Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Litteratur sungen ein den höhern Schulen beseitigt hat. Im Laufe der Jahre hatten sich bei Dieser Unfug ist nun in Preußen seit einiger Zeit glücklich beseitigt worden, Litteratur Das Elend in der Hausindustrie der Konfektion. Von Odo Othem. Leipzig, Fr. Wilh, Grunow, 1896. Preis 1 Mark Wie die Leser aus den Zeitungen wissen, stehen Taufende von deutschen Kon- Litteratur sungen ein den höhern Schulen beseitigt hat. Im Laufe der Jahre hatten sich bei Dieser Unfug ist nun in Preußen seit einiger Zeit glücklich beseitigt worden, Litteratur Das Elend in der Hausindustrie der Konfektion. Von Odo Othem. Leipzig, Fr. Wilh, Grunow, 1896. Preis 1 Mark Wie die Leser aus den Zeitungen wissen, stehen Taufende von deutschen Kon- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222001"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1201" prev="#ID_1200"> sungen ein den höhern Schulen beseitigt hat. Im Laufe der Jahre hatten sich bei<lb/> den Prüfungen soviel Nbelftimdc, Störungen und unnütze Aufregungen eingestellt,<lb/> daß die ganze Einrichtung zu einer wahren Plage für die Schüler, ja die<lb/> Lehrer und selbst für die Eltern geworden war. Die Schüler wußten nicht recht,<lb/> weshalb sie eigentlich für diese Prüfung, die keinen Einfluß auf die Zensur und<lb/> die Versetzung haben sollte, gedrillt wurden. Die Lehrer verstanden nicht, wes¬<lb/> halb sie sich und ihre Schüler der Kritik eines zusammengewürfelten, oft sehr ur¬<lb/> teilslosen Publikums aussetzen sollten, da doch die fachmännisch gebildeten Aufsichts¬<lb/> behörden nicht allein das Recht, sondern sogar die Pflicht haben, jederzeit an ihrem<lb/> Unterricht in der Klasse teilzunehmen und sich über die Leistungen der Lehrer ein<lb/> Urteil zu bilden. Die Eltern endlich fühlten es als einen unangenehmen Zwang,<lb/> doch auch bei diesen öffentlichen Vorführungen zu erscheinen, damit die Lehrer und<lb/> der Herr Direktor nur nicht denken könnten, sie hätten kein Interesse für die<lb/> Schule. Da aber in einem geordneten Haushalte weder der durch seinen Beruf<lb/> in Anspruch genommene Vater noch die in der Wirtschaft vollauf beschäftigte<lb/> Mutter vormittags in die Schule laufen konnte, so Pflegte die Vertretung des<lb/> Hauses irgend einer alten Tante, genannt Aulalia, übertragen zu werden. Vor eiuer<lb/> solche» würdigen Gesellschaft alter Tanten pflegte sich dann die ganze Schulkomödie<lb/> abzuspielen. Der mit Orden geschmückte Direktor schritt würdevoll einher, die be¬<lb/> frackten Lehrer, leicht gerötet von der Aufregung des Tages, bewegten sich geschäftig<lb/> vor der staunenden Gesellschaft und führten im Flüstertöne alles ordnend die<lb/> Klassen in die Aula. Andre saßen dumpf brütend an den langen Tischen und<lb/> starrten auf ihre Weiße Wäsche oder auf die vor ihnen liegenden unzähligen Schul-<lb/> Progrmnme. Andre wieder, die an der Vorführung nicht beteiligt waren, standen<lb/> mit sarkastischen Lächeln an den Wänden und verwünschten die ganze Parade,<lb/> deren Gaukelwerk sie genau kannten, und die ihnen soviel kostbare Zeit raubte.<lb/> Denn die Komödie dauerte fast eine ganze Woche.</p><lb/> <p xml:id="ID_1202"> Dieser Unfug ist nun in Preußen seit einiger Zeit glücklich beseitigt worden,<lb/> und es giebt wohl keinen verständigen Schulmann, der ihn wieder zurückwünschte.<lb/> Anderwärts dauert er aber uoch fort und wird, da man sich schent, preußische<lb/> Einrichtungen im Schulwesen anzunehmen, wahrscheinlich auch noch ein paar Jahrzehnte<lb/> fortdauern, bis die letzte Aulalia verschwunden, und man zu der Einsicht gekommen<lb/> sein wird, daß es doch besser und erfolgreicher ist, in aller Stille eine Woche<lb/> weiter zu arbeiten, als vor der Öffentlichkeit ein pädagogisches Effektstück auszu-<lb/> führen. Wichtige geistige Arbeit ist zu ernsthaft und zu keusch, als daß sie eine<lb/> öffentliche Schaustellung dieser Art vertrüge.