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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der junge Hamerling

gleichstellt. Nicht gegen die Zwischenmeister gilt es zu kämpfen, sondern gegen
einzelne, zum Teil als arger Schlendrian sich darstellende Mißstände, die durch
hervorragende Ausbeuterbegabung und Ausbeutergewohnheit der Unternehmer
geschaffen, erhalten und ausgenutzt worden sind. Die Hauptschuld ist dem
Übergewicht des rücksichtslosen altjüdischen Schachergeistes beizumessen, das von
Anfang an gerade auf der Konfektionsindustrie lastete. Herr Timm hätte sich
von seinem Genossen Singer, der die glänzendsten Zeiten der Berliner Damen-
mäntelkonfektion als Unternehmer erlebt und, soviel wir wissen, auch damals
schon die Ausbeutung der Arbeiterschaft persönlich entschieden verurteilt hat,
über diesen höchsten Grad kaufmännischer Tüchtigkeit sicher die beste Belehrung
verschaffen zu können. Solange man nicht dieses Haupt- und Grundübel
erkennt und anerkennt, ist keine Besserung zu hoffen, und nur unter dieser
Voraussetzung lohnt es sich, Vorschläge zu gesetzgeberischen Maßregeln zu
machen.




Der junge Hamerling
Friedrich Vüsel von

icht alle geistigen Persönlichkeiten haben ihren Biographen in
gleichem Maße nötig. Schiller weniger als Goethe; Leibniz
mehr als Kant. Je voller und unmittelbarer dem Genie seine
Werke aus den Erlebnissen sprießen, desto notwendiger und
reicher wird die Aufgabe seiner Lebensbeschreibung. Wer könnte
den Dichter der Straßburger und Weimarer Liebeslieder recht verstehen und
würdigen ohne Kenntnis seines Verhältnisses zu Friederike Brion und zu
Frau von Stein? wer die universalwissenschaftlichen Schriften des welsischen
Historiographen und Diplomaten, ohne etwas von seinen Berufsschicksalen und
hohen Sendungen zu wissen? Bei Kant und Schiller dagegen: wieviel gleich-
giltiger ist für deren Werke ihre äußere Lebenserfahrung. Bei Kant, der
selten seine Vaterstadt, nicht ein einziges mal seine heimatliche Provinz ver¬
lassen hat, bei Schiller, der Lottes Bräutigam war und in der Zeit nie ein
Liebesgedicht verfaßt hat!

Zu diesen absolut verständlichen Geistern gehört auch Robert Hamer-
ling. Daß sein "Ahasver" und seine "Aspasia," sein "König von Sion"
und sein "Homunculus" des biographischen Kommentars entbehren können,


Der junge Hamerling

gleichstellt. Nicht gegen die Zwischenmeister gilt es zu kämpfen, sondern gegen
einzelne, zum Teil als arger Schlendrian sich darstellende Mißstände, die durch
hervorragende Ausbeuterbegabung und Ausbeutergewohnheit der Unternehmer
geschaffen, erhalten und ausgenutzt worden sind. Die Hauptschuld ist dem
Übergewicht des rücksichtslosen altjüdischen Schachergeistes beizumessen, das von
Anfang an gerade auf der Konfektionsindustrie lastete. Herr Timm hätte sich
von seinem Genossen Singer, der die glänzendsten Zeiten der Berliner Damen-
mäntelkonfektion als Unternehmer erlebt und, soviel wir wissen, auch damals
schon die Ausbeutung der Arbeiterschaft persönlich entschieden verurteilt hat,
über diesen höchsten Grad kaufmännischer Tüchtigkeit sicher die beste Belehrung
verschaffen zu können. Solange man nicht dieses Haupt- und Grundübel
erkennt und anerkennt, ist keine Besserung zu hoffen, und nur unter dieser
Voraussetzung lohnt es sich, Vorschläge zu gesetzgeberischen Maßregeln zu
machen.




