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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Zur Polenfrage

le Gefahr der Polonisirung des platten Landes ist groß. Nach
unsrer Schätzung sind auf den hiesigen kleinern und größern
Gütern im Sommer etwa zur Hülste polnische Leute in Arbeit,
von denen die meisten im Frühling kommen und im Herbst
wieder gehen. Aber manche bleiben; und so kommt es, daß
auch im Winter wohl ein Viertel der landwirtschaftlichen Arbeiter Polen sind,
wozu alle zählen, die entweder einen polnischen Namen tragen oder nicht
ordentlich deutsch sprechen können. So steht es im Herzen der preußischen
Monarchie, in der Altmark, wenigstens in dem Teil, wo wenig Dörfer sind.

Ist es nicht wunderbar, was der Verfasser des Artikels über die ostdeutsche
Landwirtschaft erzählt, daß ein absoluter König, dem es doch eigentlich gleich
sein könnte, über was für Kreaturen er herrschte, wenn sie nur gehorchten,
gesagt hat: Menschen halte ich für den größten Reichtum, aber bei Leib- und
Lebensstrafe keine Polen, sondern nur deutsche Leute? So sehr dachte und
handelte er im Dienste des Volkes. Ist es nicht noch wunderbarer, daß es
heute unter Volksvertretern, die die Ehre haben, an der königlichen Last des
Regierens teilnehmen zu dürfen, Parteien geben soll, die beim Anblick dieser
Völkerwanderung kein Gefühl der Verantwortlichkeit beschleicht? Gerade
heute, wo jeder Deutsche mitwühlen darf, wo wir eine Verfassung haben, die
nur dann ein Segen sein kann, wenn sie bei einem geschulten, maßvollen und
in seinen Hauptwünschen einigen Volke liegt, gerade heute kann es nicht gleich-
giltig sein, was für Elemente einwandern. Erst freilich sind die polnischen
Tagelöhner stumm und gehorsam. Aber schon das nächste Geschlecht wird
die ohne alles Verdienst und Würdigkeit gewonnene Freiheit austoben in allen
Thorheiten einer unreifen Demokratie. Nehmen sie erst am politischen Leben
teil, werden sie jedenfalls keinen Zuwachs zu dem besonnenen und konservativen
Teile der deutschen Arbeiter bilden.

Was sind die Ursachen der Poleneinwanderung? Sind die Polen billigere
Arbeiter? Ohne Zweifel beanspruchen sie weniger, und doch behaupten
die meisten Besitzer, und nach unsrer Erfahrung die, die rechnen können, daß
sie für die Herren keineswegs billiger seien als die einheimischen Arbeiter.
Erstens kamen die Vermittlerkosten hinzu, sodann der Transport, drittens
kauft der Besitzer die Katze im Sack; er weiß nicht, ob er Säufer oder Spitz-




Zur Polenfrage

le Gefahr der Polonisirung des platten Landes ist groß. Nach
unsrer Schätzung sind auf den hiesigen kleinern und größern
Gütern im Sommer etwa zur Hülste polnische Leute in Arbeit,
von denen die meisten im Frühling kommen und im Herbst
wieder gehen. Aber manche bleiben; und so kommt es, daß
auch im Winter wohl ein Viertel der landwirtschaftlichen Arbeiter Polen sind,
wozu alle zählen, die entweder einen polnischen Namen tragen oder nicht
ordentlich deutsch sprechen können. So steht es im Herzen der preußischen
Monarchie, in der Altmark, wenigstens in dem Teil, wo wenig Dörfer sind.

