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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulprogramme

In Berlin haben kürzlich tausend Frauen über diese Frage zu Gericht
gesessen und in ihrer Versammlung eine geharnischte Kundgebung gegen den
letzten Reichstag zustande gebracht. Sind diese Frauen -- schon oder noch --
verheiratet? Nein, denn sonst hätten ihre Männer sie schwerlich in die Ver¬
sammlung ziehen lassen. Sind sie bemittelt? Wahrscheinlich, denn von einer
so uneinträglichen Thätigkeit, wie das Tagen und Reden ist, kann man doch
nicht leben. Dann haben sie aber auch das Recht, ihr Vermögen selbständig
zu verwalten, brauchen es also nicht für sich zu erkämpfen. Aber sie wollen
ja ihren verheirateten Mitschwestern helfen. Wissen sie denn, ob die ihre Hilfe
begehren? Das ist eine ganz überflüssige Frage. Die meisten Wvrtführerinnen
für die Frauenrechte haben für ihre Person ihr gutes Auskommen, manche
sind sogar recht bemittelt, aber -- sie haben nichts zu thun! Anstatt nun ein¬
zelnen notleidenden Mitschwestern still und thätig zu helfen, machen sie redend
und schreibend aus der allgemeinen Not zwar nicht eine Tugend, aber einst¬
weilen für sich eine anregende Beschäftigung, wobei sie die Überflüssigkeit ihres
nichtigen persönlichen Daseins weniger empfinden. Doch geht das ernsthafte
Leben daneben seinen Gang ruhig weiter wie bisher.




Die ^chulprogramme

n dieser schönen Sommerzeit, wo fast alle Beamten und Lehrer
sich entweder schon ihres Urlaubs oder ihrer Ferien erfreuen
oder doch dem erfreulichen Gedanken an die nahende Ruhepause
Raum geben, sind in Deutschland viele hundert fleißige Federn
damit beschäftigt, sich mit einer Arbeit abzumühen, die gerade
in dieser Zeit geschaffen und abgeschlossen werden muß, weil das Gesetz ihr
Erscheinen für Ostern nächsten Jahres verlangt: mit der "wissenschaftlichen
Beilage" zu den Jahresberichten aller der verschiednen Gattungen der höhern
Lehranstalten. Und zu Ostern 1897 erscheint dann, so sicher wie das Hoch¬
wasser unsrer deutschen Ströme, diese Hochflut wissenschaftlicher Produktion,
nur mit dem Unterschiede, daß sie sich nicht wieder verläuft, sondern in den
Bibliotheken zurückbleibt, und daß sie nicht entfernt denselben Segen stiftet.
Wenn dann bei den einzelnen Schulen durch den Programmaustausch die vielen
Hunderte dieser Gelegenheitsschriften einlaufen, um eine Zeit lang auszuliegen und
dann, meist auf Nimmerwiedersehen, in den Bibliotheken zu verschwinden, da muß
man sich wohl fragen, ob diese zwangsmäßige Massenliefernng wissenschaftlicher
Arbeit wirklich eine Notwendigkeit oder nicht vielmehr einen Notstand bilde.

Zu der Zeit, als die ersten "Programme" erschienen, waren sie aller-


Grmzboten III 1396 15
Die Schulprogramme

In Berlin haben kürzlich tausend Frauen über diese Frage zu Gericht
gesessen und in ihrer Versammlung eine geharnischte Kundgebung gegen den
letzten Reichstag zustande gebracht. Sind diese Frauen — schon oder noch —
verheiratet? Nein, denn sonst hätten ihre Männer sie schwerlich in die Ver¬
sammlung ziehen lassen. Sind sie bemittelt? Wahrscheinlich, denn von einer
so uneinträglichen Thätigkeit, wie das Tagen und Reden ist, kann man doch
nicht leben. Dann haben sie aber auch das Recht, ihr Vermögen selbständig
zu verwalten, brauchen es also nicht für sich zu erkämpfen. Aber sie wollen
ja ihren verheirateten Mitschwestern helfen. Wissen sie denn, ob die ihre Hilfe
begehren? Das ist eine ganz überflüssige Frage. Die meisten Wvrtführerinnen
für die Frauenrechte haben für ihre Person ihr gutes Auskommen, manche
sind sogar recht bemittelt, aber — sie haben nichts zu thun! Anstatt nun ein¬
zelnen notleidenden Mitschwestern still und thätig zu helfen, machen sie redend
und schreibend aus der allgemeinen Not zwar nicht eine Tugend, aber einst¬
weilen für sich eine anregende Beschäftigung, wobei sie die Überflüssigkeit ihres
nichtigen persönlichen Daseins weniger empfinden. Doch geht das ernsthafte
Leben daneben seinen Gang ruhig weiter wie bisher.




