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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

genügend beachtet wurden sind. Ich nehme hieraus Anlaß, den Königlichen Eisen¬
bahndirektionen aufzugeben, erneut den im äußern Betriebsdienste beschäftigten Be¬
amten und Bediensteten die genaueste und peinlichste Beachtung aller ihnen für die
Sicherheit des Eisenbahnbetriebs erteilten Anweisungen einzuschärfen und dafür
Sorge zu tragen, daß nur solches Personal im äußern Betriebsdienste beschäftigt
wird, das die ihm in der bezeichneten Richtung erteilten Vorschriften nicht nur
kennt, sondern auch versteht und anzuwenden weiß," Wir würden folgenden Schlu߬
satz für besser gehalten haben: "Ich nehme hieraus Anlaß, den Königlichen Eisen¬
bahndirektionen aufzugeben, die Bediensteten mündlich zu ernähren, ihre Pflichten
in gewohnter, ruhiger und besonnener Weise zu erfüllen. Wenn dabei Lücken in
der richtigen Auffassung ihrer Obliegenheiten zu bemerken sind, so wollen die König¬
lichen Eisenbahndirektionen selbst für zweckentsprechende mündliche Aufklärung sorgen,
beileibe aber keine schriftlichen Verfügungen im Befehlstone geben." Daß eine
Eisenbahuverwaltnng, und besonders die preußische, über soviel Personal verfügt,
daß sie, wenn der eine oder der andre im Eisenbahnbetrieb ergraute Mann irgend
eine schwerfällige Vorschrift bei einer peinlichen Buchstabenprüfung uicht hersagen
oder erklären kann, ohne weiteres Ersatzkräfte auf die vernntwortnngsvollen Posten
stellen könnte, ist Wohl kaum anzunehmen. Auf den mündlichen Verkehr zwischen
oben und unten, bei dem der Arbeiter und der untere Beamte die Empfindung
und Genugthuung hat, daß auch seiner Thätigkeit, die im Getriebe des Ganzen
ebenso notwendig wie die Thätigkeit der Obern ist, die Achtung und Anerkennung
gezollt wird, auf die jede treue Pflichterfüllung eiuen Anspruch giebt, auf solchen
unmittelbaren Verkehr muß viel größeres Gewicht gelegt werden als bisher.
Was die Grenzboten am 15. April 1897 vom Heere sagten: "Den wahren Wert
erhält eine Armee erst durch den Geist, der sie beseelt, denn dieser allein ist im¬
stande, der toten Masse Leben einzuhauchen und sie vor Erstarrung zu bewahre". . . .
Soviel auch im militärischen Leben von Selbständigkeit die Rede ist, so wird der
Soldat doch geradezu zur Unselbständigkeit erzogen, da ihm alles bis ins kleinste
vorgeschrieben wird" -- das gilt in gleicher Weise für das große Heer der Eisen¬
bahnbeamten und Arbeiter. Dieser rechte Geist wird aber hauptsächlich durch einen
liebevollen Verkehr, der auch mit strenger Gerechtigkeit und scharfer Disziplin ver¬
einbar ist, zwischen den obern und den untern Angestellten erzogen. Daß aber nnter
der Eisenbahuerschaft trotz aller Wohlfahrtseinrichtungen der letzten zehn Jahre Un¬
zufriedenheit herrscht, dürfte, wenn die Berichte des Hamburger "Weckrufs" nur
einigermaßen zutreffen, auch dadurch bestätigt werden, daß aller Verbote ungeachtet
die sozialdemokratische Agitation in den Reihen der Eisenbahnarbeiter mehr und
mehr um sich greift.


Das Autorrecht an Briefen.

In den Schriftstellerversammlnngen, die
jetzt schon einen festen Platz in dem Kongreßkalender behaupten, scheint bisher eine
wichtige Frage noch nicht beachtet worden zu sein: Wer ist berechtigt, den litterarischen
Nachlaß eines Verstorbnen zu veröffentliche", wenn der Verstorbne nicht selbst
darüber verfügt hat? Nach streng juristischen Grundsätzen die Frage zu lösen,
dürfte ebenso wenig möglich sein, wie die verwandte des Eigentumsrechts an ge¬
druckten Schriften. Aber wie bei diesen, kann eine Regelung vom Standpunkte der
Billigkeit ans vereinbart werden, und daß sie zu einer dringenden Notwendigkeit
geworden ist, lehrt uns fast jeder Tag. Bon Gustav Freytag hieß es, er
habe seine Manuskripte vor seinem Tode vernichtet; trotzdem soll nun ein Rechts¬
streit wegen der Veröffentlichung seines Nachlasses zwischen seiner Witwe und seinen


