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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zaudern", unter die krankhaften Manicristen zu rechnen pflegen. Aber manchmal
scheint das Vergleichen der Teufel erfunden zu haben. Ob ich z. B. ein delikates
Butterbrot lieber esse, oder einen ausgesuchten Pfirsich, weiß ich wirklich nicht.
Darum vergleiche ich sie auch nicht mit einander, sondern genieße beide,
vorausgesetzt daß ich sie habe, mit dem gleichen Wohlgefallen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aus dem Königreiche Stumm.

Seit anderthalb Jahren ziehen die Vor¬
gänge im Königreiche Stumm immer mehr die Aufmerksamkeit des ganzen Landes
auf sich, denn immer mehr kommt man in den weitesten Kreisen zu der Über¬
zeugung, daß dieselben Vorgänge, die sich um der Saar abspielen, morgen oder
übermorgen überall eintreten können, wo sich hente eine wirtschaftlich starke Gruppe
unter einem thatkräftigen Führer entschließt, ihre äußern Machtmittel aufzubieten,
uni alle mittelbar oder unmittelbar von ihr abhängigen auf politischem, religiösem
und andern geistigen Gebieten zur unbedingten Gefolgschaft zu zwingen. Daß
die Bestrebungen der Partei Stumm auf dieses Ziel hinauslaufen, hat sich immer
deutlicher herausgestellt; und wenn sie auch Mißerfolge erfahren hat, so hat sie
doch ihr Vorhaben durchaus noch nicht aufgegeben. Wollen die Bürger an der Saar
ihre geistige und sittliche Selbständigkeit wahren, so müssen sie auch in Zukunft
bereit sein, die Eingriffe des Schloßherrn von Halberg und seiner Anhänger
energisch abzuwehren. Darin liegt die Bedeutung des hiesigen Kampfes, und das
giebt auch den gegenwärtigen Führern, den Geistlichen der Synode von Saar¬
brücken, einen berechtigten Anspruch auf den Beistand der unabhängigen Presse.

Man begegnet nicht selten noch "draußen im Lande" der Frage, was denn
eigentlich an der Saar geschehen sei, weshalb die Leute dort einander so grimmig
an die Köpfe fahren. Und in der That, wenn wir die Dinge ins Auge fassen,
an denen der Gegensatz der Interessen und der Lebensauffassung zwischen der
Partei des Halbergs und der sogenannten Bürgerpartei zu Tage getreten ist, so
erscheinen sie durchaus nicht bedeutend genug, einen mit solcher Ausdauer geführten
Kampf zu erklären. Den Anfang des Streites bildeten, wie unsern Lesern bekannt
ist, die Angriffe der Partei Stumm auf die evangelischen Arbeitervereine, die
durch Errichtung eines Rechtsbüreaus einen bescheidnen Schritt auf dem Wege
der Selbsthilfe unternahmen, und zweitens auf den Verein für Volksbildung, auch
Handwerkerverein genannt, dessen Vorstand es wagte, auch über volkswirtschaft¬
liche Gegenstände Vorträge zu veranstalten. Welch bescheidnen Gebrauch aber die
evangelischen Arbeitervereine von ihrem Recht der Selbsthilfe machen, zeigte sich
vor kurzem wieder, als sie trotz der günstigen Lage und trotz der mehrfachen
Sympathieversicherungeu der Partei Stumm in einer Vertreterversammlung den
Antrag ablehnten, in ihrem Rechtsbürecm auch solche Streitfälle zu behandeln, die
ans das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter Bezug haben.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zaudern", unter die krankhaften Manicristen zu rechnen pflegen. Aber manchmal
scheint das Vergleichen der Teufel erfunden zu haben. Ob ich z. B. ein delikates
Butterbrot lieber esse, oder einen ausgesuchten Pfirsich, weiß ich wirklich nicht.
Darum vergleiche ich sie auch nicht mit einander, sondern genieße beide,
vorausgesetzt daß ich sie habe, mit dem gleichen Wohlgefallen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Aus dem Königreiche Stumm.

Seit anderthalb Jahren ziehen die Vor¬
gänge im Königreiche Stumm immer mehr die Aufmerksamkeit des ganzen Landes
auf sich, denn immer mehr kommt man in den weitesten Kreisen zu der Über¬
zeugung, daß dieselben Vorgänge, die sich um der Saar abspielen, morgen oder
übermorgen überall eintreten können, wo sich hente eine wirtschaftlich starke Gruppe
unter einem thatkräftigen Führer entschließt, ihre äußern Machtmittel aufzubieten,
uni alle mittelbar oder unmittelbar von ihr abhängigen auf politischem, religiösem
und andern geistigen Gebieten zur unbedingten Gefolgschaft zu zwingen. Daß
die Bestrebungen der Partei Stumm auf dieses Ziel hinauslaufen, hat sich immer
deutlicher herausgestellt; und wenn sie auch Mißerfolge erfahren hat, so hat sie
doch ihr Vorhaben durchaus noch nicht aufgegeben. Wollen die Bürger an der Saar
ihre geistige und sittliche Selbständigkeit wahren, so müssen sie auch in Zukunft
bereit sein, die Eingriffe des Schloßherrn von Halberg und seiner Anhänger
energisch abzuwehren. Darin liegt die Bedeutung des hiesigen Kampfes, und das
giebt auch den gegenwärtigen Führern, den Geistlichen der Synode von Saar¬
brücken, einen berechtigten Anspruch auf den Beistand der unabhängigen Presse.

Man begegnet nicht selten noch „draußen im Lande" der Frage, was denn
eigentlich an der Saar geschehen sei, weshalb die Leute dort einander so grimmig
an die Köpfe fahren. Und in der That, wenn wir die Dinge ins Auge fassen,
an denen der Gegensatz der Interessen und der Lebensauffassung zwischen der
Partei des Halbergs und der sogenannten Bürgerpartei zu Tage getreten ist, so
erscheinen sie durchaus nicht bedeutend genug, einen mit solcher Ausdauer geführten
Kampf zu erklären. Den Anfang des Streites bildeten, wie unsern Lesern bekannt
ist, die Angriffe der Partei Stumm auf die evangelischen Arbeitervereine, die
durch Errichtung eines Rechtsbüreaus einen bescheidnen Schritt auf dem Wege
der Selbsthilfe unternahmen, und zweitens auf den Verein für Volksbildung, auch
Handwerkerverein genannt, dessen Vorstand es wagte, auch über volkswirtschaft¬
liche Gegenstände Vorträge zu veranstalten. Welch bescheidnen Gebrauch aber die
evangelischen Arbeitervereine von ihrem Recht der Selbsthilfe machen, zeigte sich
vor kurzem wieder, als sie trotz der günstigen Lage und trotz der mehrfachen
Sympathieversicherungeu der Partei Stumm in einer Vertreterversammlung den
Antrag ablehnten, in ihrem Rechtsbürecm auch solche Streitfälle zu behandeln, die
ans das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeiter Bezug haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/342>, abgerufen am 21.11.2024.