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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die geographische Lage Deutschlands

bisherigen Regierung. Sie trauen es weder dem Fürsten Hohenlohe noch dem
bisherigen Kriegsminister zu, daß sie Änderungen empfehlen würden, von denen
eine Untergrabung der Heercszncht und Schwächung des Heeres zu befürchten
wäre. Sie halten es für eine berechtigte und zeitgemäße Forderung, daß eine
Änderung der Militärstrafgerichtsbarkeit eingeführt werde. Überall wird der Ver¬
dacht bestärkt, daß spezifisch militärische Anschauungen, daß die Bestrebungen,
einen besondern militärischen Kastengeist zu Pflegen, einen ungebührliche" Ein¬
fluß ans die Negierungspvlitik erlangt haben. Und zugleich ist der Verdacht
wohl berechtigt, daß ein Mann, der neuzeitlichen Anschauungen in schroffer
Weise entgegentritt und berechtigte neuzeitliche Forderungen mißachtet, auch in
andern Fragen nach rechts hin weniger Widerstandskraft besitzen werde als
Fürst Hohenlohe, daß die ans der Rechten vertretenen extremen Forderungen
noch mehr Unterstützung bei der künftigen Regierung finden werden. Das sind
trübe Aussichten.




Die geographische Lage Deutschlands

le englische Presse, bestrebt, an Deutschland soviel Schwächen
und Blößen wie möglich zu entdecken, hat sich in den letzten
Monaten auch öfter ans das geographische Gebiet begeben, um
die Lage des deutschen Reichs zwischen drei Groß- und fünf
Kleinstaaten als eine äußerst mißliche, wenn nicht gefahrvolle
darzustellen. Für die Bewohner eines Jnsellandes ist es ja nun ein billiges
Vergnügen, sich natürlicher Vorteile zu rühmen, für die sie nichts können.
Aber ganz harmlos ist es nicht. Die Größe eines Volks auf Vorteile der
Lage und der Gestalt seines Wohngebiets begründet zu glauben, ist eine
Täuschung, die verhängnisvoll werden kann. Die Natur bietet keine Lage von
unbedingter Uubesieglichkeit. Entscheidend bleibt immer die Art der Ausnutzung
natürlicher Vorteile, und diese liegt in der Erziehung des Volkes. Nicht die
Völker haben in der Geschichte das Größte geleistet und die dauerndsten Werke
geschaffen, über die die Natur das reichste Füllhorn ihrer Gaben ergossen
hat, sondern die armen und zurückgedrängten, die sich Freiheit und das Leben
täglich verdienen mußten. Daher wollen wir zwar gern dem Standard und
seinen Genossen glauben, daß ihnen unsre Lage bedenklich erscheint; wir werden
uns aber dadurch nicht entmutigen lassen, auf diesem vielbedrvhten Boden
nach wie vor unsern Mann zu stellen. Wir denken an das Kolleg über praktische


Die geographische Lage Deutschlands

bisherigen Regierung. Sie trauen es weder dem Fürsten Hohenlohe noch dem
bisherigen Kriegsminister zu, daß sie Änderungen empfehlen würden, von denen
eine Untergrabung der Heercszncht und Schwächung des Heeres zu befürchten
wäre. Sie halten es für eine berechtigte und zeitgemäße Forderung, daß eine
Änderung der Militärstrafgerichtsbarkeit eingeführt werde. Überall wird der Ver¬
dacht bestärkt, daß spezifisch militärische Anschauungen, daß die Bestrebungen,
einen besondern militärischen Kastengeist zu Pflegen, einen ungebührliche» Ein¬
fluß ans die Negierungspvlitik erlangt haben. Und zugleich ist der Verdacht
wohl berechtigt, daß ein Mann, der neuzeitlichen Anschauungen in schroffer
Weise entgegentritt und berechtigte neuzeitliche Forderungen mißachtet, auch in
andern Fragen nach rechts hin weniger Widerstandskraft besitzen werde als
Fürst Hohenlohe, daß die ans der Rechten vertretenen extremen Forderungen
noch mehr Unterstützung bei der künftigen Regierung finden werden. Das sind
trübe Aussichten.




