Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Litteratur herausgestellt. Selbst wenn es gelänge, die bei dem Fahrpersonal und der großen Schließlich müssen wir noch eines -- leider weit verbreiteten -- Irrtums Württembergische Geschichte. Von Eugen Schneider. Stuttgart, I. B. Metzler, 18S6 Auf dem Gebiete der württembergischen Geschichtschreibung herrscht gegen¬ Litteratur herausgestellt. Selbst wenn es gelänge, die bei dem Fahrpersonal und der großen Schließlich müssen wir noch eines — leider weit verbreiteten — Irrtums Württembergische Geschichte. Von Eugen Schneider. Stuttgart, I. B. Metzler, 18S6 Auf dem Gebiete der württembergischen Geschichtschreibung herrscht gegen¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222741"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1259" prev="#ID_1258"> herausgestellt. Selbst wenn es gelänge, die bei dem Fahrpersonal und der großen<lb/> Masse der Reisenden entgegenstehenden Schwierigkeiten zu beseitigen, bliebe immer<lb/> noch das unüberwindliche Hindernis bestehen, daß die Kilometermarken keine wirksame<lb/> Kontrolle über die richtige Erhebung des Fahrgeldes zulassen und Betrügereien und<lb/> Unterschleifen Thür und Thor offnen würden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1260"> Schließlich müssen wir noch eines — leider weit verbreiteten — Irrtums<lb/> des Herrn Jakob gedenken. Seiner Meinung nach sind die Eisenbahnen verpflichtet,<lb/> es dahin zu bringen, daß die Reiselust bis zur Grenze der Möglichkeit gesteigert<lb/> werde. Aber nichts wäre verfehlter als das, wenn nicht etwa die Eisenbahnen<lb/> ausschließlich als Mittel zur Erzielung möglichst hoher Überschüsse angesehen werden<lb/> sollen. Und davon ist Herr Jnkob sicherlich ebenso weit entfernt wie jeder andre,<lb/> der sich über ihre wichtigen Aufgaben klar geworden ist. Auch im Dienste des<lb/> Staates, der Gesamtheit, ja hier erst recht, müssen die Verkehrsmittel vor allem<lb/> in ihrem Zusammenhange mit den wirtschaftlichen, sittlichen und besonders auch<lb/> sozialpolitischen Verhältnissen und Erscheinungen und ihrem unleugbaren bestimmenden<lb/> Einfluß darauf betrachtet werden. Da ist es aber einleuchtend, daß es nicht ihre<lb/> Aufgabe sein kann, einen möglichst großen Massenverkehr zu entfesseln und damit<lb/> der ohnehin überhand nehmenden Unstetigkeit der Menschen Vorschub zu leisten,<lb/> sondern nnr, dem wirklichen und berechtigten Verkehrsbednrfnis in einer Weise zu<lb/> genügen, die allen billigen Anforderungen und namentlich auch dem stnaterhaltenden<lb/> Grundsatz der Gerechtigkeit entspricht, wie sie uns z. B. in der sozialpolitischen und<lb/> — in bescheidnen Anfängen — auch in der Steuergesetzgebung der letzten Jahre<lb/> entgegentritt. Davon sind wir aber in unserm Verkehrswesen noch weit entfernt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Württembergische Geschichte. Von Eugen Schneider. Stuttgart, I. B. Metzler, 18S6</head><lb/> <p xml:id="ID_1261" next="#ID_1262"> Auf dem Gebiete der württembergischen Geschichtschreibung herrscht gegen¬<lb/> wärtig rege Thätigkeit. Während die „Württembergischen Geschichtsquellen" den<lb/> Stoff zur Einzelforschung an die Hand geben, hat der Archivbeamte Schneider in<lb/> dem hier genannten Buche eine zusammenfassende Darstellung gegeben und damit<lb/> wirklich eine Lücke ausgefüllt, da das Buch die richtige Mitte hält zwischen den<lb/> Werken der stallr und den landläufigen Beschreibungen, die weder eingehend noch<lb/> kritisch genug sind. Es verbindet in glücklicher Weise volkstümliche Schreibart mit<lb/> umfassender Kenntnis der Quellen. Der Natur der Sache nach gliedert es sich in<lb/> drei Bücher: die Grafschaft, das Herzogtum, das Königreich. Die Zeit des Kur¬<lb/> fürstentums ist mit Recht als eine bloße Zwischen- und Übergangsstufe dem zweiten<lb/> Buche angehängt worden. Die Vorgeschichte, d. h. die ganze vor der Grafschaft<lb/> liegende Zeit ist leider ans vier Seiten Einleitung abgethan. Man hätte gern eine<lb/> eingehende Beschreibung der schwäbischen Urgeschichte, da einesteils der schwäbische<lb/> Boden an vorgeschichtlichen Funden außerordentlich reich ist, andernteils die Limes¬<lb/> forschung auf Schwabens Vorzeit aufklärende Streiflichter geworfen hat. Mit Recht<lb/> ausgeschlossen worden, als noch nicht der Geschichte angehörig, ist die Regierung<lb/> des gegenwärtigen Königs Wilhelms II. Glanzpunkte der Schilderung sind die<lb/> Charakteristiken der Herzöge Eberhard im Bart, Ulrich, Christoph, Karl Eugen<lb/> (des „Karlherzich") und namentlich des Königs Friedrich. Bei dem zuletzt ge¬<lb/> nannten hat Schneider manchmal Gelegenheit, seinen Gegensatz zu der Auffassung<lb/> Treitschkes zu betonen. Während Treitschke in Friedrich nur den asiatischen Des¬<lb/> poten sieht, der es unter den Rhciubnndfürsten am tollsten trieb, als eine jener<lb/> Thrannennaturen, die das napoleonische Regiment mit allen Launen karrikirten und</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
Litteratur
herausgestellt. Selbst wenn es gelänge, die bei dem Fahrpersonal und der großen
Masse der Reisenden entgegenstehenden Schwierigkeiten zu beseitigen, bliebe immer
noch das unüberwindliche Hindernis bestehen, daß die Kilometermarken keine wirksame
Kontrolle über die richtige Erhebung des Fahrgeldes zulassen und Betrügereien und
Unterschleifen Thür und Thor offnen würden.
