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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

bringung seines Werks so notwendig ist. Denn ist man darüber einig, daß
keins der bestehenden Svnderrechtc den Anforderungen der Gegenwart so voll¬
kommen entspricht, daß es wert wäre, einfach zum Reichsrecht erhoben zu
werden, so fällt auch die Notwendigkeit weg, das neue gemeinsame Recht sklavisch
streng dem oder jenem bereits geltenden Landrecht anzupassen. Muß sich das
Sonderrecht in vielfacher Hinsicht Abänderungen gefallen lassen, so ist es dann
auch gleichgültig, ob diese Abänderungen völlig neues Recht enthalten oder mit
einzelnen Bestimmungen andrer Landesrechte übereinstimmen. Das neue Recht
vermag sich also unbehindert deu veränderten Verhältnissen anzupassen und
braucht sich nicht durch die Furcht, in Widerspruch mit dem bisher geltenden
Recht zu treten, Fesseln anlegen zu lassen. Der Widerspruch des neuen ge¬
meinsamen Rechts mit den alten Sonderrechten ist nun einmal unvermeidlich.
Diese erzwungne Rücksichtslosigkeit aber macht das neue Recht nur lebens¬
fähiger. Sehr richtig sagt Gierde, eine Gesetzeskodifikation habe nnr dann
Anspruch auf langes Leben, wenn sie nicht das frühere Recht, sondern das
wünschenswerte, das gewünschte Recht als ihren Inhalt biete. Nun, die Um¬
stände, unter denen ein gemeinsames bürgerliches deutsches Recht zustande
kommt, begünstigen durchaus die Schaffung dieses gewünschten Rechts und
öffnen die Wege für neue Bahnen, wo solche notwendig erscheinen.' Die Ge¬
legenheit, die schöpferische Kraft, die auf Jahrzehnte hinaus dem Nechtslebe"
seine Bahnen vorschreibt, zu bethätige", ist gegeben. Man wird zu prüfe"
haben, ob von ihr Gebrauch gemacht worden ist.

Daß hierbei mit der bisherigen Rechtsentwickluug völlig gebrochen werde,
ist ohnedies nicht zu fürchten. Die Natur macht keine Sprünge, und der
Gesetzgeber ist unbewußt viel mehr geneigt, sich an das Alte nuzuschließen,
als Neues zu schaffen. Es liegt nahe, diesen Aktschluß dann dort zu suchen,
too wir bereits gemeinsames Recht in Deutschland haben. Hier hat ja gerade
die Wissenschaft des deutschen Privatrechts genügend vorgearbeitet. Die Be¬
rücksichtigung ihrer Ergebnisse würde dem Recht zugleich den deutschncitionaleu
Zug geben, der lebhaft gefordert wird.


3. Der Umfang der Gesetzgebung

Daß das neue Gesetzbuch nur bürgerliches, nicht z. B. öffentliches Recht
zum Inhalt haben will, sagt schon seine Bezeichnung als bürgerliches Gesetz¬
buch und bedarf nicht noch besondrer Hervorhebung. Diese Beschränkung auf
das bürgerliche Recht ist alleu neuern Kodifikationen eigen. Eine Ausnahme
macht nur das preußische Landrecht, und nicht zu seinem Vorteil. Eine andre
Frage dagegen ist es, ob in das Gesetzbuch das gesamte bürgerliche Recht
aufzunehmen sei, oder ob einzelne Stoffe auszuscheiden und der Regelung durch
Sondergesetze vorzubehalten seien. Dies dürfte im wesentlichen allein nach
Zweckmäßigkeitsgründen zu beantworten sein. So ist allgemein das Handels-,


was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch?

bringung seines Werks so notwendig ist. Denn ist man darüber einig, daß
keins der bestehenden Svnderrechtc den Anforderungen der Gegenwart so voll¬
kommen entspricht, daß es wert wäre, einfach zum Reichsrecht erhoben zu
werden, so fällt auch die Notwendigkeit weg, das neue gemeinsame Recht sklavisch
streng dem oder jenem bereits geltenden Landrecht anzupassen. Muß sich das
Sonderrecht in vielfacher Hinsicht Abänderungen gefallen lassen, so ist es dann
auch gleichgültig, ob diese Abänderungen völlig neues Recht enthalten oder mit
einzelnen Bestimmungen andrer Landesrechte übereinstimmen. Das neue Recht
vermag sich also unbehindert deu veränderten Verhältnissen anzupassen und
braucht sich nicht durch die Furcht, in Widerspruch mit dem bisher geltenden
Recht zu treten, Fesseln anlegen zu lassen. Der Widerspruch des neuen ge¬
meinsamen Rechts mit den alten Sonderrechten ist nun einmal unvermeidlich.
Diese erzwungne Rücksichtslosigkeit aber macht das neue Recht nur lebens¬
fähiger. Sehr richtig sagt Gierde, eine Gesetzeskodifikation habe nnr dann
Anspruch auf langes Leben, wenn sie nicht das frühere Recht, sondern das
wünschenswerte, das gewünschte Recht als ihren Inhalt biete. Nun, die Um¬
stände, unter denen ein gemeinsames bürgerliches deutsches Recht zustande
kommt, begünstigen durchaus die Schaffung dieses gewünschten Rechts und
öffnen die Wege für neue Bahnen, wo solche notwendig erscheinen.' Die Ge¬
legenheit, die schöpferische Kraft, die auf Jahrzehnte hinaus dem Nechtslebe»
seine Bahnen vorschreibt, zu bethätige», ist gegeben. Man wird zu prüfe»
haben, ob von ihr Gebrauch gemacht worden ist.

