Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches wundern. Diese werden wohl ihre Zwangsinnungen und wcihrscheiulich auch noch O Bleibtreu! In Ur. 103 der Berliner Wochenschrift "Die Kritik," die Wie mußt du dich nun vor Maurus Jokai verstecken, dessen "Goldmensch" unter Maßgebliches und Unmaßgebliches wundern. Diese werden wohl ihre Zwangsinnungen und wcihrscheiulich auch noch O Bleibtreu! In Ur. 103 der Berliner Wochenschrift „Die Kritik," die Wie mußt du dich nun vor Maurus Jokai verstecken, dessen „Goldmensch" unter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223739"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_468" prev="#ID_467"> wundern. Diese werden wohl ihre Zwangsinnungen und wcihrscheiulich auch noch<lb/> deu Befähigungsnachweis bekommen. Die in den Handels- und Gewerbekammern<lb/> organisirten Handwerker haben sich ja ans dem Verbandstage zu Stuttgart sowie<lb/> durch ihre einzelnen Organe in Württemberg, in der Pfalz, in den Reichslauden<lb/> und sonst, auch durch die Magistrate gewerbthätiger Städte wie Nürnberg ent¬<lb/> schieden genug gegen den Regierungsentwnrf ausgesprochen; allein die Stimmkraft<lb/> der Zünftler geht ihnen ab, und die nicht orgnnisirten Handwerker bleiben natürlich<lb/> stumm. So wird auch hier die Masse siegen, oder die Partei, die den Schein zu<lb/> erregen weiß, als hätte sie die Masse hinter sich. Was das zu bedeuten hat, sieht<lb/> man aus eiuer Stelle der Denkschrift, mit der sich die oldenburgischen Handels-<lb/> uud Gewerbcvereine an ihre Regierung gewandt haben. Nachdem sie die be¬<lb/> friedigende Organisation von Handel und Gewerbe im Großherzogtum beschrieben<lb/> haben, fahren sie fort: „Oldenburg ist seiner Geschichte und Natur nach ein Wirt¬<lb/> schaftsgebiet, das eine glückliche innere Einheit besitzt. Die materielle und soziale<lb/> Verbindung der verschiednen Berufsstände ist noch fest und innig genug, um jenem<lb/> erbitterten Interessenkampf, der zu den bedauerlichsten Erscheinungen unsrer wirt¬<lb/> schaftlichen Entwicklung gehört, keinen Raum zu gönnen. Der vorliegende Gesetz¬<lb/> entwurf zerstört diese innere Einheit, das mühsam geschaffne und sich gedeihlich ent¬<lb/> wickelnde Werk des Verbandes der Handels- und Gewerbevereine," zu Gunsten<lb/> einer neuen Einrichtung, von der sich, wie vorher bewiesen worden ist, die Hand¬<lb/> werker keinen Nutzen zu versprechen haben. Was der Geist geschaffen, das wird<lb/> von der Masse erdrückt. Die blühendsten lokalen Schöpfungen werden in die<lb/> Großstacitsumsse hineingeknetet, um sie in deren gleichartigen Brei aufzulösen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> O Bleibtreu!</head> <p xml:id="ID_469"> In Ur. 103 der Berliner Wochenschrift „Die Kritik," die<lb/> uns kürzlich als Probenummer zugeschickt wurde, steht ein Aufsatz von Karl Bleib¬<lb/> treu über das Milleuuiumsfest in Ungarn. Trotz allem, was man bei uns auch<lb/> heute noch, ein Vierteljahrhundert nach 1870/71, von nationaler Selbstverleugnung<lb/> erlebt, hat mich dieser Artikel doch schmerzlich überrascht. Sollte man es für<lb/> möglich halten, daß sich eine deutschgeschriebne, in der Reichshauptstadt erscheinende<lb/> Zeitschrift dem deutschen Publikum zu empfehlen glaubt, indem sie einen Beitrag<lb/> aufnimmt, der geradezu deu Abfall vom Deutschtum predigt? Die begeisterte Lob¬<lb/> rede auf den ungarischen Unabhängigkeitskampf der vierziger und sechziger Jahre<lb/> wollen wir uns gern gefallen lassen. Aber schon der Hymnus auf deu magyarischen<lb/> Volkscharakter wirkt unangenehm, ja abstoßend. „Wie angenehm berührt das frische<lb/> volle Strömen eines freien ungehemmten Lebens! Wohl wahr, daß dem kühlen<lb/> Nordländer manches als Zügellosigkeit erscheint. Doch andre Länder, andre Sitten!<lb/> Unter heißem Himmel entzündet sich leichter das Blut, reicher pulsirt die Sinnen¬<lb/> lust, reicher aber auch das höhere Seelenleben." So; also weil unsre niedern<lb/> Triebe nicht die magyarische Zügellosigkeit kennen, vermögen wir bedauernswerten<lb/> Nordländer uns auch nicht zu der Höhe des magyarischen Seelenlebens aufzuschwingen.<lb/> Armer Schiller! Warum hat auch Goethe vou dir gesungen:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_1" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_470" next="#ID_471"> Wie mußt du dich nun vor Maurus Jokai verstecken, dessen „Goldmensch" unter<lb/> entschiedner Billigung des Dichters jahrzehntelang in gemütlicher Bigamie lebt!<lb/> Doch es kommt noch besser. „Eine idealistische Rasse nennen wir die Magyaren<lb/> mit Grund. Stets entflammt für ideale Güter, so tief man sonst im Sinnen¬<lb/> genüsse schwelgt, bei allem behaglichen Humor zu melancholischen Weltschmerz ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