Die geographische Lage Deutschlands

le englische Presse, bestrebt, an Deutschland soviel Schwächen
und Blößen wie möglich zu entdecken, hat sich in den letzten
Monaten auch öfter ans das geographische Gebiet begeben, um
die Lage des deutschen Reichs zwischen drei Groß- und fünf
Kleinstaaten als eine äußerst mißliche, wenn nicht gefahrvolle
darzustellen. Für die Bewohner eines Jnsellandes ist es ja nun ein billiges
Vergnügen, sich natürlicher Vorteile zu rühmen, für die sie nichts können.
Aber ganz harmlos ist es nicht. Die Größe eines Volks auf Vorteile der
Lage und der Gestalt seines Wohngebiets begründet zu glauben, ist eine
Täuschung, die verhängnisvoll werden kann. Die Natur bietet keine Lage von
unbedingter Uubesieglichkeit. Entscheidend bleibt immer die Art der Ausnutzung
natürlicher Vorteile, und diese liegt in der Erziehung des Volkes. Nicht die
Völker haben in der Geschichte das Größte geleistet und die dauerndsten Werke
geschaffen, über die die Natur das reichste Füllhorn ihrer Gaben ergossen
hat, sondern die armen und zurückgedrängten, die sich Freiheit und das Leben
täglich verdienen mußten. Daher wollen wir zwar gern dem Standard und
seinen Genossen glauben, daß ihnen unsre Lage bedenklich erscheint; wir werden
uns aber dadurch nicht entmutigen lassen, auf diesem vielbedrvhten Boden
nach wie vor unsern Mann zu stellen. Wir denken an das Kolleg über praktische


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[0398] Die geographische Lage Deutschlands bisherigen Regierung. Sie trauen es weder dem Fürsten Hohenlohe noch dem bisherigen Kriegsminister zu, daß sie Änderungen empfehlen würden, von denen eine Untergrabung der Heercszncht und Schwächung des Heeres zu befürchten wäre. Sie halten es für eine berechtigte und zeitgemäße Forderung, daß eine Änderung der Militärstrafgerichtsbarkeit eingeführt werde. Überall wird der Ver¬ dacht bestärkt, daß spezifisch militärische Anschauungen, daß die Bestrebungen, einen besondern militärischen Kastengeist zu Pflegen, einen ungebührliche» Ein¬ fluß ans die Negierungspvlitik erlangt haben. Und zugleich ist der Verdacht wohl berechtigt, daß ein Mann, der neuzeitlichen Anschauungen in schroffer Weise entgegentritt und berechtigte neuzeitliche Forderungen mißachtet, auch in andern Fragen nach rechts hin weniger Widerstandskraft besitzen werde als Fürst Hohenlohe, daß die ans der Rechten vertretenen extremen Forderungen noch mehr Unterstützung bei der künftigen Regierung finden werden. Das sind trübe Aussichten. Die geographische Lage Deutschlands le englische Presse, bestrebt, an Deutschland soviel Schwächen und Blößen wie möglich zu entdecken, hat sich in den letzten Monaten auch öfter ans das geographische Gebiet begeben, um die Lage des deutschen Reichs zwischen drei Groß- und fünf Kleinstaaten als eine äußerst mißliche, wenn nicht gefahrvolle darzustellen. Für die Bewohner eines Jnsellandes ist es ja nun ein billiges Vergnügen, sich natürlicher Vorteile zu rühmen, für die sie nichts können. Aber ganz harmlos ist es nicht. Die Größe eines Volks auf Vorteile der Lage und der Gestalt seines Wohngebiets begründet zu glauben, ist eine Täuschung, die verhängnisvoll werden kann. Die Natur bietet keine Lage von unbedingter Uubesieglichkeit. Entscheidend bleibt immer die Art der Ausnutzung natürlicher Vorteile, und diese liegt in der Erziehung des Volkes. Nicht die Völker haben in der Geschichte das Größte geleistet und die dauerndsten Werke geschaffen, über die die Natur das reichste Füllhorn ihrer Gaben ergossen hat, sondern die armen und zurückgedrängten, die sich Freiheit und das Leben täglich verdienen mußten. Daher wollen wir zwar gern dem Standard und seinen Genossen glauben, daß ihnen unsre Lage bedenklich erscheint; wir werden uns aber dadurch nicht entmutigen lassen, auf diesem vielbedrvhten Boden nach wie vor unsern Mann zu stellen. Wir denken an das Kolleg über praktische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/398>, abgerufen am 24.11.2024.