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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

sicher auf die Unterstützung des deutschen Reichs rechnen dürfen. Mit diesem
Ausblick in eine hoffentlich nicht ferne Zukunft rufen wir dem kunsthistorischen
Institut in Florenz ein herzliches Glück auf! zu.


Waadtland und Reichsland.

Das hätten wir uns doch nie träumen lassen,
wenn wir die föderativ-radikale Politik des schönen Waadtlandes in ihrer nervösen
Angst vor Bern und Zentralgewalt betrachteten, daß sich dieser I'uror politions
eines Tages gegen Deutschland kehren und dessen 1870/71 gewonnene Gestaltung
durch unerbittliche Nichtanerkennung bedrohen würde. Noch weniger, daß sich auch
eine waadtläudische Töchterschule an dem Protest beteiligen würde. Vor uns liegt
ein Programm der rühmlich bekannten Levis Lnpörisurs as jsunss Mo" ", I^ausauiuz,
dem ein Bogen von Adressen alter Schülerinnen und Eltern von Schülerinnen als
Empfehlung beigegeben ist. Da stehen zuerst 76 Namen von Deutschen, dann
kommen ^Isaeo mit 12, ^.in6riq.no, L.lit,riodo-Hou^rio usw. Also auch die Töchter¬
schule weist dem Reichsland seine besondre Stelle neben Deutschland nu: man
begreift den Sinn dieser Auseinnndcrhnltnng noch einigermaßen in französischen
Blättern, die ihren Abonnenten Rechnung tragen müssen; lächerlich wird sie, wenn
sie in Blättern der neutralen Schweiz nachgeahmt wird; in dem Programm einer
Töchterschule, für die man in Deutschland wirbt, sinkt sie zur Taktlosigkeit herab.


Büreaukratismus.

Welch schone Blüten der Büreaukratisnms bei sorg¬
fältiger Pflege treiben kann, beweist folgende allerliebste Leistung einer königlich
preußischen hohen Verwaltungsbehörde, die uns ein Freund unsers Blattes mitteilt.

Einem rührigen Manne, der sich die Forderung eines Handarbeitsunterrichts
angelegen sein ließ, war es gelungen, eine hohe Staatsbehörde für seine Bestrebungen
zu interessiren und von ihr für seiue Zwecke die wahrhaft königliche Beihilfe von
annähernd baren fünfundzwanzig preußischen Reichsthalern zu erhalten. Diese Bei¬
hilfe war ihm ausgerechnet am allerletzten Tage eines Rechnungsjahres bewilligt,
und war bei der sattsam bekannten Geschwindigkeit, womit die königlich preußischen
Staatsbehörden ihre Arbeiten zu erledigen pflegen, glücklich auch über eine Woche
später, also uach Schluß des Rechnungsjahres ausgezahlt worden. Mit geziemendem
Dank nahm der rührige Mann das Geld entgegen und teilte auf besondres Ver¬
langen der Behörde mit, daß es in kurzem vorschriftsmäßig verwendet werden würde.
Drei Monate waren ins Land gegangen, da erhielt der rührige Mann zu seiner
unbeschreiblichen Überraschung von derselben Behörde die freundliche Aufforderung,
das empfangne Geld zurückzuzahlen. Begründet wurde diese Forderung mit folgender
Ausführung: die königlich preußische Oberrechnuugskammer (nowdone: eine Behörde,
die in Preußen beinahe ebenso gefürchtet ist, wie einstmals die utans bei den Fran¬
zosen) habe einen Mas dahin erlassen, daß alle Gelder, die für ein bestimmtes
Rechnungsjahr ausgeworfen und von den Behörden ausgegeben seien, auch in dem¬
selben Rechnungsjahr thatsächlich verwendet werden müßten, und dies sei hier nicht
geschehen. Als sich der Rührige vou seiner ersten Bestürzung erholt hatte, faßte
er sich ein Herz und berichtete der hohen Behörde unterthänigst, daß es ihm beim
besten Willen nicht möglich gewesen sei, das Geld in dem abgelcmfncn Rechnungs¬
jahre zu verwenden, da er es erst nach Schluß des Jahres erhalten habe.

Wie diese Tragödie ausgegangen, vermag uns unser Gewährsmann leider
nicht mitzuteilen; vielleicht findet er den Schlußakt noch einmal in seinen Papieren.




