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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag

RiZIit or wronA, cionnti^

leder einmal geht ein großes Geschrei durch die Welt über den
Fürsten Bismarck. Der Reichsanzeiger versichert würdig, daß
seine Äußerungen weder eine Berichtigung noch eine Ergänzung
von seiten der Regierung erfahren würden, die Kölnische
Zeitung findet, daß das Schweigen des angegriffnen Grafen
Eaprivi viel "ritterlicher" sei, der Vorwärts und WM <ziumti vom "Freisinn"
behandeln deu Gründer des deutschen Reichs als Staatsverräter. Nur
schade, daß jedermann einer bedeutsamen Äußerung des Alten vom Sachsen-
Walde auch ohne weitere Ausführungen der offiziellen Presse Glauben beimißt,
^aß das Schweigen des zweiten Reichskanzlers wohl einfach auf die Unmög¬
lichkeit einer Widerlegung zurückzuführen ist, und daß kein Mensch, wenn er
"icht marxistischer Sozinldemotrat oder Freisinniger Richterscher Observanz ist,
°us solchem Munde solche Vorwürfe hören will, wie sie der Vorwärts oder
die Fortschrittspresse von sich giebt. Die ausländische Presse ist wieder einmal,
wie so oft, größtenteils vernünftiger und unbefangener als viele deutsche Blätter;
hat der Fürst doch weiter kein Verdienst, als daß er uns Deutschen ein Vater-
^ut und ein Reich geschenkt hat, das auch ohne ihn mit Notwendigkeit ent¬
standen und noch dazu von andern Leuten viel besser eingerichtet worden wäre.

Was ist geschehen? Ein Hieb ist geführt worden, wuchtig, sicher, scharf.
Fürst Bismarck hat gesagt, daß er im Jahre 1884 mit Rußland ein schrift¬
liches Abkommen auf sechs Jahre geschlossen habe, wonach sich Deutschland und
^ußlcmd zu freundlicher Neutralität verpflichteten, wenn die eine Macht von
euier dritten angegriffen würde, also ins praktische übersetzt, wenn Deutschland
bon Frankreich, Nußland von Österreich (oder England) .angegriffen würde,
und daß dieses Abkommen, als es 1890 ablief, nicht erneuert worden sei, ob-


Grcnzlwten IV 1896 !!2


Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag

RiZIit or wronA, cionnti^

leder einmal geht ein großes Geschrei durch die Welt über den
Fürsten Bismarck. Der Reichsanzeiger versichert würdig, daß
seine Äußerungen weder eine Berichtigung noch eine Ergänzung
von seiten der Regierung erfahren würden, die Kölnische
Zeitung findet, daß das Schweigen des angegriffnen Grafen
Eaprivi viel „ritterlicher" sei, der Vorwärts und WM <ziumti vom „Freisinn"
behandeln deu Gründer des deutschen Reichs als Staatsverräter. Nur
schade, daß jedermann einer bedeutsamen Äußerung des Alten vom Sachsen-
Walde auch ohne weitere Ausführungen der offiziellen Presse Glauben beimißt,
^aß das Schweigen des zweiten Reichskanzlers wohl einfach auf die Unmög¬
lichkeit einer Widerlegung zurückzuführen ist, und daß kein Mensch, wenn er
"icht marxistischer Sozinldemotrat oder Freisinniger Richterscher Observanz ist,
°us solchem Munde solche Vorwürfe hören will, wie sie der Vorwärts oder
die Fortschrittspresse von sich giebt. Die ausländische Presse ist wieder einmal,
wie so oft, größtenteils vernünftiger und unbefangener als viele deutsche Blätter;
hat der Fürst doch weiter kein Verdienst, als daß er uns Deutschen ein Vater-
^ut und ein Reich geschenkt hat, das auch ohne ihn mit Notwendigkeit ent¬
standen und noch dazu von andern Leuten viel besser eingerichtet worden wäre.

Was ist geschehen? Ein Hieb ist geführt worden, wuchtig, sicher, scharf.
Fürst Bismarck hat gesagt, daß er im Jahre 1884 mit Rußland ein schrift¬
liches Abkommen auf sechs Jahre geschlossen habe, wonach sich Deutschland und
^ußlcmd zu freundlicher Neutralität verpflichteten, wenn die eine Macht von
euier dritten angegriffen würde, also ins praktische übersetzt, wenn Deutschland
bon Frankreich, Nußland von Österreich (oder England) .angegriffen würde,
und daß dieses Abkommen, als es 1890 ablief, nicht erneuert worden sei, ob-


Grcnzlwten IV 1896 !!2
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[0257] [Abbildung] Der russisch-deutsche Neutralitätsvertrag RiZIit or wronA, cionnti^ leder einmal geht ein großes Geschrei durch die Welt über den Fürsten Bismarck. Der Reichsanzeiger versichert würdig, daß seine Äußerungen weder eine Berichtigung noch eine Ergänzung von seiten der Regierung erfahren würden, die Kölnische Zeitung findet, daß das Schweigen des angegriffnen Grafen Eaprivi viel „ritterlicher" sei, der Vorwärts und WM <ziumti vom „Freisinn" behandeln deu Gründer des deutschen Reichs als Staatsverräter. Nur schade, daß jedermann einer bedeutsamen Äußerung des Alten vom Sachsen- Walde auch ohne weitere Ausführungen der offiziellen Presse Glauben beimißt, ^aß das Schweigen des zweiten Reichskanzlers wohl einfach auf die Unmög¬ lichkeit einer Widerlegung zurückzuführen ist, und daß kein Mensch, wenn er "icht marxistischer Sozinldemotrat oder Freisinniger Richterscher Observanz ist, °us solchem Munde solche Vorwürfe hören will, wie sie der Vorwärts oder die Fortschrittspresse von sich giebt. Die ausländische Presse ist wieder einmal, wie so oft, größtenteils vernünftiger und unbefangener als viele deutsche Blätter; hat der Fürst doch weiter kein Verdienst, als daß er uns Deutschen ein Vater- ^ut und ein Reich geschenkt hat, das auch ohne ihn mit Notwendigkeit ent¬ standen und noch dazu von andern Leuten viel besser eingerichtet worden wäre. Was ist geschehen? Ein Hieb ist geführt worden, wuchtig, sicher, scharf. Fürst Bismarck hat gesagt, daß er im Jahre 1884 mit Rußland ein schrift¬ liches Abkommen auf sechs Jahre geschlossen habe, wonach sich Deutschland und ^ußlcmd zu freundlicher Neutralität verpflichteten, wenn die eine Macht von euier dritten angegriffen würde, also ins praktische übersetzt, wenn Deutschland bon Frankreich, Nußland von Österreich (oder England) .angegriffen würde, und daß dieses Abkommen, als es 1890 ablief, nicht erneuert worden sei, ob- Grcnzlwten IV 1896 !!2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/257>, abgerufen am 05.01.2025.