Der junge Hamerling
Friedrich Vüsel von

icht alle geistigen Persönlichkeiten haben ihren Biographen in
gleichem Maße nötig. Schiller weniger als Goethe; Leibniz
mehr als Kant. Je voller und unmittelbarer dem Genie seine
Werke aus den Erlebnissen sprießen, desto notwendiger und
reicher wird die Aufgabe seiner Lebensbeschreibung. Wer könnte
den Dichter der Straßburger und Weimarer Liebeslieder recht verstehen und
würdigen ohne Kenntnis seines Verhältnisses zu Friederike Brion und zu
Frau von Stein? wer die universalwissenschaftlichen Schriften des welsischen
Historiographen und Diplomaten, ohne etwas von seinen Berufsschicksalen und
hohen Sendungen zu wissen? Bei Kant und Schiller dagegen: wieviel gleich-
giltiger ist für deren Werke ihre äußere Lebenserfahrung. Bei Kant, der
selten seine Vaterstadt, nicht ein einziges mal seine heimatliche Provinz ver¬
lassen hat, bei Schiller, der Lottes Bräutigam war und in der Zeit nie ein
Liebesgedicht verfaßt hat!

Zu diesen absolut verständlichen Geistern gehört auch Robert Hamer-
ling. Daß sein „Ahasver" und seine „Aspasia," sein „König von Sion"
und sein „Homunculus" des biographischen Kommentars entbehren können,


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[0412] Der junge Hamerling gleichstellt. Nicht gegen die Zwischenmeister gilt es zu kämpfen, sondern gegen einzelne, zum Teil als arger Schlendrian sich darstellende Mißstände, die durch hervorragende Ausbeuterbegabung und Ausbeutergewohnheit der Unternehmer geschaffen, erhalten und ausgenutzt worden sind. Die Hauptschuld ist dem Übergewicht des rücksichtslosen altjüdischen Schachergeistes beizumessen, das von Anfang an gerade auf der Konfektionsindustrie lastete. Herr Timm hätte sich von seinem Genossen Singer, der die glänzendsten Zeiten der Berliner Damen- mäntelkonfektion als Unternehmer erlebt und, soviel wir wissen, auch damals schon die Ausbeutung der Arbeiterschaft persönlich entschieden verurteilt hat, über diesen höchsten Grad kaufmännischer Tüchtigkeit sicher die beste Belehrung verschaffen zu können. Solange man nicht dieses Haupt- und Grundübel erkennt und anerkennt, ist keine Besserung zu hoffen, und nur unter dieser Voraussetzung lohnt es sich, Vorschläge zu gesetzgeberischen Maßregeln zu machen. Der junge Hamerling Friedrich Vüsel von icht alle geistigen Persönlichkeiten haben ihren Biographen in gleichem Maße nötig. Schiller weniger als Goethe; Leibniz mehr als Kant. Je voller und unmittelbarer dem Genie seine Werke aus den Erlebnissen sprießen, desto notwendiger und reicher wird die Aufgabe seiner Lebensbeschreibung. Wer könnte den Dichter der Straßburger und Weimarer Liebeslieder recht verstehen und würdigen ohne Kenntnis seines Verhältnisses zu Friederike Brion und zu Frau von Stein? wer die universalwissenschaftlichen Schriften des welsischen Historiographen und Diplomaten, ohne etwas von seinen Berufsschicksalen und hohen Sendungen zu wissen? Bei Kant und Schiller dagegen: wieviel gleich- giltiger ist für deren Werke ihre äußere Lebenserfahrung. Bei Kant, der selten seine Vaterstadt, nicht ein einziges mal seine heimatliche Provinz ver¬ lassen hat, bei Schiller, der Lottes Bräutigam war und in der Zeit nie ein Liebesgedicht verfaßt hat! Zu diesen absolut verständlichen Geistern gehört auch Robert Hamer- ling. Daß sein „Ahasver" und seine „Aspasia," sein „König von Sion" und sein „Homunculus" des biographischen Kommentars entbehren können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/412>, abgerufen am 05.01.2025.