Für-die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

sicher auf die Unterstützung des deutschen Reichs rechnen dürfen. Mit diesem
Ausblick in eine hoffentlich nicht ferne Zukunft rufen wir dem kunsthistorischen
Institut in Florenz ein herzliches Glück auf! zu.


Waadtland und Reichsland.

Das hätten wir uns doch nie träumen lassen,
wenn wir die föderativ-radikale Politik des schönen Waadtlandes in ihrer nervösen
Angst vor Bern und Zentralgewalt betrachteten, daß sich dieser I'uror politions
eines Tages gegen Deutschland kehren und dessen 1870/71 gewonnene Gestaltung
durch unerbittliche Nichtanerkennung bedrohen würde. Noch weniger, daß sich auch
eine waadtläudische Töchterschule an dem Protest beteiligen würde. Vor uns liegt
ein Programm der rühmlich bekannten Levis Lnpörisurs as jsunss Mo« », I^ausauiuz,
dem ein Bogen von Adressen alter Schülerinnen und Eltern von Schülerinnen als
Empfehlung beigegeben ist. Da stehen zuerst 76 Namen von Deutschen, dann
kommen ^Isaeo mit 12, ^.in6riq.no, L.lit,riodo-Hou^rio usw. Also auch die Töchter¬
schule weist dem Reichsland seine besondre Stelle neben Deutschland nu: man
begreift den Sinn dieser Auseinnndcrhnltnng noch einigermaßen in französischen
Blättern, die ihren Abonnenten Rechnung tragen müssen; lächerlich wird sie, wenn
sie in Blättern der neutralen Schweiz nachgeahmt wird; in dem Programm einer
Töchterschule, für die man in Deutschland wirbt, sinkt sie zur Taktlosigkeit herab.


Büreaukratismus.

Welch schone Blüten der Büreaukratisnms bei sorg¬
fältiger Pflege treiben kann, beweist folgende allerliebste Leistung einer königlich
preußischen hohen Verwaltungsbehörde, die uns ein Freund unsers Blattes mitteilt.

Einem rührigen Manne, der sich die Forderung eines Handarbeitsunterrichts
angelegen sein ließ, war es gelungen, eine hohe Staatsbehörde für seine Bestrebungen
zu interessiren und von ihr für seiue Zwecke die wahrhaft königliche Beihilfe von
annähernd baren fünfundzwanzig preußischen Reichsthalern zu erhalten. Diese Bei¬
hilfe war ihm ausgerechnet am allerletzten Tage eines Rechnungsjahres bewilligt,
und war bei der sattsam bekannten Geschwindigkeit, womit die königlich preußischen
Staatsbehörden ihre Arbeiten zu erledigen pflegen, glücklich auch über eine Woche
später, also uach Schluß des Rechnungsjahres ausgezahlt worden. Mit geziemendem
Dank nahm der rührige Mann das Geld entgegen und teilte auf besondres Ver¬
langen der Behörde mit, daß es in kurzem vorschriftsmäßig verwendet werden würde.
Drei Monate waren ins Land gegangen, da erhielt der rührige Mann zu seiner
unbeschreiblichen Überraschung von derselben Behörde die freundliche Aufforderung,
das empfangne Geld zurückzuzahlen. Begründet wurde diese Forderung mit folgender
Ausführung: die königlich preußische Oberrechnuugskammer (nowdone: eine Behörde,
die in Preußen beinahe ebenso gefürchtet ist, wie einstmals die utans bei den Fran¬
zosen) habe einen Mas dahin erlassen, daß alle Gelder, die für ein bestimmtes
Rechnungsjahr ausgeworfen und von den Behörden ausgegeben seien, auch in dem¬
selben Rechnungsjahr thatsächlich verwendet werden müßten, und dies sei hier nicht
geschehen. Als sich der Rührige vou seiner ersten Bestürzung erholt hatte, faßte
er sich ein Herz und berichtete der hohen Behörde unterthänigst, daß es ihm beim
besten Willen nicht möglich gewesen sei, das Geld in dem abgelcmfncn Rechnungs¬
jahre zu verwenden, da er es erst nach Schluß des Jahres erhalten habe.

Wie diese Tragödie ausgegangen, vermag uns unser Gewährsmann leider
nicht mitzuteilen; vielleicht findet er den Schlußakt noch einmal in seinen Papieren.




Für-die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0200] Maßgebliches und Unmaßgebliches sicher auf die Unterstützung des deutschen Reichs rechnen dürfen. Mit diesem Ausblick in eine hoffentlich nicht ferne Zukunft rufen wir dem kunsthistorischen Institut in Florenz ein herzliches Glück auf! zu. Waadtland und Reichsland. Das hätten wir uns doch nie träumen lassen, wenn wir die föderativ-radikale Politik des schönen Waadtlandes in ihrer nervösen Angst vor Bern und Zentralgewalt betrachteten, daß sich dieser I'uror politions eines Tages gegen Deutschland kehren und dessen 1870/71 gewonnene Gestaltung durch unerbittliche Nichtanerkennung bedrohen würde. Noch weniger, daß sich auch eine waadtläudische Töchterschule an dem Protest beteiligen würde. Vor uns liegt ein Programm der rühmlich bekannten Levis Lnpörisurs as jsunss Mo« », I^ausauiuz, dem ein Bogen von Adressen alter Schülerinnen und Eltern von Schülerinnen als Empfehlung beigegeben ist. Da stehen zuerst 76 Namen von Deutschen, dann kommen ^Isaeo mit 12, ^.in6riq.no, L.lit,riodo-Hou^rio usw. Also auch die Töchter¬ schule weist dem Reichsland seine besondre Stelle neben Deutschland nu: man begreift den Sinn dieser Auseinnndcrhnltnng noch einigermaßen in französischen Blättern, die ihren Abonnenten Rechnung tragen müssen; lächerlich wird sie, wenn sie in Blättern der neutralen Schweiz nachgeahmt wird; in dem Programm einer Töchterschule, für die man in Deutschland wirbt, sinkt sie zur Taktlosigkeit herab. Büreaukratismus. Welch schone Blüten der Büreaukratisnms bei sorg¬ fältiger Pflege treiben kann, beweist folgende allerliebste Leistung einer königlich preußischen hohen Verwaltungsbehörde, die uns ein Freund unsers Blattes mitteilt. Einem rührigen Manne, der sich die Forderung eines Handarbeitsunterrichts angelegen sein ließ, war es gelungen, eine hohe Staatsbehörde für seine Bestrebungen zu interessiren und von ihr für seiue Zwecke die wahrhaft königliche Beihilfe von annähernd baren fünfundzwanzig preußischen Reichsthalern zu erhalten. Diese Bei¬ hilfe war ihm ausgerechnet am allerletzten Tage eines Rechnungsjahres bewilligt, und war bei der sattsam bekannten Geschwindigkeit, womit die königlich preußischen Staatsbehörden ihre Arbeiten zu erledigen pflegen, glücklich auch über eine Woche später, also uach Schluß des Rechnungsjahres ausgezahlt worden. Mit geziemendem Dank nahm der rührige Mann das Geld entgegen und teilte auf besondres Ver¬ langen der Behörde mit, daß es in kurzem vorschriftsmäßig verwendet werden würde. Drei Monate waren ins Land gegangen, da erhielt der rührige Mann zu seiner unbeschreiblichen Überraschung von derselben Behörde die freundliche Aufforderung, das empfangne Geld zurückzuzahlen. Begründet wurde diese Forderung mit folgender Ausführung: die königlich preußische Oberrechnuugskammer (nowdone: eine Behörde, die in Preußen beinahe ebenso gefürchtet ist, wie einstmals die utans bei den Fran¬ zosen) habe einen Mas dahin erlassen, daß alle Gelder, die für ein bestimmtes Rechnungsjahr ausgeworfen und von den Behörden ausgegeben seien, auch in dem¬ selben Rechnungsjahr thatsächlich verwendet werden müßten, und dies sei hier nicht geschehen. Als sich der Rührige vou seiner ersten Bestürzung erholt hatte, faßte er sich ein Herz und berichtete der hohen Behörde unterthänigst, daß es ihm beim besten Willen nicht möglich gewesen sei, das Geld in dem abgelcmfncn Rechnungs¬ jahre zu verwenden, da er es erst nach Schluß des Jahres erhalten habe. Wie diese Tragödie ausgegangen, vermag uns unser Gewährsmann leider nicht mitzuteilen; vielleicht findet er den Schlußakt noch einmal in seinen Papieren. Für-die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/200>, abgerufen am 27.12.2024.