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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Unsre Volksfeste

erscheint, das in gesunder Entwicklung seinen geistigen Gehalt in die ansprechende
Form gießt, ebenso ist auch das wahre Volksfest der Ausfluß eines in alleu
Beziehungen gesunden und blühenden Volkes, das sich lebenskräftig in jugend¬
licher Lust entfaltet. Ja so nahe berühren sich die Begriffe der Kunst und
des Volksfestes, daß man die eine die Blüte der geistig-sinnlichen, das andre
den höchsten Ausdruck aller geselligen Kraft eiues Volkes nenneu darf. Und
wie die Kunst, so sind auch die großen nationalen Feste stets dagewesen, wo
ein Volk auf dem Höhepunkt geistigen, künstlerischen und materiellen Wohl¬
standes angelangt war. Die vollkommenste Blüte jener nationalen "Spiele"
im alten Griechenland, die wir heute noch als das menschlich erreichbare Ideal
eines Volksfestes betrachten, fällt mit dem höchsten Glanz der politischen,
geistigen und materiellen Macht des Griechentums zusammen; das Mittel¬
alter entfaltet mehrfach die ganze freudige Pracht eines reich entwickelten und
wahrhaft volkstümlichen festlichen Lebens, und jedesmal zu einer Zeit, die auch
auf dem Gebiete geistiger, politischer und künstlerischer Thätigkeit in Hellem
Lichte strahlt. Sollte es ein Zufall sein, wenn sich nach Jahrhunderten
politischer und materieller Ohnmacht mit dem neuerstandnen deutschen Reich
auch der Sinn wieder regt für das, was einst der Stolz und die Freude war
eines großen und mächtigen, im Mittelpunkte der Welt gelegnen und diese
mit dem Glänze seiner Kulturarbeit erleuchtenden und überstrahlenden Volkes,
seine Feste -- den Ausdruck seiner glänzenden Lebenskraft? Wir deuten die
Zeichen der Zeit dahin, daß unser Vaterland mit seinein politischen Auferstehen
und seiner mächtige" materiellen Erstarkung auch eiuen neuen Anlauf nimmt
auf allen Gebieten des wissenschaftlichen, des künstlerischen und seine Lebens-
äußerungen zusammenfassend: des gemeinsinnigen Lebens. Überall regt es sich;
glänzend erscheint am Himmel der bildenden Kunst ein neues, leuchtendes
Morgenrot; machtvoll und prächtig schreitet bereits die deutsche Musik durch
die Lande; mit fast unbegreiflicher Energie arbeitet die Wissenschaft vorwärts,
löst die Technik immer neue Probleme -- allen voran, wie in jenen längst
vergangnen Tagen des Mittelalters und der Renaissance, Deutschlands Geistes¬
arbeit. Und notgedrungen muß sich auch der Ausdruck dieses ganzen mannich-
faltig und kraftvoll erblühenden Lebens mit dem Volksfeste wieder zu der alten
Höhe erheben, wenn sich auch die übrigen Vorbedingungen dazu finden. Was
diese sind, ob und wie sie sich beschaffen lasten, dort wo sie fehlen, das zu
erörtern ist der Zweck der folgenden Blätter.

1

Daß nicht nur ein großer Teil alter und trauter Festbräuche, wie sie
unsre Väter noch zu pflegen verstanden, verschwunden, sondern auch, daß unsre
Feste selber von ihrer dereinstigen Höhe herabgesunken und zu trivialen und
rohen Belustigungen namentlich der Volksklassen verflacht sind, die ihrer Freude


Unsre Volksfeste

erscheint, das in gesunder Entwicklung seinen geistigen Gehalt in die ansprechende
Form gießt, ebenso ist auch das wahre Volksfest der Ausfluß eines in alleu
Beziehungen gesunden und blühenden Volkes, das sich lebenskräftig in jugend¬
licher Lust entfaltet. Ja so nahe berühren sich die Begriffe der Kunst und
des Volksfestes, daß man die eine die Blüte der geistig-sinnlichen, das andre
den höchsten Ausdruck aller geselligen Kraft eiues Volkes nenneu darf. Und
wie die Kunst, so sind auch die großen nationalen Feste stets dagewesen, wo
ein Volk auf dem Höhepunkt geistigen, künstlerischen und materiellen Wohl¬
standes angelangt war. Die vollkommenste Blüte jener nationalen „Spiele"
im alten Griechenland, die wir heute noch als das menschlich erreichbare Ideal
eines Volksfestes betrachten, fällt mit dem höchsten Glanz der politischen,
geistigen und materiellen Macht des Griechentums zusammen; das Mittel¬
alter entfaltet mehrfach die ganze freudige Pracht eines reich entwickelten und
wahrhaft volkstümlichen festlichen Lebens, und jedesmal zu einer Zeit, die auch
auf dem Gebiete geistiger, politischer und künstlerischer Thätigkeit in Hellem
Lichte strahlt. Sollte es ein Zufall sein, wenn sich nach Jahrhunderten
politischer und materieller Ohnmacht mit dem neuerstandnen deutschen Reich
auch der Sinn wieder regt für das, was einst der Stolz und die Freude war
eines großen und mächtigen, im Mittelpunkte der Welt gelegnen und diese
mit dem Glänze seiner Kulturarbeit erleuchtenden und überstrahlenden Volkes,
seine Feste — den Ausdruck seiner glänzenden Lebenskraft? Wir deuten die
Zeichen der Zeit dahin, daß unser Vaterland mit seinein politischen Auferstehen
und seiner mächtige» materiellen Erstarkung auch eiuen neuen Anlauf nimmt
auf allen Gebieten des wissenschaftlichen, des künstlerischen und seine Lebens-
äußerungen zusammenfassend: des gemeinsinnigen Lebens. Überall regt es sich;
glänzend erscheint am Himmel der bildenden Kunst ein neues, leuchtendes
Morgenrot; machtvoll und prächtig schreitet bereits die deutsche Musik durch
die Lande; mit fast unbegreiflicher Energie arbeitet die Wissenschaft vorwärts,
löst die Technik immer neue Probleme — allen voran, wie in jenen längst
vergangnen Tagen des Mittelalters und der Renaissance, Deutschlands Geistes¬
arbeit. Und notgedrungen muß sich auch der Ausdruck dieses ganzen mannich-
faltig und kraftvoll erblühenden Lebens mit dem Volksfeste wieder zu der alten
Höhe erheben, wenn sich auch die übrigen Vorbedingungen dazu finden. Was
diese sind, ob und wie sie sich beschaffen lasten, dort wo sie fehlen, das zu
erörtern ist der Zweck der folgenden Blätter.

