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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg
Richard Goldschmidt von2

s giebt viele wohlmeinende Leute in und außerhalb der Juristen¬
welt, die in jeder Mitwirkung von Laien bei der Rechtspflege
ein von den irregeleiteten Massen ertrotztes Zugeständnis sehen.
Nicht gerade hervorragende Juristen, aber Juristen in hervor¬
ragender Stellung machen sich zum Sprachrohr dieser An¬
schauungen und fordern ganz offen die Beseitigung der Schmurgerichte. Sie
möchten am liebsten den Laien wieder von dem Richterstuhle entfernt sehen,
und wenn sich das nicht durchführen läßt, so soll er doch auf einen unma߬
geblichen Einfluß bei der Rechtsprechung zurückgedrängt werden. Dazu eignet
sich vorzüglich das Schöffengericht in der Zusammensetzung von einem Berufs¬
richter als Vorsitzenden und zwei Laien als Beisitzern. Das wahrt den Schein,
als ob der Jurist nur der unentbehrliche Beirat wäre, wahrend in Wahrheit
fein Urteil als das des Leiters der Verhandlung noch mehr als bei einem
aus drei Berufsrichtern gebildeten Kvllegialgericht den Ausschlag geben muß,
da die Laien bei der Fülle des Stoffs, die auf sie einstürmt, oft gar nicht
in der Lage sind, sich eine eigne Meinung zu bilden. Jene laienfeindlichen
Herren sind denn auch dem Schöffengericht in seiner jetzigen Gestalt viel
weniger abhold, als dem Schwurgericht. Sie glauben, daß ihnen die Logik
völlig zur Seite stehe, da das Recht eine Wissenschaft sei, die man sich ohne
sachmüßige Ausbildung nicht aneignen könne. Wie man sich bei einem Hausbau
an einen Baumeister von Fach wendet, in Krankheitsfälle" zu einem geprüften
Arzte schickt, so solle mau auch den Rechtsspruch dem rechtsgelehrten Richter
überlassen. Dabei wird nun zunächst übersehen, daß bei der Rechtsprechung
ganz besonders im Strafrecht die Veweiswürdiguug die Hauptrolle spielt.
Wie man sich aber aus Zeugeunussageu und sonstigen Vorgängen die Über¬
zeugung verschaffen kann, daß ein Angeklagter eine bestimmte That gethan
oder nicht gethan habe, das wird auf keiner Universität gelehrt und bei keiner
juristischen Prüfung gefragt, darin wird ein einfacher Manu, der Kopf und
Herz auf dem rechten Flecke hat, oft dem gelehrteste" Richter überlegen sein.
Ob wir jemals zu einer irgendwie brauchbaren Theorie über die Beweis-




Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg
Richard Goldschmidt von2

s giebt viele wohlmeinende Leute in und außerhalb der Juristen¬
welt, die in jeder Mitwirkung von Laien bei der Rechtspflege
ein von den irregeleiteten Massen ertrotztes Zugeständnis sehen.
Nicht gerade hervorragende Juristen, aber Juristen in hervor¬
ragender Stellung machen sich zum Sprachrohr dieser An¬
schauungen und fordern ganz offen die Beseitigung der Schmurgerichte. Sie
möchten am liebsten den Laien wieder von dem Richterstuhle entfernt sehen,
und wenn sich das nicht durchführen läßt, so soll er doch auf einen unma߬
geblichen Einfluß bei der Rechtsprechung zurückgedrängt werden. Dazu eignet
sich vorzüglich das Schöffengericht in der Zusammensetzung von einem Berufs¬
richter als Vorsitzenden und zwei Laien als Beisitzern. Das wahrt den Schein,
als ob der Jurist nur der unentbehrliche Beirat wäre, wahrend in Wahrheit
fein Urteil als das des Leiters der Verhandlung noch mehr als bei einem
aus drei Berufsrichtern gebildeten Kvllegialgericht den Ausschlag geben muß,
da die Laien bei der Fülle des Stoffs, die auf sie einstürmt, oft gar nicht
in der Lage sind, sich eine eigne Meinung zu bilden. Jene laienfeindlichen
Herren sind denn auch dem Schöffengericht in seiner jetzigen Gestalt viel
weniger abhold, als dem Schwurgericht. Sie glauben, daß ihnen die Logik
völlig zur Seite stehe, da das Recht eine Wissenschaft sei, die man sich ohne
sachmüßige Ausbildung nicht aneignen könne. Wie man sich bei einem Hausbau
an einen Baumeister von Fach wendet, in Krankheitsfälle» zu einem geprüften
Arzte schickt, so solle mau auch den Rechtsspruch dem rechtsgelehrten Richter
überlassen. Dabei wird nun zunächst übersehen, daß bei der Rechtsprechung
ganz besonders im Strafrecht die Veweiswürdiguug die Hauptrolle spielt.
Wie man sich aber aus Zeugeunussageu und sonstigen Vorgängen die Über¬
zeugung verschaffen kann, daß ein Angeklagter eine bestimmte That gethan
oder nicht gethan habe, das wird auf keiner Universität gelehrt und bei keiner
juristischen Prüfung gefragt, darin wird ein einfacher Manu, der Kopf und
Herz auf dem rechten Flecke hat, oft dem gelehrteste» Richter überlegen sein.
Ob wir jemals zu einer irgendwie brauchbaren Theorie über die Beweis-


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[0315] [Abbildung] Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg Richard Goldschmidt von2 s giebt viele wohlmeinende Leute in und außerhalb der Juristen¬ welt, die in jeder Mitwirkung von Laien bei der Rechtspflege ein von den irregeleiteten Massen ertrotztes Zugeständnis sehen. Nicht gerade hervorragende Juristen, aber Juristen in hervor¬ ragender Stellung machen sich zum Sprachrohr dieser An¬ schauungen und fordern ganz offen die Beseitigung der Schmurgerichte. Sie möchten am liebsten den Laien wieder von dem Richterstuhle entfernt sehen, und wenn sich das nicht durchführen läßt, so soll er doch auf einen unma߬ geblichen Einfluß bei der Rechtsprechung zurückgedrängt werden. Dazu eignet sich vorzüglich das Schöffengericht in der Zusammensetzung von einem Berufs¬ richter als Vorsitzenden und zwei Laien als Beisitzern. Das wahrt den Schein, als ob der Jurist nur der unentbehrliche Beirat wäre, wahrend in Wahrheit fein Urteil als das des Leiters der Verhandlung noch mehr als bei einem aus drei Berufsrichtern gebildeten Kvllegialgericht den Ausschlag geben muß, da die Laien bei der Fülle des Stoffs, die auf sie einstürmt, oft gar nicht in der Lage sind, sich eine eigne Meinung zu bilden. Jene laienfeindlichen Herren sind denn auch dem Schöffengericht in seiner jetzigen Gestalt viel weniger abhold, als dem Schwurgericht. Sie glauben, daß ihnen die Logik völlig zur Seite stehe, da das Recht eine Wissenschaft sei, die man sich ohne sachmüßige Ausbildung nicht aneignen könne. Wie man sich bei einem Hausbau an einen Baumeister von Fach wendet, in Krankheitsfälle» zu einem geprüften Arzte schickt, so solle mau auch den Rechtsspruch dem rechtsgelehrten Richter überlassen. Dabei wird nun zunächst übersehen, daß bei der Rechtsprechung ganz besonders im Strafrecht die Veweiswürdiguug die Hauptrolle spielt. Wie man sich aber aus Zeugeunussageu und sonstigen Vorgängen die Über¬ zeugung verschaffen kann, daß ein Angeklagter eine bestimmte That gethan oder nicht gethan habe, das wird auf keiner Universität gelehrt und bei keiner juristischen Prüfung gefragt, darin wird ein einfacher Manu, der Kopf und Herz auf dem rechten Flecke hat, oft dem gelehrteste» Richter überlegen sein. Ob wir jemals zu einer irgendwie brauchbaren Theorie über die Beweis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/315>, abgerufen am 05.01.2025.