Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Viktor sprang halb auf, alle Blicke richteten sich auf ihn, aber er setzte sich Aber ehe dieser sagen konnte, was er etwa noch zu sagen hatte, rief Fabricius (Fortsetzung fötal) Maßgebliches und Unmaßgebliches Übergangszustände. An sich ist die Redensart, mit der man sich oft Grenzboten II 1897 32
Maßgebliches und Unmaßgebliches Viktor sprang halb auf, alle Blicke richteten sich auf ihn, aber er setzte sich Aber ehe dieser sagen konnte, was er etwa noch zu sagen hatte, rief Fabricius (Fortsetzung fötal) Maßgebliches und Unmaßgebliches Übergangszustände. An sich ist die Redensart, mit der man sich oft Grenzboten II 1897 32
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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Viktor sprang halb auf, alle Blicke richteten sich auf ihn, aber er setzte sich
schnell und sah den Oberpfnrrer gespannt an.
Aber ehe dieser sagen konnte, was er etwa noch zu sagen hatte, rief Fabricius
aus! Die Geschichte dieser Brosche keime ich genau. Ist sie einem der Herren etwa
bekannt? Nein! Ich dachte es mir. Mir hat sie seine Mutter erzählt, und er hat
sie mir bestätigt. Ich denke, mein Freund wird nichts dagegen haben, wenn ich
sie erzähle. Statt des Vortrags, der für heute fällig wäre — Fabricius sah den
Oberpräzcptvr an, und dieser bot ihm für den leisen Stich die Dose an —, haben
wir zwei und machen damit auf unsre Gäste einen guten Eindruck. Viktor sah
verlegen drein, er nahm an, der feine, klug aussehende Rheinländer sei ihm schon
auf der Spur. Aber das war nur sein böses Gewissen!
(Fortsetzung fötal)
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Übergangszustände. An sich ist die Redensart, mit der man sich oft
über allerlei UnVollkommenheiten unsrer Zustände tröstet: unsre Zeit ist eben eine
Übergangszeit, recht thöricht, denn andre als Übergangszeiten giebt es überhaupt
uicht. Schon der große Augustinus fand mit allem Grübeln nichts andres heraus,
als daß die Gegenwart ein ganz unfaßbares Ding und nichts andres sei, als der
Übergang einer Zukunft in eine Vergangenheit. Darum wird das Morgen zwar
anders sein als das Gestern, aber daraus folgt uoch uicht, daß es besser sein
müsse, und ganz gewiß wird es so wenig etwas bleibendes sein wie das Heute,
sondern ebenso wie dieses mit dem unabänderlichen Schritte des Zeitnblaufs ins
Gestern übergehen. Alles Lebendige ist in steter Änderung begriffen, da ja leben
gar nichts andres heißt als sich nach bestimmten Gesetzen verändern. Nur zeigen
die verschiednen Seiten des Völkerlebens verschiedne Grade der Veränderlichkeit.
Das wandelbarste sind — bei den historischen Völkern nämlich, die Naturvölker
und die erstarrten Nationen haben eben kein Volksleben, sonder» vegetiren bloß—,
das wandelbarste sind die wissenschaftlichen und sonstigen Meinungen und die
Staaten; die Forschung bleibt nicht ein Jahr lang auf derselben Stelle, und
Staaten, deren Verfassungen zehn Jahre und deren Grenzen fünfzig Jahre unver¬
ändert bleiben, dürften zu den Seltenheiten gehören. Am unveränderlichsten waren
bis in den Anfang unsers Jahrhunderts die Prodnktionsfvrmcn. Der Bauer und
sei» Pflug haben sich von den Zeiten der sagenhaften römischen Könige bis zu der
Einführung des Dampfpflugs in unsrer Zeit nur sehr wenig geändert, und das¬
selbe ist vom Schuster und vom Schneider, vom Weber und vom Gerber, vom
Schmied und vom Tischler zu sagen. Die Lebensverhältnisse dieser Hanptprodu-
zenten haben zwar im Altertum und Mittelalter mannichfache Wechsel erlitten;
der Bauer ist abwechselnd Sklave, Höriger und Freier gewesen, der Handwerker
war ebenfalls manchmal ein Sklave, manchmal ein Höriger, und er war im Mittel¬
alter Lohnwerker, wie die von Bücher eingeführte Bezeichnung lautet, ehe er mit
eignem Material und für deu Markt schaffte. Aber die Grundform beider Berufs-
arten blieb doch bestehen, und man geriet zu keiner Zeit in Verlegenheit, wenn
man angeben sollte, was ein Bauer, was ein Handwerker sei. Da um auf dem
Beruf das Dasein des zivilisirtcn Menschen beruht, so ist ein Zustand unerträglich,
Grenzboten II 1897 32
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