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <div n="2"> <head> Das Elend in der Hausindustrie der Konfektion. Von Odo Othem. Leipzig,<lb/> Fr. Wilh, Grunow, 1896. Preis 1 Mark</head><lb/> <p xml:id="ID_1203" next="#ID_1204"> Wie die Leser aus den Zeitungen wissen, stehen Taufende von deutschen Kon-<lb/> fektions-Arbeitern und Arbeiterinnen im Begriff, die Arbeit einzustellen; in einer<lb/> Anzahl von großen Städten haben sie sie bereits eingestellt; die Bewegung geht<lb/> von Berlin aus und hat bis jetzt vorzüglich Breslau, Stettin, Erfurt und Hamburg<lb/> ergriffe». In Breslau versammelte» sich am 5. Februar siebzehn von den be¬<lb/> troffnen sechsundzwanzig Unternehmern zu einer Beratung, bei der, wie es in dem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
Litteratur
sungen ein den höhern Schulen beseitigt hat. Im Laufe der Jahre hatten sich bei
den Prüfungen soviel Nbelftimdc, Störungen und unnütze Aufregungen eingestellt,
daß die ganze Einrichtung zu einer wahren Plage für die Schüler, ja die
Lehrer und selbst für die Eltern geworden war. Die Schüler wußten nicht recht,
weshalb sie eigentlich für diese Prüfung, die keinen Einfluß auf die Zensur und
die Versetzung haben sollte, gedrillt wurden. Die Lehrer verstanden nicht, wes¬
halb sie sich und ihre Schüler der Kritik eines zusammengewürfelten, oft sehr ur¬
teilslosen Publikums aussetzen sollten, da doch die fachmännisch gebildeten Aufsichts¬
behörden nicht allein das Recht, sondern sogar die Pflicht haben, jederzeit an ihrem
Unterricht in der Klasse teilzunehmen und sich über die Leistungen der Lehrer ein
Urteil zu bilden. Die Eltern endlich fühlten es als einen unangenehmen Zwang,
doch auch bei diesen öffentlichen Vorführungen zu erscheinen, damit die Lehrer und
der Herr Direktor nur nicht denken könnten, sie hätten kein Interesse für die
Schule. Da aber in einem geordneten Haushalte weder der durch seinen Beruf
in Anspruch genommene Vater noch die in der Wirtschaft vollauf beschäftigte
Mutter vormittags in die Schule laufen konnte, so Pflegte die Vertretung des
Hauses irgend einer alten Tante, genannt Aulalia, übertragen zu werden. Vor eiuer
solche» würdigen Gesellschaft alter Tanten pflegte sich dann die ganze Schulkomödie
abzuspielen. Der mit Orden geschmückte Direktor schritt würdevoll einher, die be¬
frackten Lehrer, leicht gerötet von der Aufregung des Tages, bewegten sich geschäftig
vor der staunenden Gesellschaft und führten im Flüstertöne alles ordnend die
Klassen in die Aula. Andre saßen dumpf brütend an den langen Tischen und
starrten auf ihre Weiße Wäsche oder auf die vor ihnen liegenden unzähligen Schul-
Progrmnme. Andre wieder, die an der Vorführung nicht beteiligt waren, standen
mit sarkastischen Lächeln an den Wänden und verwünschten die ganze Parade,
deren Gaukelwerk sie genau kannten, und die ihnen soviel kostbare Zeit raubte.
Denn die Komödie dauerte fast eine ganze Woche.
Dieser Unfug ist nun in Preußen seit einiger Zeit glücklich beseitigt worden,
und es giebt wohl keinen verständigen Schulmann, der ihn wieder zurückwünschte.
Anderwärts dauert er aber uoch fort und wird, da man sich schent, preußische
Einrichtungen im Schulwesen anzunehmen, wahrscheinlich auch noch ein paar Jahrzehnte
fortdauern, bis die letzte Aulalia verschwunden, und man zu der Einsicht gekommen
sein wird, daß es doch besser und erfolgreicher ist, in aller Stille eine Woche
weiter zu arbeiten, als vor der Öffentlichkeit ein pädagogisches Effektstück auszu-
führen. Wichtige geistige Arbeit ist zu ernsthaft und zu keusch, als daß sie eine
öffentliche Schaustellung dieser Art vertrüge.
Litteratur
Das Elend in der Hausindustrie der Konfektion. Von Odo Othem. Leipzig,
Fr. Wilh, Grunow, 1896. Preis 1 Mark
Wie die Leser aus den Zeitungen wissen, stehen Taufende von deutschen Kon-
fektions-Arbeitern und Arbeiterinnen im Begriff, die Arbeit einzustellen; in einer
Anzahl von großen Städten haben sie sie bereits eingestellt; die Bewegung geht
von Berlin aus und hat bis jetzt vorzüglich Breslau, Stettin, Erfurt und Hamburg
ergriffe». In Breslau versammelte» sich am 5. Februar siebzehn von den be¬
troffnen sechsundzwanzig Unternehmern zu einer Beratung, bei der, wie es in dem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |