schwungnen Körper des großen Philologen eine gewisse schlaffe Eleganz. Dazu passen die verlebten Züge des seelenlosen Gesichts recht gut. Genug: das Modell zu diesem Philippus denkt man sich am ehesten an den Knminsims eines Nacht- eafvs gelehnt.
Man kann von diesem Denkmal nicht scheiden ohne Bitterkeit. Zwei begabte Künstler sind an eine falsche Aufgabe geraten; Otto zumal, dem doch das Denkmal, auch so wie es jetzt dasteht, zumeist angehört, war groß nur als Erotiker. Da war er Sachkenner, da nahm er seine Aufgaben ernst. Sein Wilhelm von Humboldt dagegen sollte eigentlich Friedrich Hase heißen, und seine Vestalin -- mit dieser Benennung und der entsprechenden Ausgestaltung der als Hetäre allerliebsten Figur begann das traurige Spiel, das uus jetzt um ein Lutherdeukmal gebracht hat, wie es uns -- um ein Denkmal unsers alten Kaisers Wilhelm bringen wird. Und wer Weiß, welch ein theatralischer Bismarck uns droht? Einige unter den Preis¬ gekrönten Entwürfen lassen das schlimmste befürchten.
Wallet hier ein unentrinnbares historisches Gesetz? Soll unsre Kunst, wenigstens die monumentale, durchaus einem aufgeregten, unwahrhaftigen, also undeutschen Barock verfallen? Stunde das fest, so könnten wir schweigen; wir würden den Strom nicht hemmen; dämmten wir hier zurück, so bräche es dort übermächtig hervor. Aber so steht es wohl doch nicht: Berlin ist nicht Deutschland, und die öffentlichen, wenigstens die offiziellen und offiziösen Denkmäler sind nicht die Kunst. Freilich: nie wiederkehrende Gelegenheiten sind versäumt, große, herrliche Aufgaben verpfuscht; und das stimmt traurig.
Litteratur
Das Norvenleben des Menschen in guten und bösen Tagen. Eine Schrift zur Belehrung, zu Rat und Trost. Von or. I. L. A. Koch, Direktor der königlich württem¬ bergischen Staatsirrenanstalt Zwiefalten. Stereotypirte dritte Auslage. Ravensburg, Otto Maier, 1395
Der durch zahlreiche psychiatrische Schriften bekannte Verfasser wendet sich in diesem Büchlein namentlich an den Laien, und wie es scheint, findet er Anklang. Allgemeinverständliche Darstellungen der Nervenleiden, zumal der Geisteskrankheiten, sind in der That ein Bedürfnis. Es ist in Laienkreisen noch so wenig Verständnis sür diese Störungen vorhanden, und es herrschen so viel Vorurteile, daß jeder Versuch, aufklärend zu wirken, Anerkennung verdient.
Der Verfasser verbreitet sich über alle Arten nervöser Leiden, sowohl die rein körperlichen als die geistigen, und giebt überall nützliche Winke, doch verweilt er weder bei deu reinen Nervenleiden, noch bei den echten Geisteskrankheiten lange. Ausführlicher schildert er krankhafte Zustände, die auf der einen Seite an die geistige Gesundheit, auf der andern an die eigentliche Geistesstörung grenzen. Sie bilden ein besondres Forschungsgebiet des Verfassers und sind von ihm nnter dem Namen der pshchopathischeu Minderwertigkeiten bereits in einem größern Werke be-
Litteratur
schwungnen Körper des großen Philologen eine gewisse schlaffe Eleganz. Dazu passen die verlebten Züge des seelenlosen Gesichts recht gut. Genug: das Modell zu diesem Philippus denkt man sich am ehesten an den Knminsims eines Nacht- eafvs gelehnt.
Man kann von diesem Denkmal nicht scheiden ohne Bitterkeit. Zwei begabte Künstler sind an eine falsche Aufgabe geraten; Otto zumal, dem doch das Denkmal, auch so wie es jetzt dasteht, zumeist angehört, war groß nur als Erotiker. Da war er Sachkenner, da nahm er seine Aufgaben ernst. Sein Wilhelm von Humboldt dagegen sollte eigentlich Friedrich Hase heißen, und seine Vestalin — mit dieser Benennung und der entsprechenden Ausgestaltung der als Hetäre allerliebsten Figur begann das traurige Spiel, das uus jetzt um ein Lutherdeukmal gebracht hat, wie es uns — um ein Denkmal unsers alten Kaisers Wilhelm bringen wird. Und wer Weiß, welch ein theatralischer Bismarck uns droht? Einige unter den Preis¬ gekrönten Entwürfen lassen das schlimmste befürchten.
Wallet hier ein unentrinnbares historisches Gesetz? Soll unsre Kunst, wenigstens die monumentale, durchaus einem aufgeregten, unwahrhaftigen, also undeutschen Barock verfallen? Stunde das fest, so könnten wir schweigen; wir würden den Strom nicht hemmen; dämmten wir hier zurück, so bräche es dort übermächtig hervor. Aber so steht es wohl doch nicht: Berlin ist nicht Deutschland, und die öffentlichen, wenigstens die offiziellen und offiziösen Denkmäler sind nicht die Kunst. Freilich: nie wiederkehrende Gelegenheiten sind versäumt, große, herrliche Aufgaben verpfuscht; und das stimmt traurig.
