Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches dieses: so lange wir Deutschen noch schwere kriegerische Entscheidungen vor uns Zur Justiznovelle. Die Ansichten in der Justiz wechseln oft fast wie die Maßgebliches und Unmaßgebliches dieses: so lange wir Deutschen noch schwere kriegerische Entscheidungen vor uns Zur Justiznovelle. Die Ansichten in der Justiz wechseln oft fast wie die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0443" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224027"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1338" prev="#ID_1337"> dieses: so lange wir Deutschen noch schwere kriegerische Entscheidungen vor uns<lb/> haben, werden wir einen tüchtigen Stand von Berufssoldaten brauchen, und wenn<lb/> die tüchtig bleiben sollen, wird man ihnen ihre besondre Standesehre lassen und<lb/> gestatten müssen, diese Ehre in der herkömmlichen Weise zu wahren. Dasselbe gilt<lb/> auch von den österreichischen, russischen, französischen Offizieren, nicht jedoch von<lb/> denen der schwächern Staaten! Die könnten ohne Gefährdung ihrer Vaterländer<lb/> bürgerliche Sitten annehmen. Die Italiener z. B. sind seit dem Untergange des<lb/> alten Römertums eine unkriegerische Nation. Sie haben auch ihren Nationalstaat<lb/> nicht aus eigner Kraft aufgerichtet; ihre einheimischen Tyrannen zu verjagen, dazu<lb/> war keine nach modernen Begriffen tüchtige Armee erforderlich, das haben Volks¬<lb/> haufen und Freischärler vermocht. Aber die Fremdherrschaft hätten sie ohne den<lb/> Beistand zuerst Frankreichs, dann Preußens niemals abzuschütteln vermocht; die<lb/> einzigen Piemontesen, die keine Vollblntitaliener sind, haben militärisch etwas ge¬<lb/> leistet. Auch bedürfen die Italiener keiner militärischen Tüchtigkeit mehr. Denn<lb/> Eroberungen machen zu können, sind sie zu schwach, und Eroberer anzu¬<lb/> ziehen, zu arm. Mit Vergnügen tragen die Nordländer ihr Geld nach Italien,<lb/> um die Kunst- und Naturgenusse, die das schöne Land bietet, zu bezahlen, aber<lb/> kein vernünftiger Mensch denkt daran, Geld, Land oder andre materielle Güter<lb/> durch Eroberung dort erbeuten zu wollen. So thut denn Rndini recht daran, daß<lb/> er mit dem Negus Frieden schließt und sich der Bekämpfung der Korruption in<lb/> der Verwaltung widmet, von der das Hurra und Halloh des Kriegslärms die<lb/> Blicke des Volkes ebenso ablenken sollte, wie seine Gedanken von seinem eignen<lb/> Elend, und wenn das italienische Volk seine Dnseinsbedingungen vollends erkannt<lb/> haben wird, so wird das auf die fernere Gestaltung seines Militärweseus nicht<lb/> ohne Einfluß bleiben. Belgien hat die Entwicklung zum modernen Militärstaate<lb/> uoch gar nicht durchgemacht, und man kann es seiner Bourgeoisie nicht verargen,<lb/> daß sie sich dagegen sträubt, die liberale so gut wie die klerikale. Ohne Zweifel<lb/> 'se die heutige belgische Wehrverfassung im höchsten Grade ungerecht und unsittlich;<lb/> ohne Zweifel wäre deu belgischen Bourgeoissöhncheu nichts gesünder als ein<lb/> strammer militärischer Drill, und der Exerzierplatz würde ihnen weit besser taugen<lb/> als die dumpfe Luft der Klosterschule und andrer weniger frommer Orte, die sie<lb/> lieben, aber man kann es ihnen und ihren Eltern nicht übel nehmen, wenn sie sich<lb/> fragen: Wozu? Im Ernstfalle würde es ja doch nichts nutzen; die Zeit, wo sich<lb/> ein Kleinstaat aus eigner Kraft gegen große Nachbarn halten konnte, ist ein für<lb/> allemal vorüber; der Fortbestand der Kleinstaaten hängt heute uicht mehr von der<lb/> Tapferkeit ihrer Bürger oder von der Trefflichkeit ihrer Armeen, sondern einzig<lb/> und allein von der Politik der Großmächte ab.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Zur Justiznovelle.</head> <p xml:id="ID_1339" next="#ID_1340"> Die Ansichten in der Justiz wechseln oft fast wie die<lb/> Moden. Eine feststehende Ansicht wird bestritten, bis die bestreitende Richtung die<lb/> Oberhand gewinnt. Später kommt man zu der Einsicht, daß diese doch irrtümlich<lb/> war, und kehrt zu der frühern zurück. So ist es auch mit der Frage der Be¬<lb/> rufung in Strafsachen gegangen. Schon in den fünfziger Jahren war in Preußen<lb/> die Zahl der Berufungen sehr groß. In den meisten Fällen natürlich wurde das<lb/> Urteil erster Instanz betreffs der Schuldfrage bestätigt. Doch wurde es in zweiter<lb/> -Instanz fast zur Gewohnheit, die Sache etwas milder zu beurteilen. Wenn der<lb/> erste Richter zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt hatte, fo wurde in zweiter<lb/> Instanz die Strafe auf vier Wochen ermäßigt. Die Folge war, daß sich die Ver¬<lb/> urteilten immer seltener bei dem ersten Erkenntnis beruhigten, und die Zahl der</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0443]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