Maßgebliches und Unmaßgebliches

genügend beachtet wurden sind. Ich nehme hieraus Anlaß, den Königlichen Eisen¬
bahndirektionen aufzugeben, erneut den im äußern Betriebsdienste beschäftigten Be¬
amten und Bediensteten die genaueste und peinlichste Beachtung aller ihnen für die
Sicherheit des Eisenbahnbetriebs erteilten Anweisungen einzuschärfen und dafür
Sorge zu tragen, daß nur solches Personal im äußern Betriebsdienste beschäftigt
wird, das die ihm in der bezeichneten Richtung erteilten Vorschriften nicht nur
kennt, sondern auch versteht und anzuwenden weiß," Wir würden folgenden Schlu߬
satz für besser gehalten haben: „Ich nehme hieraus Anlaß, den Königlichen Eisen¬
bahndirektionen aufzugeben, die Bediensteten mündlich zu ernähren, ihre Pflichten
in gewohnter, ruhiger und besonnener Weise zu erfüllen. Wenn dabei Lücken in
der richtigen Auffassung ihrer Obliegenheiten zu bemerken sind, so wollen die König¬
lichen Eisenbahndirektionen selbst für zweckentsprechende mündliche Aufklärung sorgen,
beileibe aber keine schriftlichen Verfügungen im Befehlstone geben." Daß eine
Eisenbahuverwaltnng, und besonders die preußische, über soviel Personal verfügt,
daß sie, wenn der eine oder der andre im Eisenbahnbetrieb ergraute Mann irgend
eine schwerfällige Vorschrift bei einer peinlichen Buchstabenprüfung uicht hersagen
oder erklären kann, ohne weiteres Ersatzkräfte auf die vernntwortnngsvollen Posten
stellen könnte, ist Wohl kaum anzunehmen. Auf den mündlichen Verkehr zwischen
oben und unten, bei dem der Arbeiter und der untere Beamte die Empfindung
und Genugthuung hat, daß auch seiner Thätigkeit, die im Getriebe des Ganzen
ebenso notwendig wie die Thätigkeit der Obern ist, die Achtung und Anerkennung
gezollt wird, auf die jede treue Pflichterfüllung eiuen Anspruch giebt, auf solchen
unmittelbaren Verkehr muß viel größeres Gewicht gelegt werden als bisher.
Was die Grenzboten am 15. April 1897 vom Heere sagten: „Den wahren Wert
erhält eine Armee erst durch den Geist, der sie beseelt, denn dieser allein ist im¬
stande, der toten Masse Leben einzuhauchen und sie vor Erstarrung zu bewahre». . . .
Soviel auch im militärischen Leben von Selbständigkeit die Rede ist, so wird der
Soldat doch geradezu zur Unselbständigkeit erzogen, da ihm alles bis ins kleinste
vorgeschrieben wird" — das gilt in gleicher Weise für das große Heer der Eisen¬
bahnbeamten und Arbeiter. Dieser rechte Geist wird aber hauptsächlich durch einen
liebevollen Verkehr, der auch mit strenger Gerechtigkeit und scharfer Disziplin ver¬
einbar ist, zwischen den obern und den untern Angestellten erzogen. Daß aber nnter
der Eisenbahuerschaft trotz aller Wohlfahrtseinrichtungen der letzten zehn Jahre Un¬
zufriedenheit herrscht, dürfte, wenn die Berichte des Hamburger „Weckrufs" nur
einigermaßen zutreffen, auch dadurch bestätigt werden, daß aller Verbote ungeachtet
die sozialdemokratische Agitation in den Reihen der Eisenbahnarbeiter mehr und
mehr um sich greift.


Das Autorrecht an Briefen.

In den Schriftstellerversammlnngen, die
jetzt schon einen festen Platz in dem Kongreßkalender behaupten, scheint bisher eine
wichtige Frage noch nicht beachtet worden zu sein: Wer ist berechtigt, den litterarischen
Nachlaß eines Verstorbnen zu veröffentliche», wenn der Verstorbne nicht selbst
darüber verfügt hat? Nach streng juristischen Grundsätzen die Frage zu lösen,
dürfte ebenso wenig möglich sein, wie die verwandte des Eigentumsrechts an ge¬
druckten Schriften. Aber wie bei diesen, kann eine Regelung vom Standpunkte der
Billigkeit ans vereinbart werden, und daß sie zu einer dringenden Notwendigkeit
geworden ist, lehrt uns fast jeder Tag. Bon Gustav Freytag hieß es, er
habe seine Manuskripte vor seinem Tode vernichtet; trotzdem soll nun ein Rechts¬
streit wegen der Veröffentlichung seines Nachlasses zwischen seiner Witwe und seinen


