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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Moderne Novellen

arbeitet vererbt ist. Eine Zeitperiode vermacht der andern eben ihre Aktiva
und Passiva.

Doch das Ziel meiner Betrachtungen lag nicht auf diesem praktischen
Gebiete. Es galt nur, etwas zusammenhängenderes Verständnis zu finden
für jenes Doppelgebiet, das unserm eignen Leben so nahe liegt und uuter der
leichten Hülle, die sich für unser Auge darüber legt, uns doch so fremd werden
kann, oder das auch zu wenig verstanden wird, weil man es viel zu gut zu
verstehen und zu kennen glaubt.




Moderne Novellen

en Bericht über eine Reihe von Erzählungen meist der modernsten
Richtung und in Novellenform beginnen wir mit einem Bündchen
von Cäsar Flaischlen: Professor Hardtmut, Charakter¬
studie, und Flügelmüde, ein Abschnitt aus dem Leben eines jeden
(Berlin, Fontane u. Comp,). Die zweite Novelle stand zuerst
im Pan von 1895, mit dem wir sie seinerzeit besprochen haben, die erste in
einem 1894 erschienenen Sammelbande. Der nochmalige Abdruck spricht nicht
gerade für große Ergiebigkeit des Verfassers. "Professor Hardtmut" ist
übrigens eine harmlose Studie aus dem Leben eines alten Stuttgarter Schul¬
mannes mit etwas Naturpoesie, deren Genuß man sich freilich erkaufen muß
durch die bekannten abgerissenen Sätze und eine bisweilen unmögliche Grammatik,
z. B. "weit ins Auge fallender war eine Büste Bismarcks" und dergleichen,
was sicherlich das Original des "Professors Hardtmut" nicht hätte die Zensur
passiren lassen. -- Unter dem Titel Die gehetzten Seelen hat Kurt Martens
sieben "Novellettcn" zusammengestellt, die ebenfalls zum Teil im Pan zuerst
erschienen (derselbe Verlag), und die sich mit dem Eheleben beschäftigen oder,
bester ausgedrückt, mit dessen Kehrseite, dem Ehebruch und den vorhergehende"
Erscheinungen. Liebhabern des Gegenstandes sind sie zu empfehlen, denn sie
sind sehr lüstern und konzentriren in ihrer Kürze die Aufmerksamkeit des Lesers
auf den Hauptpunkt. Wir haben für die Gattung keine eigne Abteilung,
und als Litteraturwerke kommen sie nicht in Betracht, etwas durchaus neues
sind sie ebenso wenig, Feinschmecker finden dergleichen schon in Rellstabs
Roman "1812." Zu bemerken wäre höchstens noch, daß bei Mariens die letzte
Nummer: "Die Affenschande" wirklich in einem Affenkäfig des Zoologischen
Gartens spielt. Ein Stück übrigens: "Beruf" behandelt etwas soziales, mit


Moderne Novellen

arbeitet vererbt ist. Eine Zeitperiode vermacht der andern eben ihre Aktiva
und Passiva.

Doch das Ziel meiner Betrachtungen lag nicht auf diesem praktischen
Gebiete. Es galt nur, etwas zusammenhängenderes Verständnis zu finden
für jenes Doppelgebiet, das unserm eignen Leben so nahe liegt und uuter der
leichten Hülle, die sich für unser Auge darüber legt, uns doch so fremd werden
kann, oder das auch zu wenig verstanden wird, weil man es viel zu gut zu
verstehen und zu kennen glaubt.




