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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Volk und Jugend

anerkannte, "alles Gute, Ordentliche und Vorschreitende in Polen nur aus
Preußischen Zeiten stammt," sie sind auch mit den galizischen Verhältnissen zu
unbekannt, als daß sie sich an ihren dort vom Adel geknechteten und aus-
gesognen Brüdern ein warnendes Beispiel nehmen sollten. Über Undank, der
Welt Lohn, sollten wir Deutschen uns bei diesen Angehörigen eines fremden
Stammes doch nicht Wundern; sie glauben den Herren aus der Stadt, die so
schöne Reden halten, und sehen jeden Tag, wie viel sie der unausgesetzten
Thätigkeit ihrer Pröpste zum Zweck der Mehrung ihres Wohlstandes zu danken
haben; diesen, den Patronen der zahlreichen Bauernvereine, folgen sie und
werden sie folgen.

(Schluß folgt)




Volk und Jugend
Von !v. Mimas (in Koblenz) (Fortsetzung)

ir müssen wohl überhaupt bei der Worteinkleidung der Gedanken
und Empfindungen etwas näher verweilen, bei der eigenartigen
Sprache der Jugend und des Volkes, die ja ein Spiegel seiner
geistigen Beschaffenheit und Bewegung ist. Ein vollkommner
Spiegel freilich nicht, denn uicht alles kommt zum Ausdruck,
was im Innern lebt, nicht alles klärt sich genug, nicht sür alles steht die
Wortform zu Gebote. Das Geistesleben des Kindes ist eine geraume Zeit
hindurch viel voller entwickelt, als es durch feine eigne Sprache ausdrücken
kann; es blickt Verständnis, lange ehe es Verständnis äußert, und äußert es
mit Gebärden früher als mit Worten, und mit unbehilflichen, suchenden,
tastenden Worten früher als mit sichern und allgemein giltigen. Die Sprache
der Jugend macht verschiedne Stufen durch, ehe sie zur Reife der Erwachsenen
gelangt. Sie ist zuerst arm und unbeholfen, aber rührend in ihrer Echtheit,
da sie nur ausdrückt, was sich dem Kinde aus der Seele in den Mund drängt
(denn in diesem Alter wohnen noch nicht zwei Empfindungen neben einander,
die eine gegenwärtige füllt die ganze junge Seele gewissermaßen bis zum Über¬
laufen). Auch der Widerhall dieser lallender Herzenssprache im Munde der
Mütter und Wärterinnen ist anmutend, nicht etwa lächerlich, und eine eigen¬
artige, in sich harmonische Kindersprache haben gerade wir in Deutschland
mehr als anderswo. Dann wird die Sprache rasch sicher und ausreichend, die
Kinder plaudern, so weit ihr Gesichtskreis oder vielmehr der Kreis ihrer Ge-


Grenzboten III 1807 51
Volk und Jugend

anerkannte, „alles Gute, Ordentliche und Vorschreitende in Polen nur aus
Preußischen Zeiten stammt," sie sind auch mit den galizischen Verhältnissen zu
unbekannt, als daß sie sich an ihren dort vom Adel geknechteten und aus-
gesognen Brüdern ein warnendes Beispiel nehmen sollten. Über Undank, der
Welt Lohn, sollten wir Deutschen uns bei diesen Angehörigen eines fremden
Stammes doch nicht Wundern; sie glauben den Herren aus der Stadt, die so
schöne Reden halten, und sehen jeden Tag, wie viel sie der unausgesetzten
Thätigkeit ihrer Pröpste zum Zweck der Mehrung ihres Wohlstandes zu danken
haben; diesen, den Patronen der zahlreichen Bauernvereine, folgen sie und
werden sie folgen.

