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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie

Regel nicht erschöpfend behandeln, ja häufig das wichtigste nur nebenher be¬
rühren. Es ist dadurch eine im höchsten Grade störende Unübersichtlichkeit
entstanden, die die Gefahr mit sich, bringt, daß der Bearbeiter leicht zu einem
unrichtigen Bilde gelangt. Für ein größeres Publikum vollends sind diese
Protokolle dadurch ganz ungenießbar geworden. Andrerseits aber ist anzuer¬
kennen, daß sie eine Fülle wertvoller thatsächlicher Belehrung enthalten und
nach verschiednen Richtungen hin, und zwar gerade in wichtigen Fragen, ein
Urteil darüber ermöglichen, was der Staat thun kann, und was er nicht thun
kann. Sie lassen namentlich darüber keinen Zweifel, daß, wenn einerseits die
Mißstände in der deutschen Konfektionsindustrie bisher arg übertrieben worden
sind, doch andrerseits schwere Mißstände in ihr bestehen, die durch staatliche
Maßnahmen eingeschränkt oder beseitigt werden können. Sie lassen es an¬
gesichts der Erklärungen des Herrn von Boetticher vom 12. Februar dieses
Jahres jedenfalls als dringende Pflicht der Regierungen erkennen, daß bald
geschieht, was geschehen kann, um bald zu helfen, und daß endlich Ernst
gemacht wird mit der dauernden, eingehenden, sachverständigen Beobachtung
dieser im Flusse befindlichen großartigen wirtschaftlich-sozialen Erscheinungen
durch ein Arbeitsamt und eine Arbeitsstatistik in unabhängiger, vollmachtreicher,
aber auch wissenschaftlich und amtlich hinreichend verantwortlicher Stellung.


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Wir bitten die Grenzbotenleser, nicht zu verlangen, daß wir die Mode
mitmachen, durch Aufzählung vieler technischer Einzelheiten, die für Schneider¬
meister und Schneiderinnen wichtig sind, aber zur Beurteilung der sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnisse, die uns interessiren, nichts helfen, den Ein¬
druck besondrer Sachkenntnis hervorzurufen. Wir könnten das natürlich auch.
Unsre Quellen erzählen genug von Geh-, Leib- und Bauchröckeu, Paletots,
Kaisermänteln, Schuwalows, Havelocks, Jackets, Santos, Kostüms, Unterröcken,
Capes, Chemisetts, serviteurs, Nacht-, Ober-, Dameuhemden, Negligees usw.,
sie nennen Kammgarnstoffe, Tuch, Buckskin. Sill, Basch, Schrips, Clvth,
inneres Futter, Zmischenfutter, Einlagefntter, Ärmelfutter, Westenfutter, Taschen-
fntter, sie zählen die Hosenknöpfe, die Knopflöcher, die Falten, Kordeln, Stepp- und
Schaunähte auf, und das alles sind, wie gesagt, für den Schneider und die
Schneiderin sehr interessante Dinge. Für uns wären sie nur Bei- und Blend¬
werk. Auch den üblichen statistisch-tabellarischen Zahlenausputz bitten wir
uns zu erlassen. Die Aufstellung solcher Tabellen aus den Zahlenangaben,
wie sie uns vorliegen, wäre doch nur Spielerei. Der Wert zuverlässiger
Zahlenangaben an sich wird damit nicht bestritten. Bedauern müssen wir
dagegen, daß es uns hier an Platz fehlt, den so notwendigen Versuch einer
schärfern Abgrenzung der Begriffe zu unternehmen, die auf diesem Gebiete
von Bedeutung sind. Die Definitionen von "Konfektion," "Konfektionär,"


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Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie

Regel nicht erschöpfend behandeln, ja häufig das wichtigste nur nebenher be¬
rühren. Es ist dadurch eine im höchsten Grade störende Unübersichtlichkeit
entstanden, die die Gefahr mit sich, bringt, daß der Bearbeiter leicht zu einem
unrichtigen Bilde gelangt. Für ein größeres Publikum vollends sind diese
Protokolle dadurch ganz ungenießbar geworden. Andrerseits aber ist anzuer¬
kennen, daß sie eine Fülle wertvoller thatsächlicher Belehrung enthalten und
nach verschiednen Richtungen hin, und zwar gerade in wichtigen Fragen, ein
Urteil darüber ermöglichen, was der Staat thun kann, und was er nicht thun
kann. Sie lassen namentlich darüber keinen Zweifel, daß, wenn einerseits die
Mißstände in der deutschen Konfektionsindustrie bisher arg übertrieben worden
sind, doch andrerseits schwere Mißstände in ihr bestehen, die durch staatliche
Maßnahmen eingeschränkt oder beseitigt werden können. Sie lassen es an¬
gesichts der Erklärungen des Herrn von Boetticher vom 12. Februar dieses
Jahres jedenfalls als dringende Pflicht der Regierungen erkennen, daß bald
geschieht, was geschehen kann, um bald zu helfen, und daß endlich Ernst
gemacht wird mit der dauernden, eingehenden, sachverständigen Beobachtung
dieser im Flusse befindlichen großartigen wirtschaftlich-sozialen Erscheinungen
durch ein Arbeitsamt und eine Arbeitsstatistik in unabhängiger, vollmachtreicher,
aber auch wissenschaftlich und amtlich hinreichend verantwortlicher Stellung.