Schließlich müssen wir noch eines — leider weit verbreiteten — Irrtums
des Herrn Jakob gedenken. Seiner Meinung nach sind die Eisenbahnen verpflichtet,
es dahin zu bringen, daß die Reiselust bis zur Grenze der Möglichkeit gesteigert
werde. Aber nichts wäre verfehlter als das, wenn nicht etwa die Eisenbahnen
ausschließlich als Mittel zur Erzielung möglichst hoher Überschüsse angesehen werden
sollen. Und davon ist Herr Jnkob sicherlich ebenso weit entfernt wie jeder andre,
der sich über ihre wichtigen Aufgaben klar geworden ist. Auch im Dienste des
Staates, der Gesamtheit, ja hier erst recht, müssen die Verkehrsmittel vor allem
in ihrem Zusammenhange mit den wirtschaftlichen, sittlichen und besonders auch
sozialpolitischen Verhältnissen und Erscheinungen und ihrem unleugbaren bestimmenden
Einfluß darauf betrachtet werden. Da ist es aber einleuchtend, daß es nicht ihre
Aufgabe sein kann, einen möglichst großen Massenverkehr zu entfesseln und damit
der ohnehin überhand nehmenden Unstetigkeit der Menschen Vorschub zu leisten,
sondern nnr, dem wirklichen und berechtigten Verkehrsbednrfnis in einer Weise zu
genügen, die allen billigen Anforderungen und namentlich auch dem stnaterhaltenden
Grundsatz der Gerechtigkeit entspricht, wie sie uns z. B. in der sozialpolitischen und
— in bescheidnen Anfängen — auch in der Steuergesetzgebung der letzten Jahre
entgegentritt. Davon sind wir aber in unserm Verkehrswesen noch weit entfernt.
Württembergische Geschichte. Von Eugen Schneider. Stuttgart, I. B. Metzler, 18S6
Auf dem Gebiete der württembergischen Geschichtschreibung herrscht gegen¬
wärtig rege Thätigkeit. Während die „Württembergischen Geschichtsquellen" den
Stoff zur Einzelforschung an die Hand geben, hat der Archivbeamte Schneider in
dem hier genannten Buche eine zusammenfassende Darstellung gegeben und damit
wirklich eine Lücke ausgefüllt, da das Buch die richtige Mitte hält zwischen den
Werken der stallr und den landläufigen Beschreibungen, die weder eingehend noch
kritisch genug sind. Es verbindet in glücklicher Weise volkstümliche Schreibart mit
umfassender Kenntnis der Quellen. Der Natur der Sache nach gliedert es sich in
drei Bücher: die Grafschaft, das Herzogtum, das Königreich. Die Zeit des Kur¬
fürstentums ist mit Recht als eine bloße Zwischen- und Übergangsstufe dem zweiten
Buche angehängt worden. Die Vorgeschichte, d. h. die ganze vor der Grafschaft
liegende Zeit ist leider ans vier Seiten Einleitung abgethan. Man hätte gern eine
eingehende Beschreibung der schwäbischen Urgeschichte, da einesteils der schwäbische
Boden an vorgeschichtlichen Funden außerordentlich reich ist, andernteils die Limes¬
forschung auf Schwabens Vorzeit aufklärende Streiflichter geworfen hat. Mit Recht
ausgeschlossen worden, als noch nicht der Geschichte angehörig, ist die Regierung
des gegenwärtigen Königs Wilhelms II. Glanzpunkte der Schilderung sind die
Charakteristiken der Herzöge Eberhard im Bart, Ulrich, Christoph, Karl Eugen
(des „Karlherzich") und namentlich des Königs Friedrich. Bei dem zuletzt ge¬
nannten hat Schneider manchmal Gelegenheit, seinen Gegensatz zu der Auffassung
Treitschkes zu betonen. Während Treitschke in Friedrich nur den asiatischen Des¬
poten sieht, der es unter den Rhciubnndfürsten am tollsten trieb, als eine jener
Thrannennaturen, die das napoleonische Regiment mit allen Launen karrikirten und
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