Litteratur
Das Norvenleben des Menschen in guten und bösen Tagen. Eine Schrift zur Belehrung, zu Rat und Trost. Von or. I. L. A. Koch, Direktor der königlich württem¬ bergischen Staatsirrenanstalt Zwiefalten. Stereotypirte dritte Auslage. Ravensburg, Otto Maier, 1395
Der durch zahlreiche psychiatrische Schriften bekannte Verfasser wendet sich in diesem Büchlein namentlich an den Laien, und wie es scheint, findet er Anklang. Allgemeinverständliche Darstellungen der Nervenleiden, zumal der Geisteskrankheiten, sind in der That ein Bedürfnis. Es ist in Laienkreisen noch so wenig Verständnis sür diese Störungen vorhanden, und es herrschen so viel Vorurteile, daß jeder Versuch, aufklärend zu wirken, Anerkennung verdient.
Der Verfasser verbreitet sich über alle Arten nervöser Leiden, sowohl die rein körperlichen als die geistigen, und giebt überall nützliche Winke, doch verweilt er weder bei deu reinen Nervenleiden, noch bei den echten Geisteskrankheiten lange. Ausführlicher schildert er krankhafte Zustände, die auf der einen Seite an die geistige Gesundheit, auf der andern an die eigentliche Geistesstörung grenzen. Sie bilden ein besondres Forschungsgebiet des Verfassers und sind von ihm nnter dem Namen der pshchopathischeu Minderwertigkeiten bereits in einem größern Werke be-
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schwungnen Körper des großen Philologen eine gewisse schlaffe Eleganz. Dazu
passen die verlebten Züge des seelenlosen Gesichts recht gut. Genug: das Modell
zu diesem Philippus denkt man sich am ehesten an den Knminsims eines Nacht-
eafvs gelehnt.
Man kann von diesem Denkmal nicht scheiden ohne Bitterkeit. Zwei begabte
Künstler sind an eine falsche Aufgabe geraten; Otto zumal, dem doch das Denkmal,
auch so wie es jetzt dasteht, zumeist angehört, war groß nur als Erotiker. Da
war er Sachkenner, da nahm er seine Aufgaben ernst. Sein Wilhelm von Humboldt
dagegen sollte eigentlich Friedrich Hase heißen, und seine Vestalin — mit dieser
Benennung und der entsprechenden Ausgestaltung der als Hetäre allerliebsten Figur
begann das traurige Spiel, das uus jetzt um ein Lutherdeukmal gebracht hat, wie
es uns — um ein Denkmal unsers alten Kaisers Wilhelm bringen wird. Und
wer Weiß, welch ein theatralischer Bismarck uns droht? Einige unter den Preis¬
gekrönten Entwürfen lassen das schlimmste befürchten.
Wallet hier ein unentrinnbares historisches Gesetz? Soll unsre Kunst, wenigstens
die monumentale, durchaus einem aufgeregten, unwahrhaftigen, also undeutschen
Barock verfallen? Stunde das fest, so könnten wir schweigen; wir würden den
Strom nicht hemmen; dämmten wir hier zurück, so bräche es dort übermächtig
hervor. Aber so steht es wohl doch nicht: Berlin ist nicht Deutschland, und die
öffentlichen, wenigstens die offiziellen und offiziösen Denkmäler sind nicht die Kunst.
Freilich: nie wiederkehrende Gelegenheiten sind versäumt, große, herrliche Aufgaben
verpfuscht; und das stimmt traurig.
Litteratur
Das Norvenleben des Menschen in guten und bösen Tagen. Eine Schrift zur
Belehrung, zu Rat und Trost. Von or. I. L. A. Koch, Direktor der königlich württem¬
bergischen Staatsirrenanstalt Zwiefalten. Stereotypirte dritte Auslage. Ravensburg, Otto
Maier, 1395
Der durch zahlreiche psychiatrische Schriften bekannte Verfasser wendet sich in
diesem Büchlein namentlich an den Laien, und wie es scheint, findet er Anklang.
Allgemeinverständliche Darstellungen der Nervenleiden, zumal der Geisteskrankheiten,
sind in der That ein Bedürfnis. Es ist in Laienkreisen noch so wenig Verständnis
sür diese Störungen vorhanden, und es herrschen so viel Vorurteile, daß jeder
Versuch, aufklärend zu wirken, Anerkennung verdient.
Der Verfasser verbreitet sich über alle Arten nervöser Leiden, sowohl die rein
körperlichen als die geistigen, und giebt überall nützliche Winke, doch verweilt er
weder bei deu reinen Nervenleiden, noch bei den echten Geisteskrankheiten lange.
Ausführlicher schildert er krankhafte Zustände, die auf der einen Seite an die
geistige Gesundheit, auf der andern an die eigentliche Geistesstörung grenzen. Sie
bilden ein besondres Forschungsgebiet des Verfassers und sind von ihm nnter dem
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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220325/494>, abgerufen am 25.01.2025.
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