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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Deutsche Kolonisation

Zum Schluß noch ein Wort. Leider hat sich bei uns der Brauch ein¬
gebürgert, daß nur von Sozialdemokraten oder etwa einem sehr freisinnigen
Patrioten die Schwächen der Armee ans Licht gezogen werden. Daß ich
keiner der beiden Parteien angehöre, wird der aufmerksame Leser bemerkt
haben. Aber gerade weil mir das Wohl der Armee am Herzen liegt, halte
ich diese öffentliche Besprechung für geboten. Aus dem Volk ist das Heer
geschaffen, dem Wohl des Volkes soll es dienen, darum möge auch alles, was
sein Wohl und Wehe betrifft, vor dem Volke verhandelt werden.

Für die Armee aber ist das der beste Prüfstein: so lange sie die Öffent¬
lichkeit fürchtet, ist sie nicht auf der Stufe der Vollendung; erst wenn sie
diese Scheu überwunden hat, steht sie erhaben da, denn dann hat sie eben
nichts mehr zu verheimlichen.




Deutsche Kolonisation
(Schluß)

le große Aufgabe des kommenden Jahrhunderts ist, wie sich
heute auch für kurzsichtige Augen mit völliger Deutlichkeit er¬
kennen läßt, die Einbeziehung Asiens in den europäischen Kultur¬
kreis, die Vereinigung dieser bisher getrennten Welten. Die dabei
interessirten europäischen Großstaaten Nußland, England und
Frankreich haben zu dieser Frage in politischer, wirtschaftlicher und strategischer
Beziehung Stellung genommen, und es scheint uns, daß der Wert deutscher
Kolonialstaaten wesentlich davon abhängt, in welches Verhältnis sie Deutschland
zu dieser die Völkergeschicke der Erde entscheidenden Frage setzen. Das euro¬
päische Gleichgewicht ist eine schwere Errungenschaft von Jahrhunderten, es wird
auch die Grundlage der weitern Kulturfortschritte bilden, aber damit es erhalten
bleibe, muß auch die politische und wirtschaftliche Ausdehnung der europäischen
Kulturvölker über den Erdball annähernd im Gleichgewicht bleiben, und dieses
Gleichgewicht wird auf asiatischem Boden abgewogen. Von diesem Gesichtspunkt
aus ist der Erwerb oder die Besiedlung Südbrasiliens wertlos; unsre Mit¬
bewerber im Osten würden nichts lieber sehen, als wenn wir dort unsre Kräfte
ernstlich engagirten und uns dort recht tief verwickelten. Die Romanen Süd¬
amerikas aber wollen von einer autonomen deutschen Kolonie oder einer deutschen
Schutzherrschaft überhaupt nichts wissen, ihre eignen Regierungen sind aber
völlig verlottert und leiden derartig an Beamtenkorruption, daß in absehbarer


Grenzboten II 1897 9
Deutsche Kolonisation

Zum Schluß noch ein Wort. Leider hat sich bei uns der Brauch ein¬
gebürgert, daß nur von Sozialdemokraten oder etwa einem sehr freisinnigen
Patrioten die Schwächen der Armee ans Licht gezogen werden. Daß ich
keiner der beiden Parteien angehöre, wird der aufmerksame Leser bemerkt
haben. Aber gerade weil mir das Wohl der Armee am Herzen liegt, halte
ich diese öffentliche Besprechung für geboten. Aus dem Volk ist das Heer
geschaffen, dem Wohl des Volkes soll es dienen, darum möge auch alles, was
sein Wohl und Wehe betrifft, vor dem Volke verhandelt werden.

Für die Armee aber ist das der beste Prüfstein: so lange sie die Öffent¬
lichkeit fürchtet, ist sie nicht auf der Stufe der Vollendung; erst wenn sie
diese Scheu überwunden hat, steht sie erhaben da, denn dann hat sie eben
nichts mehr zu verheimlichen.