1

Daß nicht nur ein großer Teil alter und trauter Festbräuche, wie sie
unsre Väter noch zu pflegen verstanden, verschwunden, sondern auch, daß unsre
Feste selber von ihrer dereinstigen Höhe herabgesunken und zu trivialen und
rohen Belustigungen namentlich der Volksklassen verflacht sind, die ihrer Freude


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[0392] Unsre Volksfeste erscheint, das in gesunder Entwicklung seinen geistigen Gehalt in die ansprechende Form gießt, ebenso ist auch das wahre Volksfest der Ausfluß eines in alleu Beziehungen gesunden und blühenden Volkes, das sich lebenskräftig in jugend¬ licher Lust entfaltet. Ja so nahe berühren sich die Begriffe der Kunst und des Volksfestes, daß man die eine die Blüte der geistig-sinnlichen, das andre den höchsten Ausdruck aller geselligen Kraft eiues Volkes nenneu darf. Und wie die Kunst, so sind auch die großen nationalen Feste stets dagewesen, wo ein Volk auf dem Höhepunkt geistigen, künstlerischen und materiellen Wohl¬ standes angelangt war. Die vollkommenste Blüte jener nationalen „Spiele" im alten Griechenland, die wir heute noch als das menschlich erreichbare Ideal eines Volksfestes betrachten, fällt mit dem höchsten Glanz der politischen, geistigen und materiellen Macht des Griechentums zusammen; das Mittel¬ alter entfaltet mehrfach die ganze freudige Pracht eines reich entwickelten und wahrhaft volkstümlichen festlichen Lebens, und jedesmal zu einer Zeit, die auch auf dem Gebiete geistiger, politischer und künstlerischer Thätigkeit in Hellem Lichte strahlt. Sollte es ein Zufall sein, wenn sich nach Jahrhunderten politischer und materieller Ohnmacht mit dem neuerstandnen deutschen Reich auch der Sinn wieder regt für das, was einst der Stolz und die Freude war eines großen und mächtigen, im Mittelpunkte der Welt gelegnen und diese mit dem Glänze seiner Kulturarbeit erleuchtenden und überstrahlenden Volkes, seine Feste — den Ausdruck seiner glänzenden Lebenskraft? Wir deuten die Zeichen der Zeit dahin, daß unser Vaterland mit seinein politischen Auferstehen und seiner mächtige» materiellen Erstarkung auch eiuen neuen Anlauf nimmt auf allen Gebieten des wissenschaftlichen, des künstlerischen und seine Lebens- äußerungen zusammenfassend: des gemeinsinnigen Lebens. Überall regt es sich; glänzend erscheint am Himmel der bildenden Kunst ein neues, leuchtendes Morgenrot; machtvoll und prächtig schreitet bereits die deutsche Musik durch die Lande; mit fast unbegreiflicher Energie arbeitet die Wissenschaft vorwärts, löst die Technik immer neue Probleme — allen voran, wie in jenen längst vergangnen Tagen des Mittelalters und der Renaissance, Deutschlands Geistes¬ arbeit. Und notgedrungen muß sich auch der Ausdruck dieses ganzen mannich- faltig und kraftvoll erblühenden Lebens mit dem Volksfeste wieder zu der alten Höhe erheben, wenn sich auch die übrigen Vorbedingungen dazu finden. Was diese sind, ob und wie sie sich beschaffen lasten, dort wo sie fehlen, das zu erörtern ist der Zweck der folgenden Blätter. 1 Daß nicht nur ein großer Teil alter und trauter Festbräuche, wie sie unsre Väter noch zu pflegen verstanden, verschwunden, sondern auch, daß unsre Feste selber von ihrer dereinstigen Höhe herabgesunken und zu trivialen und rohen Belustigungen namentlich der Volksklassen verflacht sind, die ihrer Freude

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/392>, abgerufen am 27.06.2024.