Ist es nicht wunderbar, was der Verfasser des Artikels über die ostdeutsche
Landwirtschaft erzählt, daß ein absoluter König, dem es doch eigentlich gleich
sein könnte, über was für Kreaturen er herrschte, wenn sie nur gehorchten,
gesagt hat: Menschen halte ich für den größten Reichtum, aber bei Leib- und
Lebensstrafe keine Polen, sondern nur deutsche Leute? So sehr dachte und
handelte er im Dienste des Volkes. Ist es nicht noch wunderbarer, daß es
heute unter Volksvertretern, die die Ehre haben, an der königlichen Last des
Regierens teilnehmen zu dürfen, Parteien geben soll, die beim Anblick dieser
Völkerwanderung kein Gefühl der Verantwortlichkeit beschleicht? Gerade
heute, wo jeder Deutsche mitwühlen darf, wo wir eine Verfassung haben, die
nur dann ein Segen sein kann, wenn sie bei einem geschulten, maßvollen und
in seinen Hauptwünschen einigen Volke liegt, gerade heute kann es nicht gleich-
giltig sein, was für Elemente einwandern. Erst freilich sind die polnischen
Tagelöhner stumm und gehorsam. Aber schon das nächste Geschlecht wird
die ohne alles Verdienst und Würdigkeit gewonnene Freiheit austoben in allen
Thorheiten einer unreifen Demokratie. Nehmen sie erst am politischen Leben
teil, werden sie jedenfalls keinen Zuwachs zu dem besonnenen und konservativen
Teile der deutschen Arbeiter bilden.

Was sind die Ursachen der Poleneinwanderung? Sind die Polen billigere
Arbeiter? Ohne Zweifel beanspruchen sie weniger, und doch behaupten
die meisten Besitzer, und nach unsrer Erfahrung die, die rechnen können, daß
sie für die Herren keineswegs billiger seien als die einheimischen Arbeiter.
Erstens kamen die Vermittlerkosten hinzu, sodann der Transport, drittens
kauft der Besitzer die Katze im Sack; er weiß nicht, ob er Säufer oder Spitz-


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[0015] [Abbildung] Zur Polenfrage le Gefahr der Polonisirung des platten Landes ist groß. Nach unsrer Schätzung sind auf den hiesigen kleinern und größern Gütern im Sommer etwa zur Hülste polnische Leute in Arbeit, von denen die meisten im Frühling kommen und im Herbst wieder gehen. Aber manche bleiben; und so kommt es, daß auch im Winter wohl ein Viertel der landwirtschaftlichen Arbeiter Polen sind, wozu alle zählen, die entweder einen polnischen Namen tragen oder nicht ordentlich deutsch sprechen können. So steht es im Herzen der preußischen Monarchie, in der Altmark, wenigstens in dem Teil, wo wenig Dörfer sind. Ist es nicht wunderbar, was der Verfasser des Artikels über die ostdeutsche Landwirtschaft erzählt, daß ein absoluter König, dem es doch eigentlich gleich sein könnte, über was für Kreaturen er herrschte, wenn sie nur gehorchten, gesagt hat: Menschen halte ich für den größten Reichtum, aber bei Leib- und Lebensstrafe keine Polen, sondern nur deutsche Leute? So sehr dachte und handelte er im Dienste des Volkes. Ist es nicht noch wunderbarer, daß es heute unter Volksvertretern, die die Ehre haben, an der königlichen Last des Regierens teilnehmen zu dürfen, Parteien geben soll, die beim Anblick dieser Völkerwanderung kein Gefühl der Verantwortlichkeit beschleicht? Gerade heute, wo jeder Deutsche mitwühlen darf, wo wir eine Verfassung haben, die nur dann ein Segen sein kann, wenn sie bei einem geschulten, maßvollen und in seinen Hauptwünschen einigen Volke liegt, gerade heute kann es nicht gleich- giltig sein, was für Elemente einwandern. Erst freilich sind die polnischen Tagelöhner stumm und gehorsam. Aber schon das nächste Geschlecht wird die ohne alles Verdienst und Würdigkeit gewonnene Freiheit austoben in allen Thorheiten einer unreifen Demokratie. Nehmen sie erst am politischen Leben teil, werden sie jedenfalls keinen Zuwachs zu dem besonnenen und konservativen Teile der deutschen Arbeiter bilden. Was sind die Ursachen der Poleneinwanderung? Sind die Polen billigere Arbeiter? Ohne Zweifel beanspruchen sie weniger, und doch behaupten die meisten Besitzer, und nach unsrer Erfahrung die, die rechnen können, daß sie für die Herren keineswegs billiger seien als die einheimischen Arbeiter. Erstens kamen die Vermittlerkosten hinzu, sodann der Transport, drittens kauft der Besitzer die Katze im Sack; er weiß nicht, ob er Säufer oder Spitz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/15>, abgerufen am 27.12.2024.