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[0580] Maßgebliches und Unmaßgebliches genügend beachtet wurden sind. Ich nehme hieraus Anlaß, den Königlichen Eisen¬ bahndirektionen aufzugeben, erneut den im äußern Betriebsdienste beschäftigten Be¬ amten und Bediensteten die genaueste und peinlichste Beachtung aller ihnen für die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs erteilten Anweisungen einzuschärfen und dafür Sorge zu tragen, daß nur solches Personal im äußern Betriebsdienste beschäftigt wird, das die ihm in der bezeichneten Richtung erteilten Vorschriften nicht nur kennt, sondern auch versteht und anzuwenden weiß," Wir würden folgenden Schlu߬ satz für besser gehalten haben: „Ich nehme hieraus Anlaß, den Königlichen Eisen¬ bahndirektionen aufzugeben, die Bediensteten mündlich zu ernähren, ihre Pflichten in gewohnter, ruhiger und besonnener Weise zu erfüllen. Wenn dabei Lücken in der richtigen Auffassung ihrer Obliegenheiten zu bemerken sind, so wollen die König¬ lichen Eisenbahndirektionen selbst für zweckentsprechende mündliche Aufklärung sorgen, beileibe aber keine schriftlichen Verfügungen im Befehlstone geben." Daß eine Eisenbahuverwaltnng, und besonders die preußische, über soviel Personal verfügt, daß sie, wenn der eine oder der andre im Eisenbahnbetrieb ergraute Mann irgend eine schwerfällige Vorschrift bei einer peinlichen Buchstabenprüfung uicht hersagen oder erklären kann, ohne weiteres Ersatzkräfte auf die vernntwortnngsvollen Posten stellen könnte, ist Wohl kaum anzunehmen. Auf den mündlichen Verkehr zwischen oben und unten, bei dem der Arbeiter und der untere Beamte die Empfindung und Genugthuung hat, daß auch seiner Thätigkeit, die im Getriebe des Ganzen ebenso notwendig wie die Thätigkeit der Obern ist, die Achtung und Anerkennung gezollt wird, auf die jede treue Pflichterfüllung eiuen Anspruch giebt, auf solchen unmittelbaren Verkehr muß viel größeres Gewicht gelegt werden als bisher. Was die Grenzboten am 15. April 1897 vom Heere sagten: „Den wahren Wert erhält eine Armee erst durch den Geist, der sie beseelt, denn dieser allein ist im¬ stande, der toten Masse Leben einzuhauchen und sie vor Erstarrung zu bewahre». . . . Soviel auch im militärischen Leben von Selbständigkeit die Rede ist, so wird der Soldat doch geradezu zur Unselbständigkeit erzogen, da ihm alles bis ins kleinste vorgeschrieben wird" — das gilt in gleicher Weise für das große Heer der Eisen¬ bahnbeamten und Arbeiter. Dieser rechte Geist wird aber hauptsächlich durch einen liebevollen Verkehr, der auch mit strenger Gerechtigkeit und scharfer Disziplin ver¬ einbar ist, zwischen den obern und den untern Angestellten erzogen. Daß aber nnter der Eisenbahuerschaft trotz aller Wohlfahrtseinrichtungen der letzten zehn Jahre Un¬ zufriedenheit herrscht, dürfte, wenn die Berichte des Hamburger „Weckrufs" nur einigermaßen zutreffen, auch dadurch bestätigt werden, daß aller Verbote ungeachtet die sozialdemokratische Agitation in den Reihen der Eisenbahnarbeiter mehr und mehr um sich greift. Das Autorrecht an Briefen. In den Schriftstellerversammlnngen, die jetzt schon einen festen Platz in dem Kongreßkalender behaupten, scheint bisher eine wichtige Frage noch nicht beachtet worden zu sein: Wer ist berechtigt, den litterarischen Nachlaß eines Verstorbnen zu veröffentliche», wenn der Verstorbne nicht selbst darüber verfügt hat? Nach streng juristischen Grundsätzen die Frage zu lösen, dürfte ebenso wenig möglich sein, wie die verwandte des Eigentumsrechts an ge¬ druckten Schriften. Aber wie bei diesen, kann eine Regelung vom Standpunkte der Billigkeit ans vereinbart werden, und daß sie zu einer dringenden Notwendigkeit geworden ist, lehrt uns fast jeder Tag. Bon Gustav Freytag hieß es, er habe seine Manuskripte vor seinem Tode vernichtet; trotzdem soll nun ein Rechts¬ streit wegen der Veröffentlichung seines Nachlasses zwischen seiner Witwe und seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/580>, abgerufen am 27.12.2024.