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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

stattete man ihn feierlich auf dem Kolonoshügel bei Athen im Beisein des
Hofes und einer zahlreichen Trauerversammlung.

Fast vier Wochen später, am Tage vor seinem Geburtstage, saß sein
Schwiegervater beim Frühstück und entfaltete die gewohnte Morgenzeitung.
Da las er als Erster in der Heimat die erschütternde Nachricht, daß der Mann,
der ihrer aller Licht und Freude gewesen war, den er bald fröhlich wiederzu¬
sehen hoffte, schon vor Wochen dahingegangen und längst in der Erde Schoß
bestattet sei. Die Familie war schon in Ohlau; dorthin mußte der Vater seiner
Tochter die Nachricht bringen. Wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel
traf die Todesbotschaft auch die Göttinger Kreise. Es wurde eine Trauerfeier
veranstaltet, und auch die von ihm beim Universitätsjubilüum mit gegründete
Philologenversammlnng, die kurz darauf in Gotha tagte, ehrte sein Andenken.
Gottfried Hermann, der mit Müller zuletzt in heftiger wissenschaftlicher und
leider auch recht persönlicher Fehde gelebt hatte, fand hier Worte der Ver¬
söhnung und Anerkennung und ehrte sich selbst, indem er freiwillig dem Toten
die Ehre gab.

Seit fast zwei Menschenaltern ruht nun der deutsche Forscher an der
Stätte, die den Mittelpunkt seines Denkens und Forschens bildete, auf hoher
Warte, von der man die Stadt Athen überschaut und jenseits der Stadt zur
Akropolis hinüberblickt. Unterhalb des Kolonos flüstern im Abendwinde die
graugrünen Blätter des Ölwäldchens am Kephisos.


Ronrad Wernicke


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein unvorhergesehenes Kartell. Wenn wir auch oft genug die "großen
Mittel" des Herrn von Plötz für phantastisch erklärt haben, so haben wir doch
memals bezweifelt, daß er und seine Freunde in ihrer Art klug sind; rechnet doch
^udolf Meyer heraus -- wir halten die Rechnung für sehr übertrieben --, daß
den Herren vom Bunde der Landwirte die 500 000 Mark, die sie jährlich für
ehre politische Agitation ausgeben, nicht weniger als 300 Millionen Mark im
>5nhre einbringen. Aber auch Minister sind Menschen, und der Landwirtschafts-
nunister, der selbst Großgrundbesitzer und praktischer Landwirt, daher auf das
^°si der Landwirtschaft schon ans eignem Interesse so viel wie möglich bedacht
^/ müßte ein Lämmerherz im Busen tragen, wenn er durch die maßlosen An¬
griffe der Agrarier nicht gegen diese erbittert würde, und die übrigen Minister
mußten blind sein, wenn sie sich nicht, in Erinnerung an frühere Vorkommnisse,
durch diese Angriffe auf einen Kollegen unbedroht sähen. Namentlich muß den
^andwirtschaftsminister die offenbare Ungerechtigkeit empören, die darin liegt,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

stattete man ihn feierlich auf dem Kolonoshügel bei Athen im Beisein des
Hofes und einer zahlreichen Trauerversammlung.

Fast vier Wochen später, am Tage vor seinem Geburtstage, saß sein
Schwiegervater beim Frühstück und entfaltete die gewohnte Morgenzeitung.
Da las er als Erster in der Heimat die erschütternde Nachricht, daß der Mann,
der ihrer aller Licht und Freude gewesen war, den er bald fröhlich wiederzu¬
sehen hoffte, schon vor Wochen dahingegangen und längst in der Erde Schoß
bestattet sei. Die Familie war schon in Ohlau; dorthin mußte der Vater seiner
Tochter die Nachricht bringen. Wie ein Donnerschlag aus heiterm Himmel
traf die Todesbotschaft auch die Göttinger Kreise. Es wurde eine Trauerfeier
veranstaltet, und auch die von ihm beim Universitätsjubilüum mit gegründete
Philologenversammlnng, die kurz darauf in Gotha tagte, ehrte sein Andenken.
Gottfried Hermann, der mit Müller zuletzt in heftiger wissenschaftlicher und
leider auch recht persönlicher Fehde gelebt hatte, fand hier Worte der Ver¬
söhnung und Anerkennung und ehrte sich selbst, indem er freiwillig dem Toten
die Ehre gab.

Seit fast zwei Menschenaltern ruht nun der deutsche Forscher an der
Stätte, die den Mittelpunkt seines Denkens und Forschens bildete, auf hoher
Warte, von der man die Stadt Athen überschaut und jenseits der Stadt zur
Akropolis hinüberblickt. Unterhalb des Kolonos flüstern im Abendwinde die
graugrünen Blätter des Ölwäldchens am Kephisos.


Ronrad Wernicke


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ein unvorhergesehenes Kartell. Wenn wir auch oft genug die „großen
Mittel" des Herrn von Plötz für phantastisch erklärt haben, so haben wir doch
memals bezweifelt, daß er und seine Freunde in ihrer Art klug sind; rechnet doch
^udolf Meyer heraus — wir halten die Rechnung für sehr übertrieben —, daß
den Herren vom Bunde der Landwirte die 500 000 Mark, die sie jährlich für
ehre politische Agitation ausgeben, nicht weniger als 300 Millionen Mark im
>5nhre einbringen. Aber auch Minister sind Menschen, und der Landwirtschafts-
nunister, der selbst Großgrundbesitzer und praktischer Landwirt, daher auf das
^°si der Landwirtschaft schon ans eignem Interesse so viel wie möglich bedacht
^/ müßte ein Lämmerherz im Busen tragen, wenn er durch die maßlosen An¬
griffe der Agrarier nicht gegen diese erbittert würde, und die übrigen Minister
mußten blind sein, wenn sie sich nicht, in Erinnerung an frühere Vorkommnisse,
durch diese Angriffe auf einen Kollegen unbedroht sähen. Namentlich muß den
^andwirtschaftsminister die offenbare Ungerechtigkeit empören, die darin liegt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/387>, abgerufen am 23.07.2024.