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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands Seemacht

eutschland ist gesättigt, hat einmal Fürst Bismarck gesagt. Er
wollte damit nur den Verdacht abwehren, als ob dieses Waffen-
gewaltige Deutschland etwa darauf ausgehe, Deutsch-Österreich,
die Schweiz, Holland, Belgien usw., Lander, die allerdings un¬
zweifelhaft einmal zum heiligen römischen Reiche deutscher Nation
gehört haben, an sich zu bringen. Außerhalb Europas wollte er sich damit
keineswegs die Hände binden. Hat er doch seit 1884 die kolonialen Er¬
werbungen durchgesetzt, die nach seinem Rucktritte fast keinen Zuwachs mehr,
Wohl aber manche Verminderung erfahren haben. Denn unsre rasch anwachsende
Bevölkerung und Industrie drängt nun einmal auf eine expansive Politik, auf
die Erwerbung oder Öffnung von Gebieten für Besiedlung, Pslcmznngsarbeit
und Absatz, und da es auf absehbare Zeit ganz unmöglich ist, derartige Länder
w Europa zu erwerben, so bleibt eben nichts übrig, als sie jenseits des Meeres
M suche". Unsre ganze Weltstellung ist davon abhängig, denn, wie Heinrich
von Treitschke schon 1864 gesagt hat, eine Nation, die sich heute auf Europa
beschränkt, ist keine Großmacht; will sie das sein, so -- muß sie teilnehmen
an der Weltherrschaft. Teilnehmer, nicht sie erwerben sür sich allein. Das letzte
sse nur das Ziel der englischen Politik. Aber so wenig Europa noch das Über¬
gewicht eines einzigen Volkes gestattet, so wenig können die großen Mächte auf
die Dauer jenes ungeheure Übergewicht Englands in der Weltwirtschaft und
der Kolonialherrschaft ertragen. ' Niemals dürfen sie -- und wir Deutschen
wsbesondre nicht -- diesen Anspruch Englands als berechtigt oder gar
selbstverständlich anerkennen, wie es von dort aus mit einer gewissen Naivität
wuner und immer wieder verlangt wird, und wenn wir Deutschen auch die
schweren, unsühnbciren Unterlassungssünden unsrer Vorfahren nicht mehr gut¬
machen können, um so unnachsichtiger und nachhaltiger müssen wir darnach


Grenzboten IV 1896 68


Deutschlands Seemacht

eutschland ist gesättigt, hat einmal Fürst Bismarck gesagt. Er
wollte damit nur den Verdacht abwehren, als ob dieses Waffen-
gewaltige Deutschland etwa darauf ausgehe, Deutsch-Österreich,
die Schweiz, Holland, Belgien usw., Lander, die allerdings un¬
zweifelhaft einmal zum heiligen römischen Reiche deutscher Nation
gehört haben, an sich zu bringen. Außerhalb Europas wollte er sich damit
keineswegs die Hände binden. Hat er doch seit 1884 die kolonialen Er¬
werbungen durchgesetzt, die nach seinem Rucktritte fast keinen Zuwachs mehr,
Wohl aber manche Verminderung erfahren haben. Denn unsre rasch anwachsende
Bevölkerung und Industrie drängt nun einmal auf eine expansive Politik, auf
die Erwerbung oder Öffnung von Gebieten für Besiedlung, Pslcmznngsarbeit
und Absatz, und da es auf absehbare Zeit ganz unmöglich ist, derartige Länder
w Europa zu erwerben, so bleibt eben nichts übrig, als sie jenseits des Meeres
M suche«. Unsre ganze Weltstellung ist davon abhängig, denn, wie Heinrich
von Treitschke schon 1864 gesagt hat, eine Nation, die sich heute auf Europa
beschränkt, ist keine Großmacht; will sie das sein, so — muß sie teilnehmen
an der Weltherrschaft. Teilnehmer, nicht sie erwerben sür sich allein. Das letzte
sse nur das Ziel der englischen Politik. Aber so wenig Europa noch das Über¬
gewicht eines einzigen Volkes gestattet, so wenig können die großen Mächte auf
die Dauer jenes ungeheure Übergewicht Englands in der Weltwirtschaft und
der Kolonialherrschaft ertragen. ' Niemals dürfen sie — und wir Deutschen
wsbesondre nicht — diesen Anspruch Englands als berechtigt oder gar
selbstverständlich anerkennen, wie es von dort aus mit einer gewissen Naivität
wuner und immer wieder verlangt wird, und wenn wir Deutschen auch die
schweren, unsühnbciren Unterlassungssünden unsrer Vorfahren nicht mehr gut¬
machen können, um so unnachsichtiger und nachhaltiger müssen wir darnach


Grenzboten IV 1896 68
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[0545] [Abbildung] Deutschlands Seemacht eutschland ist gesättigt, hat einmal Fürst Bismarck gesagt. Er wollte damit nur den Verdacht abwehren, als ob dieses Waffen- gewaltige Deutschland etwa darauf ausgehe, Deutsch-Österreich, die Schweiz, Holland, Belgien usw., Lander, die allerdings un¬ zweifelhaft einmal zum heiligen römischen Reiche deutscher Nation gehört haben, an sich zu bringen. Außerhalb Europas wollte er sich damit keineswegs die Hände binden. Hat er doch seit 1884 die kolonialen Er¬ werbungen durchgesetzt, die nach seinem Rucktritte fast keinen Zuwachs mehr, Wohl aber manche Verminderung erfahren haben. Denn unsre rasch anwachsende Bevölkerung und Industrie drängt nun einmal auf eine expansive Politik, auf die Erwerbung oder Öffnung von Gebieten für Besiedlung, Pslcmznngsarbeit und Absatz, und da es auf absehbare Zeit ganz unmöglich ist, derartige Länder w Europa zu erwerben, so bleibt eben nichts übrig, als sie jenseits des Meeres M suche«. Unsre ganze Weltstellung ist davon abhängig, denn, wie Heinrich von Treitschke schon 1864 gesagt hat, eine Nation, die sich heute auf Europa beschränkt, ist keine Großmacht; will sie das sein, so — muß sie teilnehmen an der Weltherrschaft. Teilnehmer, nicht sie erwerben sür sich allein. Das letzte sse nur das Ziel der englischen Politik. Aber so wenig Europa noch das Über¬ gewicht eines einzigen Volkes gestattet, so wenig können die großen Mächte auf die Dauer jenes ungeheure Übergewicht Englands in der Weltwirtschaft und der Kolonialherrschaft ertragen. ' Niemals dürfen sie — und wir Deutschen wsbesondre nicht — diesen Anspruch Englands als berechtigt oder gar selbstverständlich anerkennen, wie es von dort aus mit einer gewissen Naivität wuner und immer wieder verlangt wird, und wenn wir Deutschen auch die schweren, unsühnbciren Unterlassungssünden unsrer Vorfahren nicht mehr gut¬ machen können, um so unnachsichtiger und nachhaltiger müssen wir darnach Grenzboten IV 1896 68

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/545>, abgerufen am 04.01.2025.