Daß hierbei mit der bisherigen Rechtsentwickluug völlig gebrochen werde,
ist ohnedies nicht zu fürchten. Die Natur macht keine Sprünge, und der
Gesetzgeber ist unbewußt viel mehr geneigt, sich an das Alte nuzuschließen,
als Neues zu schaffen. Es liegt nahe, diesen Aktschluß dann dort zu suchen,
too wir bereits gemeinsames Recht in Deutschland haben. Hier hat ja gerade
die Wissenschaft des deutschen Privatrechts genügend vorgearbeitet. Die Be¬
rücksichtigung ihrer Ergebnisse würde dem Recht zugleich den deutschncitionaleu
Zug geben, der lebhaft gefordert wird.


3. Der Umfang der Gesetzgebung

Daß das neue Gesetzbuch nur bürgerliches, nicht z. B. öffentliches Recht
zum Inhalt haben will, sagt schon seine Bezeichnung als bürgerliches Gesetz¬
buch und bedarf nicht noch besondrer Hervorhebung. Diese Beschränkung auf
das bürgerliche Recht ist alleu neuern Kodifikationen eigen. Eine Ausnahme
macht nur das preußische Landrecht, und nicht zu seinem Vorteil. Eine andre
Frage dagegen ist es, ob in das Gesetzbuch das gesamte bürgerliche Recht
aufzunehmen sei, oder ob einzelne Stoffe auszuscheiden und der Regelung durch
Sondergesetze vorzubehalten seien. Dies dürfte im wesentlichen allein nach
Zweckmäßigkeitsgründen zu beantworten sein. So ist allgemein das Handels-,


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[0214] was verlangen wir von einem bürgerlichen Gesetzbuch? bringung seines Werks so notwendig ist. Denn ist man darüber einig, daß keins der bestehenden Svnderrechtc den Anforderungen der Gegenwart so voll¬ kommen entspricht, daß es wert wäre, einfach zum Reichsrecht erhoben zu werden, so fällt auch die Notwendigkeit weg, das neue gemeinsame Recht sklavisch streng dem oder jenem bereits geltenden Landrecht anzupassen. Muß sich das Sonderrecht in vielfacher Hinsicht Abänderungen gefallen lassen, so ist es dann auch gleichgültig, ob diese Abänderungen völlig neues Recht enthalten oder mit einzelnen Bestimmungen andrer Landesrechte übereinstimmen. Das neue Recht vermag sich also unbehindert deu veränderten Verhältnissen anzupassen und braucht sich nicht durch die Furcht, in Widerspruch mit dem bisher geltenden Recht zu treten, Fesseln anlegen zu lassen. Der Widerspruch des neuen ge¬ meinsamen Rechts mit den alten Sonderrechten ist nun einmal unvermeidlich. Diese erzwungne Rücksichtslosigkeit aber macht das neue Recht nur lebens¬ fähiger. Sehr richtig sagt Gierde, eine Gesetzeskodifikation habe nnr dann Anspruch auf langes Leben, wenn sie nicht das frühere Recht, sondern das wünschenswerte, das gewünschte Recht als ihren Inhalt biete. Nun, die Um¬ stände, unter denen ein gemeinsames bürgerliches deutsches Recht zustande kommt, begünstigen durchaus die Schaffung dieses gewünschten Rechts und öffnen die Wege für neue Bahnen, wo solche notwendig erscheinen.' Die Ge¬ legenheit, die schöpferische Kraft, die auf Jahrzehnte hinaus dem Nechtslebe» seine Bahnen vorschreibt, zu bethätige», ist gegeben. Man wird zu prüfe» haben, ob von ihr Gebrauch gemacht worden ist. Daß hierbei mit der bisherigen Rechtsentwickluug völlig gebrochen werde, ist ohnedies nicht zu fürchten. Die Natur macht keine Sprünge, und der Gesetzgeber ist unbewußt viel mehr geneigt, sich an das Alte nuzuschließen, als Neues zu schaffen. Es liegt nahe, diesen Aktschluß dann dort zu suchen, too wir bereits gemeinsames Recht in Deutschland haben. Hier hat ja gerade die Wissenschaft des deutschen Privatrechts genügend vorgearbeitet. Die Be¬ rücksichtigung ihrer Ergebnisse würde dem Recht zugleich den deutschncitionaleu Zug geben, der lebhaft gefordert wird. 3. Der Umfang der Gesetzgebung Daß das neue Gesetzbuch nur bürgerliches, nicht z. B. öffentliches Recht zum Inhalt haben will, sagt schon seine Bezeichnung als bürgerliches Gesetz¬ buch und bedarf nicht noch besondrer Hervorhebung. Diese Beschränkung auf das bürgerliche Recht ist alleu neuern Kodifikationen eigen. Eine Ausnahme macht nur das preußische Landrecht, und nicht zu seinem Vorteil. Eine andre Frage dagegen ist es, ob in das Gesetzbuch das gesamte bürgerliche Recht aufzunehmen sei, oder ob einzelne Stoffe auszuscheiden und der Regelung durch Sondergesetze vorzubehalten seien. Dies dürfte im wesentlichen allein nach Zweckmäßigkeitsgründen zu beantworten sein. So ist allgemein das Handels-,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/214>, abgerufen am 27.06.2024.