dieses: so lange wir Deutschen noch schwere kriegerische Entscheidungen vor uns
haben, werden wir einen tüchtigen Stand von Berufssoldaten brauchen, und wenn
die tüchtig bleiben sollen, wird man ihnen ihre besondre Standesehre lassen und
gestatten müssen, diese Ehre in der herkömmlichen Weise zu wahren. Dasselbe gilt
auch von den österreichischen, russischen, französischen Offizieren, nicht jedoch von
denen der schwächern Staaten! Die könnten ohne Gefährdung ihrer Vaterländer
bürgerliche Sitten annehmen. Die Italiener z. B. sind seit dem Untergange des
alten Römertums eine unkriegerische Nation. Sie haben auch ihren Nationalstaat
nicht aus eigner Kraft aufgerichtet; ihre einheimischen Tyrannen zu verjagen, dazu
war keine nach modernen Begriffen tüchtige Armee erforderlich, das haben Volks¬
haufen und Freischärler vermocht. Aber die Fremdherrschaft hätten sie ohne den
Beistand zuerst Frankreichs, dann Preußens niemals abzuschütteln vermocht; die
einzigen Piemontesen, die keine Vollblntitaliener sind, haben militärisch etwas ge¬
leistet. Auch bedürfen die Italiener keiner militärischen Tüchtigkeit mehr. Denn
Eroberungen machen zu können, sind sie zu schwach, und Eroberer anzu¬
ziehen, zu arm. Mit Vergnügen tragen die Nordländer ihr Geld nach Italien,
um die Kunst- und Naturgenusse, die das schöne Land bietet, zu bezahlen, aber
kein vernünftiger Mensch denkt daran, Geld, Land oder andre materielle Güter
durch Eroberung dort erbeuten zu wollen. So thut denn Rndini recht daran, daß
er mit dem Negus Frieden schließt und sich der Bekämpfung der Korruption in
der Verwaltung widmet, von der das Hurra und Halloh des Kriegslärms die
Blicke des Volkes ebenso ablenken sollte, wie seine Gedanken von seinem eignen
Elend, und wenn das italienische Volk seine Dnseinsbedingungen vollends erkannt
haben wird, so wird das auf die fernere Gestaltung seines Militärweseus nicht
ohne Einfluß bleiben. Belgien hat die Entwicklung zum modernen Militärstaate
uoch gar nicht durchgemacht, und man kann es seiner Bourgeoisie nicht verargen,
daß sie sich dagegen sträubt, die liberale so gut wie die klerikale. Ohne Zweifel
'se die heutige belgische Wehrverfassung im höchsten Grade ungerecht und unsittlich;
ohne Zweifel wäre deu belgischen Bourgeoissöhncheu nichts gesünder als ein
strammer militärischer Drill, und der Exerzierplatz würde ihnen weit besser taugen
als die dumpfe Luft der Klosterschule und andrer weniger frommer Orte, die sie
lieben, aber man kann es ihnen und ihren Eltern nicht übel nehmen, wenn sie sich
fragen: Wozu? Im Ernstfalle würde es ja doch nichts nutzen; die Zeit, wo sich
ein Kleinstaat aus eigner Kraft gegen große Nachbarn halten konnte, ist ein für
allemal vorüber; der Fortbestand der Kleinstaaten hängt heute uicht mehr von der
Tapferkeit ihrer Bürger oder von der Trefflichkeit ihrer Armeen, sondern einzig
und allein von der Politik der Großmächte ab.
Zur Justiznovelle. Die Ansichten in der Justiz wechseln oft fast wie die
Moden. Eine feststehende Ansicht wird bestritten, bis die bestreitende Richtung die
Oberhand gewinnt. Später kommt man zu der Einsicht, daß diese doch irrtümlich
war, und kehrt zu der frühern zurück. So ist es auch mit der Frage der Be¬
rufung in Strafsachen gegangen. Schon in den fünfziger Jahren war in Preußen
die Zahl der Berufungen sehr groß. In den meisten Fällen natürlich wurde das
Urteil erster Instanz betreffs der Schuldfrage bestätigt. Doch wurde es in zweiter
-Instanz fast zur Gewohnheit, die Sache etwas milder zu beurteilen. Wenn der
erste Richter zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt hatte, fo wurde in zweiter
Instanz die Strafe auf vier Wochen ermäßigt. Die Folge war, daß sich die Ver¬
urteilten immer seltener bei dem ersten Erkenntnis beruhigten, und die Zahl der
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