum aber war dahin, und Frieder schnarchte nicht mehr. Da kam das Grashälmchen wieder. Potztausend! Der Frieder springt auf. Mit einem Schrei entflieht Madlene. Wie ein Ölgvtze steht der Frieder da; er weiß noch nicht, ob er träumt oder wacht. Über Madlene aber ist ein großer Schreck gekommen, uicht einer, der blaß, sondern einer der rot macht. Und weil der Schrecken und die Scham in ihr einen Kampf mit einander begannen, so wurde es in der Gegend der Neugierde bei ihr so bänglich und ängstlich, daß sie davon rannte wie ein gehetztes Reh.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/163>, abgerufen am 05.01.2025.