Moderne Novellen

en Bericht über eine Reihe von Erzählungen meist der modernsten
Richtung und in Novellenform beginnen wir mit einem Bündchen
von Cäsar Flaischlen: Professor Hardtmut, Charakter¬
studie, und Flügelmüde, ein Abschnitt aus dem Leben eines jeden
(Berlin, Fontane u. Comp,). Die zweite Novelle stand zuerst
im Pan von 1895, mit dem wir sie seinerzeit besprochen haben, die erste in
einem 1894 erschienenen Sammelbande. Der nochmalige Abdruck spricht nicht
gerade für große Ergiebigkeit des Verfassers. „Professor Hardtmut" ist
übrigens eine harmlose Studie aus dem Leben eines alten Stuttgarter Schul¬
mannes mit etwas Naturpoesie, deren Genuß man sich freilich erkaufen muß
durch die bekannten abgerissenen Sätze und eine bisweilen unmögliche Grammatik,
z. B. „weit ins Auge fallender war eine Büste Bismarcks" und dergleichen,
was sicherlich das Original des „Professors Hardtmut" nicht hätte die Zensur
passiren lassen. — Unter dem Titel Die gehetzten Seelen hat Kurt Martens
sieben „Novellettcn" zusammengestellt, die ebenfalls zum Teil im Pan zuerst
erschienen (derselbe Verlag), und die sich mit dem Eheleben beschäftigen oder,
bester ausgedrückt, mit dessen Kehrseite, dem Ehebruch und den vorhergehende»
Erscheinungen. Liebhabern des Gegenstandes sind sie zu empfehlen, denn sie
sind sehr lüstern und konzentriren in ihrer Kürze die Aufmerksamkeit des Lesers
auf den Hauptpunkt. Wir haben für die Gattung keine eigne Abteilung,
und als Litteraturwerke kommen sie nicht in Betracht, etwas durchaus neues
sind sie ebenso wenig, Feinschmecker finden dergleichen schon in Rellstabs
Roman „1812." Zu bemerken wäre höchstens noch, daß bei Mariens die letzte
Nummer: „Die Affenschande" wirklich in einem Affenkäfig des Zoologischen
Gartens spielt. Ein Stück übrigens: „Beruf" behandelt etwas soziales, mit


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[0472] Moderne Novellen arbeitet vererbt ist. Eine Zeitperiode vermacht der andern eben ihre Aktiva und Passiva. Doch das Ziel meiner Betrachtungen lag nicht auf diesem praktischen Gebiete. Es galt nur, etwas zusammenhängenderes Verständnis zu finden für jenes Doppelgebiet, das unserm eignen Leben so nahe liegt und uuter der leichten Hülle, die sich für unser Auge darüber legt, uns doch so fremd werden kann, oder das auch zu wenig verstanden wird, weil man es viel zu gut zu verstehen und zu kennen glaubt. Moderne Novellen en Bericht über eine Reihe von Erzählungen meist der modernsten Richtung und in Novellenform beginnen wir mit einem Bündchen von Cäsar Flaischlen: Professor Hardtmut, Charakter¬ studie, und Flügelmüde, ein Abschnitt aus dem Leben eines jeden (Berlin, Fontane u. Comp,). Die zweite Novelle stand zuerst im Pan von 1895, mit dem wir sie seinerzeit besprochen haben, die erste in einem 1894 erschienenen Sammelbande. Der nochmalige Abdruck spricht nicht gerade für große Ergiebigkeit des Verfassers. „Professor Hardtmut" ist übrigens eine harmlose Studie aus dem Leben eines alten Stuttgarter Schul¬ mannes mit etwas Naturpoesie, deren Genuß man sich freilich erkaufen muß durch die bekannten abgerissenen Sätze und eine bisweilen unmögliche Grammatik, z. B. „weit ins Auge fallender war eine Büste Bismarcks" und dergleichen, was sicherlich das Original des „Professors Hardtmut" nicht hätte die Zensur passiren lassen. — Unter dem Titel Die gehetzten Seelen hat Kurt Martens sieben „Novellettcn" zusammengestellt, die ebenfalls zum Teil im Pan zuerst erschienen (derselbe Verlag), und die sich mit dem Eheleben beschäftigen oder, bester ausgedrückt, mit dessen Kehrseite, dem Ehebruch und den vorhergehende» Erscheinungen. Liebhabern des Gegenstandes sind sie zu empfehlen, denn sie sind sehr lüstern und konzentriren in ihrer Kürze die Aufmerksamkeit des Lesers auf den Hauptpunkt. Wir haben für die Gattung keine eigne Abteilung, und als Litteraturwerke kommen sie nicht in Betracht, etwas durchaus neues sind sie ebenso wenig, Feinschmecker finden dergleichen schon in Rellstabs Roman „1812." Zu bemerken wäre höchstens noch, daß bei Mariens die letzte Nummer: „Die Affenschande" wirklich in einem Affenkäfig des Zoologischen Gartens spielt. Ein Stück übrigens: „Beruf" behandelt etwas soziales, mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/472>, abgerufen am 27.12.2024.