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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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platens Tagebücher

le deutsche Litteraturgeschichte hat die wunderlichste" Wechsel und
Wandlungen nicht nur in dem persönlichen Geschick vieler Dichter,
sondern auch in der spätern litterarischen Wirkung und Wert¬
schätzung zu Ruhm gelangter Persönlichkeiten gesehen. Ob auch
dieser Erscheinung ein geschichtliches Gesetz zu Grunde liegt und
in der That aller dreißig Jahre ein plötzlicher Umschwung oder eine allmähliche
Umstimmung in der Geltung historisch gewordner Litteraturgrößen eintritt,
kann man vorläufig auf sich beruhen lassen; gewiß ist. daß die heftigem
Schwankungen des ästhetischen Urteils mit dem Eintritt neuer Strömungen
und veränderter Stimmungen im Geistesleben zusammenhängen.

Unter den Dichtern, denen gegenüber ein fast unerklärliches Auf und Ab
der Bewunderung und der Verwerfung besonders augenfällig ist, steht August
Graf Platen obenan. Der kühlen Gleichgiltigkeit und der von Heine beein¬
flußten feindseligen Gehässigkeit, die dem Dichter in den dreißiger Jahren ent¬
gegengesetzt wurde, folgte seit 1340 "der Jugend Dank, die dichten von ihm
lernte." wie Franz Dingelstedt in seinem Sonett sang. Der kleine Kreis von
Anhängern Platens, die des Dichters Formstrenge und sein Ringen nach
sprachlicher Reinheit von Haus aus hochgehalten hatten, erweiterte sich mit
jedem Tage; die von Platen gegenüber den Klassikern und Romantikern ge¬
pflegte Reinheit des deutschen Reims wurde allmählich ein Kunstgesetz für die
gesamte deutsche Lyrik. Die jugendlichen Dichter, die es glücklich dazu gebracht
hatten, ü und le oder d und t nicht ferner zu reimen, meinten alles Ernstes,
Bürger. Goethe und Schiller wenigstens in einem Punkte hinter sich gelassen
zu haben und datirten von Platen ab ein neues Zeitalter der deutschen Poesie,
die ihnen mit der Verskunst zusammenfiel. Bis in die siebziger Jahre hinein
wuchs die Bewundrung Platens um so ungehemmter, als die erfolgreichsten
Dichter der Münchner Schule, allen voran Geibel, aus ihrer Schülerschaft
ihm gegenüber kein Hehl machten. ("Das wollen wir Platen nicht vergessen,
daß wir in seiner Schule gesessen!") Aber in der jüngsten Bewegung trat
ein empfindlicher Umschlag ein. Platens Vorzüge erschienen dem Geschlecht,
das sich selbst modern nennt, als ganz unwesentlich und untergeordnet, seine
Mängel aber als schreiend und unüberwindlich. Das Maß und die edle




platens Tagebücher

le deutsche Litteraturgeschichte hat die wunderlichste« Wechsel und
Wandlungen nicht nur in dem persönlichen Geschick vieler Dichter,
sondern auch in der spätern litterarischen Wirkung und Wert¬
schätzung zu Ruhm gelangter Persönlichkeiten gesehen. Ob auch
dieser Erscheinung ein geschichtliches Gesetz zu Grunde liegt und
in der That aller dreißig Jahre ein plötzlicher Umschwung oder eine allmähliche
Umstimmung in der Geltung historisch gewordner Litteraturgrößen eintritt,
kann man vorläufig auf sich beruhen lassen; gewiß ist. daß die heftigem
Schwankungen des ästhetischen Urteils mit dem Eintritt neuer Strömungen
und veränderter Stimmungen im Geistesleben zusammenhängen.

Unter den Dichtern, denen gegenüber ein fast unerklärliches Auf und Ab
der Bewunderung und der Verwerfung besonders augenfällig ist, steht August
Graf Platen obenan. Der kühlen Gleichgiltigkeit und der von Heine beein¬
flußten feindseligen Gehässigkeit, die dem Dichter in den dreißiger Jahren ent¬
gegengesetzt wurde, folgte seit 1340 „der Jugend Dank, die dichten von ihm
lernte." wie Franz Dingelstedt in seinem Sonett sang. Der kleine Kreis von
Anhängern Platens, die des Dichters Formstrenge und sein Ringen nach
sprachlicher Reinheit von Haus aus hochgehalten hatten, erweiterte sich mit
jedem Tage; die von Platen gegenüber den Klassikern und Romantikern ge¬
pflegte Reinheit des deutschen Reims wurde allmählich ein Kunstgesetz für die
gesamte deutsche Lyrik. Die jugendlichen Dichter, die es glücklich dazu gebracht
hatten, ü und le oder d und t nicht ferner zu reimen, meinten alles Ernstes,
Bürger. Goethe und Schiller wenigstens in einem Punkte hinter sich gelassen
zu haben und datirten von Platen ab ein neues Zeitalter der deutschen Poesie,
die ihnen mit der Verskunst zusammenfiel. Bis in die siebziger Jahre hinein
wuchs die Bewundrung Platens um so ungehemmter, als die erfolgreichsten
Dichter der Münchner Schule, allen voran Geibel, aus ihrer Schülerschaft
ihm gegenüber kein Hehl machten. („Das wollen wir Platen nicht vergessen,
daß wir in seiner Schule gesessen!") Aber in der jüngsten Bewegung trat
ein empfindlicher Umschlag ein. Platens Vorzüge erschienen dem Geschlecht,
das sich selbst modern nennt, als ganz unwesentlich und untergeordnet, seine
Mängel aber als schreiend und unüberwindlich. Das Maß und die edle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/79>, abgerufen am 23.07.2024.