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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

2359 Paragraphen, das Einführungsgesetz 217 Artikel. Gleichzeitig mit dem
bürgerlichen Gesetzbuche sollen eingeführt werden eine Gruudbuchordnnng, ein Gesetz
über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung des unbeweglichen Vermögens,
ein Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit einschließlich der Vormundschaftsord-
nung, ferner Änderungen des Gerichtsverfassungsgesctzes, der Zivilprozeßordnung,
der Konkursvrdnnng und des Handelsgesetzbuchs. Die Grundbuchordnuug umfaßt
nach dem Entwürfe vom Jahre 1889 79 Paragraphen, das Gesetz über die
Zwangsversteigerung usw. des unbeweglichen Vermögens nach dem Entwürfe von
demselben Jahre 245 Paragraphen. Von dem Gesetze über die freiwillige Ge¬
richtsbarkeit ist noch kein Entwurf veröffentlicht; auf mindestens 400 Paragraphen
wird man es aber schätzen dürfen. Die Änderungen des Gerichtsverfafsnngsgesetzes
werden etwa 40 bis 5V Paragraphen ausmachen. Eine vorliegende Zusammen¬
stellung der Änderungen der Zivilprozeßordnung, die unmittelbar mit den: bürger¬
lichen Gesetzbuche zusammenhängen, ergiebt 106 geänderte und 153 neue Para¬
graphen; dazu kommeu die geplanten, aber noch nicht veröffentlichten Änderungen
des Zustellungswesens, die mindestens auf 60 Paragraphen zu veranschlagen sind.
Die Änderungen der Konknrsordnnng umfassen nach der Vorlage 48 Paragraphen.
Die Änderungen am Handelsgesetzbuche sind noch nicht zusammengestellt; bei einem
mäßigen Anschlag kommt man auf etwa 100 Artikel. Summn Snmmcirum:
3817 Paragraphen und Artikel!

Wenn das deutsche Volk, nachdem sich dieser Paragraphenrcgen ergossen
haben wird, immer noch nicht ganz glücklich sein sollte -- die Herren an den
grünen Tischen sind dann wirtlich nicht schuld daran; denn noch mehr Paragraphen
kann man billigerweise nicht von ihnen verlangen. Ich lasse meinen Sohn, der
bisher die Rechtswissenschaft studirte, Papiermüller werden!


Entgegnung.

In Heft 10 der Grenzboten wird Seite 496 Dr. Trillings
Schrift: Die soziale Lage der deutschen Ärzte usw. vou einem ungenannten Be¬
richterstatter anerkennend besprochen. Aber in zwei Punkten wird Trillings zweck¬
mäßigen Vorschlägen auffallenderweise widersprochen, nämlich hinsichtlich der Ein¬
schließung der Familien der Versicherten und der festen Anstellung der Kassenärzte.
Die staatliche Fürsorge für den erkrankten Arbeiter wird als berechtigt anerkannt,
vor dem Einschluß seiner Familie wird gewarnt, weil dem Arbeiter dadurch jede
eigne Willensbethätigung zur Bewahrung der Seinen vor Not und Elend abge¬
nommen würde. "Wir thun nicht nur gut, solche Geschwindschritte in den kom¬
munistischen Staat hinein möglichst zu vermeiden, sondern wir müssen uns auch
hüten, die Charakterentwicklung des Einzelnen durch übermäßige Bevormundung
noch mehr zu schwächen."

Nun, wenn dieser neue Schritt auf der längst betretnen Bahn Kommunismus
ist, dann war schon die ganze soziale Gesetzgebung Kommunismus, dann war auch
die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die Ersetzung der Privntschulhnlter
durch angestellte Lehrer verderblicher Kommunismus, dann ist unser ganzes Volks¬
leben seit alten Zeiten von kommunistischen Einrichtungen erfüllt. Will aber der
Verfasser etwa nur vor der allzuschnellen Reform warnen, vor dem Geschwind¬
schritt in den doch unvermeidlichen kommunistischen Staat hinein, dann meine ich:
Was doch geschehen muß, soll man ausführen, sobald die Notwendigkeit erkannt
ist. Geschwindschritt ist besser, als Immer langsam voran! Der gehemmte Fort¬
schritt der vierziger Jahre hat das tolle Jahr gezeugt. Notwendig aber ist der
Einschluß der Familienmitglieder zum Wohle der Arbeiter. Das haben einzelne
Kassen längst erkannt, und haben darnach gehandelt. Anderswo aber sind die ver-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

2359 Paragraphen, das Einführungsgesetz 217 Artikel. Gleichzeitig mit dem
bürgerlichen Gesetzbuche sollen eingeführt werden eine Gruudbuchordnnng, ein Gesetz
über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung des unbeweglichen Vermögens,
ein Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit einschließlich der Vormundschaftsord-
nung, ferner Änderungen des Gerichtsverfassungsgesctzes, der Zivilprozeßordnung,
der Konkursvrdnnng und des Handelsgesetzbuchs. Die Grundbuchordnuug umfaßt
nach dem Entwürfe vom Jahre 1889 79 Paragraphen, das Gesetz über die
Zwangsversteigerung usw. des unbeweglichen Vermögens nach dem Entwürfe von
demselben Jahre 245 Paragraphen. Von dem Gesetze über die freiwillige Ge¬
richtsbarkeit ist noch kein Entwurf veröffentlicht; auf mindestens 400 Paragraphen
wird man es aber schätzen dürfen. Die Änderungen des Gerichtsverfafsnngsgesetzes
werden etwa 40 bis 5V Paragraphen ausmachen. Eine vorliegende Zusammen¬
stellung der Änderungen der Zivilprozeßordnung, die unmittelbar mit den: bürger¬
lichen Gesetzbuche zusammenhängen, ergiebt 106 geänderte und 153 neue Para¬
graphen; dazu kommeu die geplanten, aber noch nicht veröffentlichten Änderungen
des Zustellungswesens, die mindestens auf 60 Paragraphen zu veranschlagen sind.
Die Änderungen der Konknrsordnnng umfassen nach der Vorlage 48 Paragraphen.
Die Änderungen am Handelsgesetzbuche sind noch nicht zusammengestellt; bei einem
mäßigen Anschlag kommt man auf etwa 100 Artikel. Summn Snmmcirum:
3817 Paragraphen und Artikel!

Wenn das deutsche Volk, nachdem sich dieser Paragraphenrcgen ergossen
haben wird, immer noch nicht ganz glücklich sein sollte — die Herren an den
grünen Tischen sind dann wirtlich nicht schuld daran; denn noch mehr Paragraphen
kann man billigerweise nicht von ihnen verlangen. Ich lasse meinen Sohn, der
bisher die Rechtswissenschaft studirte, Papiermüller werden!


Entgegnung.

In Heft 10 der Grenzboten wird Seite 496 Dr. Trillings
Schrift: Die soziale Lage der deutschen Ärzte usw. vou einem ungenannten Be¬
richterstatter anerkennend besprochen. Aber in zwei Punkten wird Trillings zweck¬
mäßigen Vorschlägen auffallenderweise widersprochen, nämlich hinsichtlich der Ein¬
schließung der Familien der Versicherten und der festen Anstellung der Kassenärzte.
Die staatliche Fürsorge für den erkrankten Arbeiter wird als berechtigt anerkannt,
vor dem Einschluß seiner Familie wird gewarnt, weil dem Arbeiter dadurch jede
eigne Willensbethätigung zur Bewahrung der Seinen vor Not und Elend abge¬
nommen würde. „Wir thun nicht nur gut, solche Geschwindschritte in den kom¬
munistischen Staat hinein möglichst zu vermeiden, sondern wir müssen uns auch
hüten, die Charakterentwicklung des Einzelnen durch übermäßige Bevormundung
noch mehr zu schwächen."

Nun, wenn dieser neue Schritt auf der längst betretnen Bahn Kommunismus
ist, dann war schon die ganze soziale Gesetzgebung Kommunismus, dann war auch
die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die Ersetzung der Privntschulhnlter
durch angestellte Lehrer verderblicher Kommunismus, dann ist unser ganzes Volks¬
leben seit alten Zeiten von kommunistischen Einrichtungen erfüllt. Will aber der
Verfasser etwa nur vor der allzuschnellen Reform warnen, vor dem Geschwind¬
schritt in den doch unvermeidlichen kommunistischen Staat hinein, dann meine ich:
Was doch geschehen muß, soll man ausführen, sobald die Notwendigkeit erkannt
ist. Geschwindschritt ist besser, als Immer langsam voran! Der gehemmte Fort¬
schritt der vierziger Jahre hat das tolle Jahr gezeugt. Notwendig aber ist der
Einschluß der Familienmitglieder zum Wohle der Arbeiter. Das haben einzelne
Kassen längst erkannt, und haben darnach gehandelt. Anderswo aber sind die ver-


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[0650] Maßgebliches und Unmaßgebliches 2359 Paragraphen, das Einführungsgesetz 217 Artikel. Gleichzeitig mit dem bürgerlichen Gesetzbuche sollen eingeführt werden eine Gruudbuchordnnng, ein Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung des unbeweglichen Vermögens, ein Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit einschließlich der Vormundschaftsord- nung, ferner Änderungen des Gerichtsverfassungsgesctzes, der Zivilprozeßordnung, der Konkursvrdnnng und des Handelsgesetzbuchs. Die Grundbuchordnuug umfaßt nach dem Entwürfe vom Jahre 1889 79 Paragraphen, das Gesetz über die Zwangsversteigerung usw. des unbeweglichen Vermögens nach dem Entwürfe von demselben Jahre 245 Paragraphen. Von dem Gesetze über die freiwillige Ge¬ richtsbarkeit ist noch kein Entwurf veröffentlicht; auf mindestens 400 Paragraphen wird man es aber schätzen dürfen. Die Änderungen des Gerichtsverfafsnngsgesetzes werden etwa 40 bis 5V Paragraphen ausmachen. Eine vorliegende Zusammen¬ stellung der Änderungen der Zivilprozeßordnung, die unmittelbar mit den: bürger¬ lichen Gesetzbuche zusammenhängen, ergiebt 106 geänderte und 153 neue Para¬ graphen; dazu kommeu die geplanten, aber noch nicht veröffentlichten Änderungen des Zustellungswesens, die mindestens auf 60 Paragraphen zu veranschlagen sind. Die Änderungen der Konknrsordnnng umfassen nach der Vorlage 48 Paragraphen. Die Änderungen am Handelsgesetzbuche sind noch nicht zusammengestellt; bei einem mäßigen Anschlag kommt man auf etwa 100 Artikel. Summn Snmmcirum: 3817 Paragraphen und Artikel! Wenn das deutsche Volk, nachdem sich dieser Paragraphenrcgen ergossen haben wird, immer noch nicht ganz glücklich sein sollte — die Herren an den grünen Tischen sind dann wirtlich nicht schuld daran; denn noch mehr Paragraphen kann man billigerweise nicht von ihnen verlangen. Ich lasse meinen Sohn, der bisher die Rechtswissenschaft studirte, Papiermüller werden! Entgegnung. In Heft 10 der Grenzboten wird Seite 496 Dr. Trillings Schrift: Die soziale Lage der deutschen Ärzte usw. vou einem ungenannten Be¬ richterstatter anerkennend besprochen. Aber in zwei Punkten wird Trillings zweck¬ mäßigen Vorschlägen auffallenderweise widersprochen, nämlich hinsichtlich der Ein¬ schließung der Familien der Versicherten und der festen Anstellung der Kassenärzte. Die staatliche Fürsorge für den erkrankten Arbeiter wird als berechtigt anerkannt, vor dem Einschluß seiner Familie wird gewarnt, weil dem Arbeiter dadurch jede eigne Willensbethätigung zur Bewahrung der Seinen vor Not und Elend abge¬ nommen würde. „Wir thun nicht nur gut, solche Geschwindschritte in den kom¬ munistischen Staat hinein möglichst zu vermeiden, sondern wir müssen uns auch hüten, die Charakterentwicklung des Einzelnen durch übermäßige Bevormundung noch mehr zu schwächen." Nun, wenn dieser neue Schritt auf der längst betretnen Bahn Kommunismus ist, dann war schon die ganze soziale Gesetzgebung Kommunismus, dann war auch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die Ersetzung der Privntschulhnlter durch angestellte Lehrer verderblicher Kommunismus, dann ist unser ganzes Volks¬ leben seit alten Zeiten von kommunistischen Einrichtungen erfüllt. Will aber der Verfasser etwa nur vor der allzuschnellen Reform warnen, vor dem Geschwind¬ schritt in den doch unvermeidlichen kommunistischen Staat hinein, dann meine ich: Was doch geschehen muß, soll man ausführen, sobald die Notwendigkeit erkannt ist. Geschwindschritt ist besser, als Immer langsam voran! Der gehemmte Fort¬ schritt der vierziger Jahre hat das tolle Jahr gezeugt. Notwendig aber ist der Einschluß der Familienmitglieder zum Wohle der Arbeiter. Das haben einzelne Kassen längst erkannt, und haben darnach gehandelt. Anderswo aber sind die ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/650>, abgerufen am 24.11.2024.