Die ^chulprogramme

n dieser schönen Sommerzeit, wo fast alle Beamten und Lehrer
sich entweder schon ihres Urlaubs oder ihrer Ferien erfreuen
oder doch dem erfreulichen Gedanken an die nahende Ruhepause
Raum geben, sind in Deutschland viele hundert fleißige Federn
damit beschäftigt, sich mit einer Arbeit abzumühen, die gerade
in dieser Zeit geschaffen und abgeschlossen werden muß, weil das Gesetz ihr
Erscheinen für Ostern nächsten Jahres verlangt: mit der „wissenschaftlichen
Beilage" zu den Jahresberichten aller der verschiednen Gattungen der höhern
Lehranstalten. Und zu Ostern 1897 erscheint dann, so sicher wie das Hoch¬
wasser unsrer deutschen Ströme, diese Hochflut wissenschaftlicher Produktion,
nur mit dem Unterschiede, daß sie sich nicht wieder verläuft, sondern in den
Bibliotheken zurückbleibt, und daß sie nicht entfernt denselben Segen stiftet.
Wenn dann bei den einzelnen Schulen durch den Programmaustausch die vielen
Hunderte dieser Gelegenheitsschriften einlaufen, um eine Zeit lang auszuliegen und
dann, meist auf Nimmerwiedersehen, in den Bibliotheken zu verschwinden, da muß
man sich wohl fragen, ob diese zwangsmäßige Massenliefernng wissenschaftlicher
Arbeit wirklich eine Notwendigkeit oder nicht vielmehr einen Notstand bilde.

Zu der Zeit, als die ersten „Programme" erschienen, waren sie aller-


Grmzboten III 1396 15
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[0121] Die Schulprogramme In Berlin haben kürzlich tausend Frauen über diese Frage zu Gericht gesessen und in ihrer Versammlung eine geharnischte Kundgebung gegen den letzten Reichstag zustande gebracht. Sind diese Frauen — schon oder noch — verheiratet? Nein, denn sonst hätten ihre Männer sie schwerlich in die Ver¬ sammlung ziehen lassen. Sind sie bemittelt? Wahrscheinlich, denn von einer so uneinträglichen Thätigkeit, wie das Tagen und Reden ist, kann man doch nicht leben. Dann haben sie aber auch das Recht, ihr Vermögen selbständig zu verwalten, brauchen es also nicht für sich zu erkämpfen. Aber sie wollen ja ihren verheirateten Mitschwestern helfen. Wissen sie denn, ob die ihre Hilfe begehren? Das ist eine ganz überflüssige Frage. Die meisten Wvrtführerinnen für die Frauenrechte haben für ihre Person ihr gutes Auskommen, manche sind sogar recht bemittelt, aber — sie haben nichts zu thun! Anstatt nun ein¬ zelnen notleidenden Mitschwestern still und thätig zu helfen, machen sie redend und schreibend aus der allgemeinen Not zwar nicht eine Tugend, aber einst¬ weilen für sich eine anregende Beschäftigung, wobei sie die Überflüssigkeit ihres nichtigen persönlichen Daseins weniger empfinden. Doch geht das ernsthafte Leben daneben seinen Gang ruhig weiter wie bisher. Die ^chulprogramme n dieser schönen Sommerzeit, wo fast alle Beamten und Lehrer sich entweder schon ihres Urlaubs oder ihrer Ferien erfreuen oder doch dem erfreulichen Gedanken an die nahende Ruhepause Raum geben, sind in Deutschland viele hundert fleißige Federn damit beschäftigt, sich mit einer Arbeit abzumühen, die gerade in dieser Zeit geschaffen und abgeschlossen werden muß, weil das Gesetz ihr Erscheinen für Ostern nächsten Jahres verlangt: mit der „wissenschaftlichen Beilage" zu den Jahresberichten aller der verschiednen Gattungen der höhern Lehranstalten. Und zu Ostern 1897 erscheint dann, so sicher wie das Hoch¬ wasser unsrer deutschen Ströme, diese Hochflut wissenschaftlicher Produktion, nur mit dem Unterschiede, daß sie sich nicht wieder verläuft, sondern in den Bibliotheken zurückbleibt, und daß sie nicht entfernt denselben Segen stiftet. Wenn dann bei den einzelnen Schulen durch den Programmaustausch die vielen Hunderte dieser Gelegenheitsschriften einlaufen, um eine Zeit lang auszuliegen und dann, meist auf Nimmerwiedersehen, in den Bibliotheken zu verschwinden, da muß man sich wohl fragen, ob diese zwangsmäßige Massenliefernng wissenschaftlicher Arbeit wirklich eine Notwendigkeit oder nicht vielmehr einen Notstand bilde. Zu der Zeit, als die ersten „Programme" erschienen, waren sie aller- Grmzboten III 1396 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/121>, abgerufen am 01.09.2024.