Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Warum sollen wir ins Gefängnis? Line Frage der Schwachen an die Starken chon vor länger als Jahresfrist hat die preußische Staatsregierung Dieser Erlaß ist in hohem Grade wichtig, nicht weil er etwa mit einem- Es giebt aber auch, abgesehen von den Kindern unter vierzehn Jahren, nicht Warum sollen wir ins Gefängnis? Line Frage der Schwachen an die Starken chon vor länger als Jahresfrist hat die preußische Staatsregierung Dieser Erlaß ist in hohem Grade wichtig, nicht weil er etwa mit einem- Es giebt aber auch, abgesehen von den Kindern unter vierzehn Jahren, nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0450" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223392"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341863_222941/figures/grenzboten_341863_222941_223392_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Warum sollen wir ins Gefängnis?<lb/> Line Frage der Schwachen an die Starken </head><lb/> <p xml:id="ID_1267"> chon vor länger als Jahresfrist hat die preußische Staatsregierung<lb/> die Absicht ausgesprochen, Wege» des Überhandnehmeiis der Ver¬<lb/> brechen junger oder, wie es in der Juristensprache heißt, „jugend¬<lb/> licher" Verbrecher, diese auch für den Fall, daß sie volle Einsicht<lb/> in die Strafbnrkeit ihrer Handlung haben, nicht zu Gefängnis,<lb/> sondern zu Zwangserziehung zu verurteilen. Ju ähnlicher Richtung bewegt sich '<lb/> der bekannte Erlaß des Königs von Preußen an den Justizminister vom<lb/> November 1895 über bedingte Verurteilung. Es soll dem Justizminister frei¬<lb/> stehen, in geeigneten Füllen die Vollstreckung des Urteils aufzuheben, um dem<lb/> Verurteilten Gelegenheit zu geben, sich durch gute Aufführung den völligen<lb/> Erlaß der Strafe zu verdienen. Die Vergünstigung soll aber nur denen zu<lb/> teil werden, die sich leichterer Bergehen schuldig gemacht haben, deren Fehl¬<lb/> tritte nicht auf Verdorbenheit und verbrecherische Neigungen, sondern mehr ans<lb/> Leichtfertigkeit, Unbesonnenheit, Unerfahrenheit oder Verführung zurückzuführen<lb/> sind, was insbesondre bei der Jugend zutreffe» wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1268"> Dieser Erlaß ist in hohem Grade wichtig, nicht weil er etwa mit einem-<lb/> male alle die Übelstände beseitigte, an denen unsre Rechtspflege, besonders der<lb/> Jugend gegenüber krankt, sondern weil er ein Zeichen ist, daß man die ernstliche<lb/> Absicht hat, diesem Übelstande abzuhelfen, und daß wir in absehbarer Zeit<lb/> Gesetze haben werden, die den Richtern die Möglichkeit geben, gegen Kinder,<lb/> junge Leute, Unerfahrne, Leichtfertige, kurz gegen alle, die zu schwach sind,<lb/> auf dem glatten Boden des für erwachsene und verantwortliche Menschen<lb/> geltenden Rechtes zu stehen, mit Mitteln vorzugehen, durch die nicht bloß<lb/> der Gesellschaft, sondern vor allem auch den zu Verurteilenden wirklich ge--<lb/> dient ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1269" next="#ID_1270"> Es giebt aber auch, abgesehen von den Kindern unter vierzehn Jahren, nicht<lb/> völlig zurechnungsfähige Menschen, die von der Gesellschaft falsch und hart<lb/> beurteilt werden, und die deshalb die Frage an uns richten: warum sollen wir<lb/> ins Gefängnis? Wer sind diese Menschen? Ist es etwa bloß der Geisteskranke<lb/> in der Irrenanstalt, der ganze Wochen darauf verwendet hat, ein Stück Eisen,<lb/> das ihm in die Hände geraten ist, spitz und scharf zu machen, um damit<lb/> seinen Wärter hinterrücks zu durchboren? Oder der Säufer, der in einem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0450]
[Abbildung]
Warum sollen wir ins Gefängnis?
Line Frage der Schwachen an die Starken
chon vor länger als Jahresfrist hat die preußische Staatsregierung
die Absicht ausgesprochen, Wege» des Überhandnehmeiis der Ver¬
brechen junger oder, wie es in der Juristensprache heißt, „jugend¬
licher" Verbrecher, diese auch für den Fall, daß sie volle Einsicht
in die Strafbnrkeit ihrer Handlung haben, nicht zu Gefängnis,
sondern zu Zwangserziehung zu verurteilen. Ju ähnlicher Richtung bewegt sich '
der bekannte Erlaß des Königs von Preußen an den Justizminister vom
November 1895 über bedingte Verurteilung. Es soll dem Justizminister frei¬
stehen, in geeigneten Füllen die Vollstreckung des Urteils aufzuheben, um dem
Verurteilten Gelegenheit zu geben, sich durch gute Aufführung den völligen
Erlaß der Strafe zu verdienen. Die Vergünstigung soll aber nur denen zu
teil werden, die sich leichterer Bergehen schuldig gemacht haben, deren Fehl¬
tritte nicht auf Verdorbenheit und verbrecherische Neigungen, sondern mehr ans
Leichtfertigkeit, Unbesonnenheit, Unerfahrenheit oder Verführung zurückzuführen
sind, was insbesondre bei der Jugend zutreffe» wird.
Dieser Erlaß ist in hohem Grade wichtig, nicht weil er etwa mit einem-
male alle die Übelstände beseitigte, an denen unsre Rechtspflege, besonders der
Jugend gegenüber krankt, sondern weil er ein Zeichen ist, daß man die ernstliche
Absicht hat, diesem Übelstande abzuhelfen, und daß wir in absehbarer Zeit
Gesetze haben werden, die den Richtern die Möglichkeit geben, gegen Kinder,
junge Leute, Unerfahrne, Leichtfertige, kurz gegen alle, die zu schwach sind,
auf dem glatten Boden des für erwachsene und verantwortliche Menschen
geltenden Rechtes zu stehen, mit Mitteln vorzugehen, durch die nicht bloß
der Gesellschaft, sondern vor allem auch den zu Verurteilenden wirklich ge--
dient ist.
Es giebt aber auch, abgesehen von den Kindern unter vierzehn Jahren, nicht
völlig zurechnungsfähige Menschen, die von der Gesellschaft falsch und hart
beurteilt werden, und die deshalb die Frage an uns richten: warum sollen wir
ins Gefängnis? Wer sind diese Menschen? Ist es etwa bloß der Geisteskranke
in der Irrenanstalt, der ganze Wochen darauf verwendet hat, ein Stück Eisen,
das ihm in die Hände geraten ist, spitz und scharf zu machen, um damit
seinen Wärter hinterrücks zu durchboren? Oder der Säufer, der in einem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |