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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

eit dem Bestehen der Reichs ist es zweimal vorgekommen, daß
der Reichskanzler nicht zugleich Präsident des preußischen Staats-
ministeriums war: in dem ersten Falle wurde das Minister-
präsidinm von Fürst Bismarck an Graf Roon, in dem zweiten
von Graf Caprivi an Graf Eulenburg abgegeben. In beiden
Fällen dauerte die Trennung nur kurze Zeit, und durch den einen wie durch
den andern ist, so verschieden auch der Ausgang und die Ursachen waren, die
Meinung befestigt worden, daß beide Stellen in einer Hand vereinigt sein
müßten. Fürst Bismarck hat dieser Meinung später bestimmten Ausdruck ge¬
geben, und sie herrscht jetzt ganz allgemein. Sie drängt sich übrigens schon
der natürliche" Betrachtung auf, denn zu dieser will es nicht passen, daß der
höchste Beamte des Reichs in irgend welchem Betracht einem cinzelstaatlichen
Beamten nachstehen soll, sei es anch nur in der Reihenfolge der Unterschriften.
Aus der einen Konsequenz entwickeln sich ja auch andre. So blieb in dem
Caprivi-Enlenburgischen Fall Herr von Bötticher Vizepräsident des Staats-
ministeriums und unterzeichnete deshalb preußische Gesetze vor Graf Caprivi,
der doch als Reichskanzler sein wirklicher Vorgesetzter war und blieb. Wirkt
dergleichen nicht verwirrend? Man muß es doch wohl zu den Imponderabilien
des Staatslebens rechnen, die nicht unbeachtet gelassen werden dürfen.

In dem Bismarck-Noonschen Falle ist nach außen nur die eine Konsequenz
hervorgetreten, daß Fürst Bismarck für das preußische Staatsministerium erst
an zweiter Stelle zeichnete. Die Ehre der ersten und den sonstigen Vorrang hat
er sicher seinem treuesten Genossen in Krieg und Frieden von Herzen gegönnt,
er war es ja selbst gewesen, der deu Übergang veranlaßt hatte; aber sogar bei
dieser intimsten Besetzung des Ministerpräsidiums stellte sich bald heraus, daß es
der Reichskanzler in seiner eignen Hand haben müsse. Die Wiederübernahme war


Grenzboten IV 1897 20


Der Reichskanzler und das preußische Ministerium

eit dem Bestehen der Reichs ist es zweimal vorgekommen, daß
der Reichskanzler nicht zugleich Präsident des preußischen Staats-
ministeriums war: in dem ersten Falle wurde das Minister-
präsidinm von Fürst Bismarck an Graf Roon, in dem zweiten
von Graf Caprivi an Graf Eulenburg abgegeben. In beiden
Fällen dauerte die Trennung nur kurze Zeit, und durch den einen wie durch
den andern ist, so verschieden auch der Ausgang und die Ursachen waren, die
Meinung befestigt worden, daß beide Stellen in einer Hand vereinigt sein
müßten. Fürst Bismarck hat dieser Meinung später bestimmten Ausdruck ge¬
geben, und sie herrscht jetzt ganz allgemein. Sie drängt sich übrigens schon
der natürliche» Betrachtung auf, denn zu dieser will es nicht passen, daß der
höchste Beamte des Reichs in irgend welchem Betracht einem cinzelstaatlichen
Beamten nachstehen soll, sei es anch nur in der Reihenfolge der Unterschriften.
Aus der einen Konsequenz entwickeln sich ja auch andre. So blieb in dem
Caprivi-Enlenburgischen Fall Herr von Bötticher Vizepräsident des Staats-
ministeriums und unterzeichnete deshalb preußische Gesetze vor Graf Caprivi,
der doch als Reichskanzler sein wirklicher Vorgesetzter war und blieb. Wirkt
dergleichen nicht verwirrend? Man muß es doch wohl zu den Imponderabilien
des Staatslebens rechnen, die nicht unbeachtet gelassen werden dürfen.

In dem Bismarck-Noonschen Falle ist nach außen nur die eine Konsequenz
hervorgetreten, daß Fürst Bismarck für das preußische Staatsministerium erst
an zweiter Stelle zeichnete. Die Ehre der ersten und den sonstigen Vorrang hat
er sicher seinem treuesten Genossen in Krieg und Frieden von Herzen gegönnt,
er war es ja selbst gewesen, der deu Übergang veranlaßt hatte; aber sogar bei
dieser intimsten Besetzung des Ministerpräsidiums stellte sich bald heraus, daß es
der Reichskanzler in seiner eignen Hand haben müsse. Die Wiederübernahme war


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[0161] [Abbildung] Der Reichskanzler und das preußische Ministerium eit dem Bestehen der Reichs ist es zweimal vorgekommen, daß der Reichskanzler nicht zugleich Präsident des preußischen Staats- ministeriums war: in dem ersten Falle wurde das Minister- präsidinm von Fürst Bismarck an Graf Roon, in dem zweiten von Graf Caprivi an Graf Eulenburg abgegeben. In beiden Fällen dauerte die Trennung nur kurze Zeit, und durch den einen wie durch den andern ist, so verschieden auch der Ausgang und die Ursachen waren, die Meinung befestigt worden, daß beide Stellen in einer Hand vereinigt sein müßten. Fürst Bismarck hat dieser Meinung später bestimmten Ausdruck ge¬ geben, und sie herrscht jetzt ganz allgemein. Sie drängt sich übrigens schon der natürliche» Betrachtung auf, denn zu dieser will es nicht passen, daß der höchste Beamte des Reichs in irgend welchem Betracht einem cinzelstaatlichen Beamten nachstehen soll, sei es anch nur in der Reihenfolge der Unterschriften. Aus der einen Konsequenz entwickeln sich ja auch andre. So blieb in dem Caprivi-Enlenburgischen Fall Herr von Bötticher Vizepräsident des Staats- ministeriums und unterzeichnete deshalb preußische Gesetze vor Graf Caprivi, der doch als Reichskanzler sein wirklicher Vorgesetzter war und blieb. Wirkt dergleichen nicht verwirrend? Man muß es doch wohl zu den Imponderabilien des Staatslebens rechnen, die nicht unbeachtet gelassen werden dürfen. In dem Bismarck-Noonschen Falle ist nach außen nur die eine Konsequenz hervorgetreten, daß Fürst Bismarck für das preußische Staatsministerium erst an zweiter Stelle zeichnete. Die Ehre der ersten und den sonstigen Vorrang hat er sicher seinem treuesten Genossen in Krieg und Frieden von Herzen gegönnt, er war es ja selbst gewesen, der deu Übergang veranlaßt hatte; aber sogar bei dieser intimsten Besetzung des Ministerpräsidiums stellte sich bald heraus, daß es der Reichskanzler in seiner eignen Hand haben müsse. Die Wiederübernahme war Grenzboten IV 1897 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/161>, abgerufen am 22.07.2024.