(Schluß folgt)




Volk und Jugend
Von !v. Mimas (in Koblenz) (Fortsetzung)

ir müssen wohl überhaupt bei der Worteinkleidung der Gedanken
und Empfindungen etwas näher verweilen, bei der eigenartigen
Sprache der Jugend und des Volkes, die ja ein Spiegel seiner
geistigen Beschaffenheit und Bewegung ist. Ein vollkommner
Spiegel freilich nicht, denn uicht alles kommt zum Ausdruck,
was im Innern lebt, nicht alles klärt sich genug, nicht sür alles steht die
Wortform zu Gebote. Das Geistesleben des Kindes ist eine geraume Zeit
hindurch viel voller entwickelt, als es durch feine eigne Sprache ausdrücken
kann; es blickt Verständnis, lange ehe es Verständnis äußert, und äußert es
mit Gebärden früher als mit Worten, und mit unbehilflichen, suchenden,
tastenden Worten früher als mit sichern und allgemein giltigen. Die Sprache
der Jugend macht verschiedne Stufen durch, ehe sie zur Reife der Erwachsenen
gelangt. Sie ist zuerst arm und unbeholfen, aber rührend in ihrer Echtheit,
da sie nur ausdrückt, was sich dem Kinde aus der Seele in den Mund drängt
(denn in diesem Alter wohnen noch nicht zwei Empfindungen neben einander,
die eine gegenwärtige füllt die ganze junge Seele gewissermaßen bis zum Über¬
laufen). Auch der Widerhall dieser lallender Herzenssprache im Munde der
Mütter und Wärterinnen ist anmutend, nicht etwa lächerlich, und eine eigen¬
artige, in sich harmonische Kindersprache haben gerade wir in Deutschland
mehr als anderswo. Dann wird die Sprache rasch sicher und ausreichend, die
Kinder plaudern, so weit ihr Gesichtskreis oder vielmehr der Kreis ihrer Ge-


Grenzboten III 1807 51
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[0409] Volk und Jugend anerkannte, „alles Gute, Ordentliche und Vorschreitende in Polen nur aus Preußischen Zeiten stammt," sie sind auch mit den galizischen Verhältnissen zu unbekannt, als daß sie sich an ihren dort vom Adel geknechteten und aus- gesognen Brüdern ein warnendes Beispiel nehmen sollten. Über Undank, der Welt Lohn, sollten wir Deutschen uns bei diesen Angehörigen eines fremden Stammes doch nicht Wundern; sie glauben den Herren aus der Stadt, die so schöne Reden halten, und sehen jeden Tag, wie viel sie der unausgesetzten Thätigkeit ihrer Pröpste zum Zweck der Mehrung ihres Wohlstandes zu danken haben; diesen, den Patronen der zahlreichen Bauernvereine, folgen sie und werden sie folgen. (Schluß folgt) Volk und Jugend Von !v. Mimas (in Koblenz) (Fortsetzung) ir müssen wohl überhaupt bei der Worteinkleidung der Gedanken und Empfindungen etwas näher verweilen, bei der eigenartigen Sprache der Jugend und des Volkes, die ja ein Spiegel seiner geistigen Beschaffenheit und Bewegung ist. Ein vollkommner Spiegel freilich nicht, denn uicht alles kommt zum Ausdruck, was im Innern lebt, nicht alles klärt sich genug, nicht sür alles steht die Wortform zu Gebote. Das Geistesleben des Kindes ist eine geraume Zeit hindurch viel voller entwickelt, als es durch feine eigne Sprache ausdrücken kann; es blickt Verständnis, lange ehe es Verständnis äußert, und äußert es mit Gebärden früher als mit Worten, und mit unbehilflichen, suchenden, tastenden Worten früher als mit sichern und allgemein giltigen. Die Sprache der Jugend macht verschiedne Stufen durch, ehe sie zur Reife der Erwachsenen gelangt. Sie ist zuerst arm und unbeholfen, aber rührend in ihrer Echtheit, da sie nur ausdrückt, was sich dem Kinde aus der Seele in den Mund drängt (denn in diesem Alter wohnen noch nicht zwei Empfindungen neben einander, die eine gegenwärtige füllt die ganze junge Seele gewissermaßen bis zum Über¬ laufen). Auch der Widerhall dieser lallender Herzenssprache im Munde der Mütter und Wärterinnen ist anmutend, nicht etwa lächerlich, und eine eigen¬ artige, in sich harmonische Kindersprache haben gerade wir in Deutschland mehr als anderswo. Dann wird die Sprache rasch sicher und ausreichend, die Kinder plaudern, so weit ihr Gesichtskreis oder vielmehr der Kreis ihrer Ge- Grenzboten III 1807 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/409>, abgerufen am 27.12.2024.