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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Idealismus und Akademismus

durch Reformen des Privatrechts allein wirtschaftliche Zustände gesund zu
machen, ist mindestens eben so eitel wie etwa das Bestreben, einer absterbenden
Volkskraft durch weise Gesetze wieder aufzuhelfen.

Nach allem erscheint das bürgerliche Gesetzbuch geeignet, die Grundlage
nicht nur der äußern, sondern auch der innern Rechtseinheit zu werden, der
Ausgangspunkt einer fortschreitenden Versöhnung zwischen "Volksrecht" und
"Juristenrecht." Ob es in dieser Hinsicht alle Hoffnungen erfüllen wird, die
man ihm entgegenbringen darf, ist eine Frage der Zukunft. Auch hier ist
schon die Rechtseinheit an sich wesentlich. Was nützte es dem Preußen, sich
mit Grundsätzen des Landrechts bekannt zu machen, die etwa 57 Prozent seiner
Neichsgenossen nichts angingen, ganz abgesehen von den lateinischen Sätzen
des Liorxus Mris und den französischen des <üoä<z "zivil, die doch nimmermehr
Stücke deutschen Volkstums heißen können! "Aus bunten Lappen setzt sich
heute das Kleid des deutschen bürgerlichen Rechts zusammen -- ein Narren-
kleid, Harlekin! Und jetzt endlich soll durch dieses Gesetzbuch dem deutschen
Recht das Königskleid angezogen werden" (Professor Sohm in seiner Reichs¬
tagsrede). Es ist kein Zweifel, daß allein die Thatsache der unbedingten Herr¬
schaft eines einigen Rechts im ganzen deutschen Reiche dazu beitragen wird,
Lust und Interesse an der Beschäftigung mit Rechtsfragen in weitern Kreisen
zu wecken. Damit wäre der erste Grund gelegt zur Überbrückung jener Kluft,
die einst die Rezeption des römischen Rechts zwischen Volksempsindung und
Jurisprudenz gerissen hat. Für den Juristen ist es eine ungemein reizvolle
Arbeit, an dieser Brücke mitzubauen; er hat das Handwerkszeug zu liefern.
Der Laie braucht zunächst nichts weiter mitzubringen, als das Bewußtsein, daß
anch das Privatrecht einen wichtigen Bestandteil des Volkstums bildet, und
daß seine Erkenntnis und Ausbildung nicht ein Monopol des Juristen, sondern
gemeine Pflicht und Aufgabe ist.




Idealismus und Akademismus

me neue vermehrte Ausgabe der Gesammelten Werke des
Grafen Adolf Friedrich von Schack,*) die soeben zu erscheinen
beginnt, giebt den Beweis, daß die Dichtungen dieses viel-
besprochnen und vielumstrittnen Poeten doch allmählich in größern
Kreisen des Publikums Eingang und Teilnahme gefunden haben.
Der vorliegende erste Band enthält die poetischen Erzählungen Schacks "Nächte



") Gesammelte Werke des Grafen Adolf Friedrich von Schack. In zehn Bänden.
Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage, Stuttgart, Cotta, 18V7, Erster Band.
Idealismus und Akademismus

durch Reformen des Privatrechts allein wirtschaftliche Zustände gesund zu
machen, ist mindestens eben so eitel wie etwa das Bestreben, einer absterbenden
Volkskraft durch weise Gesetze wieder aufzuhelfen.

Nach allem erscheint das bürgerliche Gesetzbuch geeignet, die Grundlage
nicht nur der äußern, sondern auch der innern Rechtseinheit zu werden, der
Ausgangspunkt einer fortschreitenden Versöhnung zwischen „Volksrecht" und
„Juristenrecht." Ob es in dieser Hinsicht alle Hoffnungen erfüllen wird, die
man ihm entgegenbringen darf, ist eine Frage der Zukunft. Auch hier ist
schon die Rechtseinheit an sich wesentlich. Was nützte es dem Preußen, sich
mit Grundsätzen des Landrechts bekannt zu machen, die etwa 57 Prozent seiner
Neichsgenossen nichts angingen, ganz abgesehen von den lateinischen Sätzen
des Liorxus Mris und den französischen des <üoä<z «zivil, die doch nimmermehr
Stücke deutschen Volkstums heißen können! „Aus bunten Lappen setzt sich
heute das Kleid des deutschen bürgerlichen Rechts zusammen — ein Narren-
kleid, Harlekin! Und jetzt endlich soll durch dieses Gesetzbuch dem deutschen
Recht das Königskleid angezogen werden" (Professor Sohm in seiner Reichs¬
tagsrede). Es ist kein Zweifel, daß allein die Thatsache der unbedingten Herr¬
schaft eines einigen Rechts im ganzen deutschen Reiche dazu beitragen wird,
Lust und Interesse an der Beschäftigung mit Rechtsfragen in weitern Kreisen
zu wecken. Damit wäre der erste Grund gelegt zur Überbrückung jener Kluft,
die einst die Rezeption des römischen Rechts zwischen Volksempsindung und
Jurisprudenz gerissen hat. Für den Juristen ist es eine ungemein reizvolle
Arbeit, an dieser Brücke mitzubauen; er hat das Handwerkszeug zu liefern.
Der Laie braucht zunächst nichts weiter mitzubringen, als das Bewußtsein, daß
anch das Privatrecht einen wichtigen Bestandteil des Volkstums bildet, und
daß seine Erkenntnis und Ausbildung nicht ein Monopol des Juristen, sondern
gemeine Pflicht und Aufgabe ist.




Idealismus und Akademismus

me neue vermehrte Ausgabe der Gesammelten Werke des
Grafen Adolf Friedrich von Schack,*) die soeben zu erscheinen
beginnt, giebt den Beweis, daß die Dichtungen dieses viel-
besprochnen und vielumstrittnen Poeten doch allmählich in größern
Kreisen des Publikums Eingang und Teilnahme gefunden haben.
Der vorliegende erste Band enthält die poetischen Erzählungen Schacks „Nächte



") Gesammelte Werke des Grafen Adolf Friedrich von Schack. In zehn Bänden.
Dritte, vermehrte und verbesserte Auflage, Stuttgart, Cotta, 18V7, Erster Band.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/560>, abgerufen am 27.12.2024.