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Wir bitten die Grenzbotenleser, nicht zu verlangen, daß wir die Mode
mitmachen, durch Aufzählung vieler technischer Einzelheiten, die für Schneider¬
meister und Schneiderinnen wichtig sind, aber zur Beurteilung der sozialen und
wirtschaftlichen Verhältnisse, die uns interessiren, nichts helfen, den Ein¬
druck besondrer Sachkenntnis hervorzurufen. Wir könnten das natürlich auch.
Unsre Quellen erzählen genug von Geh-, Leib- und Bauchröckeu, Paletots,
Kaisermänteln, Schuwalows, Havelocks, Jackets, Santos, Kostüms, Unterröcken,
Capes, Chemisetts, serviteurs, Nacht-, Ober-, Dameuhemden, Negligees usw.,
sie nennen Kammgarnstoffe, Tuch, Buckskin. Sill, Basch, Schrips, Clvth,
inneres Futter, Zmischenfutter, Einlagefntter, Ärmelfutter, Westenfutter, Taschen-
fntter, sie zählen die Hosenknöpfe, die Knopflöcher, die Falten, Kordeln, Stepp- und
Schaunähte auf, und das alles sind, wie gesagt, für den Schneider und die
Schneiderin sehr interessante Dinge. Für uns wären sie nur Bei- und Blend¬
werk. Auch den üblichen statistisch-tabellarischen Zahlenausputz bitten wir
uns zu erlassen. Die Aufstellung solcher Tabellen aus den Zahlenangaben,
wie sie uns vorliegen, wäre doch nur Spielerei. Der Wert zuverlässiger
Zahlenangaben an sich wird damit nicht bestritten. Bedauern müssen wir
dagegen, daß es uns hier an Platz fehlt, den so notwendigen Versuch einer
schärfern Abgrenzung der Begriffe zu unternehmen, die auf diesem Gebiete
von Bedeutung sind. Die Definitionen von „Konfektion," „Konfektionär,"


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[0358] Die Mißstände in der Aleider- und Wäscheindustrie Regel nicht erschöpfend behandeln, ja häufig das wichtigste nur nebenher be¬ rühren. Es ist dadurch eine im höchsten Grade störende Unübersichtlichkeit entstanden, die die Gefahr mit sich, bringt, daß der Bearbeiter leicht zu einem unrichtigen Bilde gelangt. Für ein größeres Publikum vollends sind diese Protokolle dadurch ganz ungenießbar geworden. Andrerseits aber ist anzuer¬ kennen, daß sie eine Fülle wertvoller thatsächlicher Belehrung enthalten und nach verschiednen Richtungen hin, und zwar gerade in wichtigen Fragen, ein Urteil darüber ermöglichen, was der Staat thun kann, und was er nicht thun kann. Sie lassen namentlich darüber keinen Zweifel, daß, wenn einerseits die Mißstände in der deutschen Konfektionsindustrie bisher arg übertrieben worden sind, doch andrerseits schwere Mißstände in ihr bestehen, die durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt oder beseitigt werden können. Sie lassen es an¬ gesichts der Erklärungen des Herrn von Boetticher vom 12. Februar dieses Jahres jedenfalls als dringende Pflicht der Regierungen erkennen, daß bald geschieht, was geschehen kann, um bald zu helfen, und daß endlich Ernst gemacht wird mit der dauernden, eingehenden, sachverständigen Beobachtung dieser im Flusse befindlichen großartigen wirtschaftlich-sozialen Erscheinungen durch ein Arbeitsamt und eine Arbeitsstatistik in unabhängiger, vollmachtreicher, aber auch wissenschaftlich und amtlich hinreichend verantwortlicher Stellung. 2 Wir bitten die Grenzbotenleser, nicht zu verlangen, daß wir die Mode mitmachen, durch Aufzählung vieler technischer Einzelheiten, die für Schneider¬ meister und Schneiderinnen wichtig sind, aber zur Beurteilung der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die uns interessiren, nichts helfen, den Ein¬ druck besondrer Sachkenntnis hervorzurufen. Wir könnten das natürlich auch. Unsre Quellen erzählen genug von Geh-, Leib- und Bauchröckeu, Paletots, Kaisermänteln, Schuwalows, Havelocks, Jackets, Santos, Kostüms, Unterröcken, Capes, Chemisetts, serviteurs, Nacht-, Ober-, Dameuhemden, Negligees usw., sie nennen Kammgarnstoffe, Tuch, Buckskin. Sill, Basch, Schrips, Clvth, inneres Futter, Zmischenfutter, Einlagefntter, Ärmelfutter, Westenfutter, Taschen- fntter, sie zählen die Hosenknöpfe, die Knopflöcher, die Falten, Kordeln, Stepp- und Schaunähte auf, und das alles sind, wie gesagt, für den Schneider und die Schneiderin sehr interessante Dinge. Für uns wären sie nur Bei- und Blend¬ werk. Auch den üblichen statistisch-tabellarischen Zahlenausputz bitten wir uns zu erlassen. Die Aufstellung solcher Tabellen aus den Zahlenangaben, wie sie uns vorliegen, wäre doch nur Spielerei. Der Wert zuverlässiger Zahlenangaben an sich wird damit nicht bestritten. Bedauern müssen wir dagegen, daß es uns hier an Platz fehlt, den so notwendigen Versuch einer schärfern Abgrenzung der Begriffe zu unternehmen, die auf diesem Gebiete von Bedeutung sind. Die Definitionen von „Konfektion," „Konfektionär," 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/358>, abgerufen am 05.01.2025.