Deutsche Kolonisation
(Schluß)

le große Aufgabe des kommenden Jahrhunderts ist, wie sich
heute auch für kurzsichtige Augen mit völliger Deutlichkeit er¬
kennen läßt, die Einbeziehung Asiens in den europäischen Kultur¬
kreis, die Vereinigung dieser bisher getrennten Welten. Die dabei
interessirten europäischen Großstaaten Nußland, England und
Frankreich haben zu dieser Frage in politischer, wirtschaftlicher und strategischer
Beziehung Stellung genommen, und es scheint uns, daß der Wert deutscher
Kolonialstaaten wesentlich davon abhängt, in welches Verhältnis sie Deutschland
zu dieser die Völkergeschicke der Erde entscheidenden Frage setzen. Das euro¬
päische Gleichgewicht ist eine schwere Errungenschaft von Jahrhunderten, es wird
auch die Grundlage der weitern Kulturfortschritte bilden, aber damit es erhalten
bleibe, muß auch die politische und wirtschaftliche Ausdehnung der europäischen
Kulturvölker über den Erdball annähernd im Gleichgewicht bleiben, und dieses
Gleichgewicht wird auf asiatischem Boden abgewogen. Von diesem Gesichtspunkt
aus ist der Erwerb oder die Besiedlung Südbrasiliens wertlos; unsre Mit¬
bewerber im Osten würden nichts lieber sehen, als wenn wir dort unsre Kräfte
ernstlich engagirten und uns dort recht tief verwickelten. Die Romanen Süd¬
amerikas aber wollen von einer autonomen deutschen Kolonie oder einer deutschen
Schutzherrschaft überhaupt nichts wissen, ihre eignen Regierungen sind aber
völlig verlottert und leiden derartig an Beamtenkorruption, daß in absehbarer


Grenzboten II 1897 9
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[0073] Deutsche Kolonisation Zum Schluß noch ein Wort. Leider hat sich bei uns der Brauch ein¬ gebürgert, daß nur von Sozialdemokraten oder etwa einem sehr freisinnigen Patrioten die Schwächen der Armee ans Licht gezogen werden. Daß ich keiner der beiden Parteien angehöre, wird der aufmerksame Leser bemerkt haben. Aber gerade weil mir das Wohl der Armee am Herzen liegt, halte ich diese öffentliche Besprechung für geboten. Aus dem Volk ist das Heer geschaffen, dem Wohl des Volkes soll es dienen, darum möge auch alles, was sein Wohl und Wehe betrifft, vor dem Volke verhandelt werden. Für die Armee aber ist das der beste Prüfstein: so lange sie die Öffent¬ lichkeit fürchtet, ist sie nicht auf der Stufe der Vollendung; erst wenn sie diese Scheu überwunden hat, steht sie erhaben da, denn dann hat sie eben nichts mehr zu verheimlichen. Deutsche Kolonisation (Schluß) le große Aufgabe des kommenden Jahrhunderts ist, wie sich heute auch für kurzsichtige Augen mit völliger Deutlichkeit er¬ kennen läßt, die Einbeziehung Asiens in den europäischen Kultur¬ kreis, die Vereinigung dieser bisher getrennten Welten. Die dabei interessirten europäischen Großstaaten Nußland, England und Frankreich haben zu dieser Frage in politischer, wirtschaftlicher und strategischer Beziehung Stellung genommen, und es scheint uns, daß der Wert deutscher Kolonialstaaten wesentlich davon abhängt, in welches Verhältnis sie Deutschland zu dieser die Völkergeschicke der Erde entscheidenden Frage setzen. Das euro¬ päische Gleichgewicht ist eine schwere Errungenschaft von Jahrhunderten, es wird auch die Grundlage der weitern Kulturfortschritte bilden, aber damit es erhalten bleibe, muß auch die politische und wirtschaftliche Ausdehnung der europäischen Kulturvölker über den Erdball annähernd im Gleichgewicht bleiben, und dieses Gleichgewicht wird auf asiatischem Boden abgewogen. Von diesem Gesichtspunkt aus ist der Erwerb oder die Besiedlung Südbrasiliens wertlos; unsre Mit¬ bewerber im Osten würden nichts lieber sehen, als wenn wir dort unsre Kräfte ernstlich engagirten und uns dort recht tief verwickelten. Die Romanen Süd¬ amerikas aber wollen von einer autonomen deutschen Kolonie oder einer deutschen Schutzherrschaft überhaupt nichts wissen, ihre eignen Regierungen sind aber völlig verlottert und leiden derartig an Beamtenkorruption, daß in absehbarer Grenzboten II 1897 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/73>, abgerufen am 23.07.2024.