wundern. Diese werden wohl ihre Zwangsinnungen und wcihrscheiulich auch noch
deu Befähigungsnachweis bekommen. Die in den Handels- und Gewerbekammern
organisirten Handwerker haben sich ja ans dem Verbandstage zu Stuttgart sowie
durch ihre einzelnen Organe in Württemberg, in der Pfalz, in den Reichslauden
und sonst, auch durch die Magistrate gewerbthätiger Städte wie Nürnberg ent¬
schieden genug gegen den Regierungsentwnrf ausgesprochen; allein die Stimmkraft
der Zünftler geht ihnen ab, und die nicht orgnnisirten Handwerker bleiben natürlich
stumm. So wird auch hier die Masse siegen, oder die Partei, die den Schein zu
erregen weiß, als hätte sie die Masse hinter sich. Was das zu bedeuten hat, sieht
man aus eiuer Stelle der Denkschrift, mit der sich die oldenburgischen Handels-
uud Gewerbcvereine an ihre Regierung gewandt haben. Nachdem sie die be¬
friedigende Organisation von Handel und Gewerbe im Großherzogtum beschrieben
haben, fahren sie fort: „Oldenburg ist seiner Geschichte und Natur nach ein Wirt¬
schaftsgebiet, das eine glückliche innere Einheit besitzt. Die materielle und soziale
Verbindung der verschiednen Berufsstände ist noch fest und innig genug, um jenem
erbitterten Interessenkampf, der zu den bedauerlichsten Erscheinungen unsrer wirt¬
schaftlichen Entwicklung gehört, keinen Raum zu gönnen. Der vorliegende Gesetz¬
entwurf zerstört diese innere Einheit, das mühsam geschaffne und sich gedeihlich ent¬
wickelnde Werk des Verbandes der Handels- und Gewerbevereine," zu Gunsten
einer neuen Einrichtung, von der sich, wie vorher bewiesen worden ist, die Hand¬
werker keinen Nutzen zu versprechen haben. Was der Geist geschaffen, das wird
von der Masse erdrückt. Die blühendsten lokalen Schöpfungen werden in die
Großstacitsumsse hineingeknetet, um sie in deren gleichartigen Brei aufzulösen.
O Bleibtreu! In Ur. 103 der Berliner Wochenschrift „Die Kritik," die
uns kürzlich als Probenummer zugeschickt wurde, steht ein Aufsatz von Karl Bleib¬
treu über das Milleuuiumsfest in Ungarn. Trotz allem, was man bei uns auch
heute noch, ein Vierteljahrhundert nach 1870/71, von nationaler Selbstverleugnung
erlebt, hat mich dieser Artikel doch schmerzlich überrascht. Sollte man es für
möglich halten, daß sich eine deutschgeschriebne, in der Reichshauptstadt erscheinende
Zeitschrift dem deutschen Publikum zu empfehlen glaubt, indem sie einen Beitrag
aufnimmt, der geradezu deu Abfall vom Deutschtum predigt? Die begeisterte Lob¬
rede auf den ungarischen Unabhängigkeitskampf der vierziger und sechziger Jahre
wollen wir uns gern gefallen lassen. Aber schon der Hymnus auf deu magyarischen
Volkscharakter wirkt unangenehm, ja abstoßend. „Wie angenehm berührt das frische
volle Strömen eines freien ungehemmten Lebens! Wohl wahr, daß dem kühlen
Nordländer manches als Zügellosigkeit erscheint. Doch andre Länder, andre Sitten!
Unter heißem Himmel entzündet sich leichter das Blut, reicher pulsirt die Sinnen¬
lust, reicher aber auch das höhere Seelenleben." So; also weil unsre niedern
Triebe nicht die magyarische Zügellosigkeit kennen, vermögen wir bedauernswerten
Nordländer uns auch nicht zu der Höhe des magyarischen Seelenlebens aufzuschwingen.
Armer Schiller! Warum hat auch Goethe vou dir gesungen:
Wie mußt du dich nun vor Maurus Jokai verstecken, dessen „Goldmensch" unter
entschiedner Billigung des Dichters jahrzehntelang in gemütlicher Bigamie lebt!
Doch es kommt noch besser. „Eine idealistische Rasse nennen wir die Magyaren
mit Grund. Stets entflammt für ideale Güter, so tief man sonst im Sinnen¬
genüsse schwelgt, bei allem behaglichen Humor zu melancholischen Weltschmerz ge-
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