Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Litteratur nicht besucht werden. Ich kann jetzt genau beurteilen, worauf das viel größere Aber nicht bloß für die höhern Schulen, sondern vor allen Dingen auch für Platos Staat und die Idee der Sozialpädagogik von Dr. Paul Natorp, ordent¬ lichem Professor an der Universität Marburg. Berlin, Karl Heymann, 1895 Der Verfasser zeigt in dieser auf gründlicher Kenntnis Platos beruhenden Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will,. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig Litteratur nicht besucht werden. Ich kann jetzt genau beurteilen, worauf das viel größere Aber nicht bloß für die höhern Schulen, sondern vor allen Dingen auch für Platos Staat und die Idee der Sozialpädagogik von Dr. Paul Natorp, ordent¬ lichem Professor an der Universität Marburg. Berlin, Karl Heymann, 1895 Der Verfasser zeigt in dieser auf gründlicher Kenntnis Platos beruhenden Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will,. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0112" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220438"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441"> nicht besucht werden. Ich kann jetzt genau beurteilen, worauf das viel größere<lb/> Kunstinteresse der schwäbischen Studenten gegenüber den norddeutschen beruht: wo<lb/> immer ich nachkommen konnte, waren es die Kunstdenkmäler des Heimatstädtchens,<lb/> Gymnasiallehrer, die ein lebhaftes Interesse dafür gehabt hatten, und eine frei¬<lb/> willige Teilnahme am Zeichenunterricht in der Prima, wodurch der fruchtbare Keim<lb/> in die Herzen gelegt worden war. Gerade in Norddeutschland, wo die monumen¬<lb/> tale Überlieferung so viel spärlicher ist, sind deshalb die Seemannschcn Wandbilder<lb/> für jedes Gymnasium und jede Realschule unentbehrlich. Gerade sie bieten auch<lb/> die beste Grundlage für eine nebenbei zu betreibende Belehrung über Kunstgeschichte,<lb/> die, angeknüpft an den Geschichts-, Litteratur- oder Zeichenunterricht, die einzige<lb/> Form ist, in der sich die Kunstgeschichte auf den Gymnasien gegenwärtig Bürger¬<lb/> recht erwerben kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_443"> Aber nicht bloß für die höhern Schulen, sondern vor allen Dingen auch für<lb/> die Kunstschulen, Polytechniker und Universitäten ist die vorliegende Sammlung von<lb/> größtem Wert. Sie wird das Vorurteil zerstören, daß nur mit Hilfe des Skiopti-<lb/> tons ein vernünftiger Unterricht in der Kunstgeschichte möglich sei, und wird die<lb/> Benutzung des Skioptikous auf die Fälle beschränken, wo es am Platze ist, näm¬<lb/> lich bei öffentlichen Vorträgen vor einem gemischten Publikum, an denen Hunderte<lb/> von Zuhörern teilnehmen. Für die gewöhnlichen Bedürfnisse der Lehranstalten ge¬<lb/> nügen diese Blätter vollkommen, und ich kann nur den Wunsch aussprechen daß<lb/><note type="byline"> ,<lb/> U. x.</note> die Sammlung dementsprechend benutzt und erweitert werde. </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Platos Staat und die Idee der Sozialpädagogik von Dr. Paul Natorp, ordent¬<lb/> lichem Professor an der Universität Marburg. Berlin, Karl Heymann, 1895</head><lb/> <p xml:id="ID_444"> Der Verfasser zeigt in dieser auf gründlicher Kenntnis Platos beruhenden<lb/> Studie, daß der „Staat" durchaus keine Utopie ist. Anstatt den allgemeinen wirt¬<lb/> schaftlichen Kommunismus (den Kommunismus der Produktion) anzustreben, der in<lb/> den „Gesetzen" als Endziel hingestellt wird, läßt Plato im „Staate" die Wirt-<lb/> schaftsverfassnng, wie sie war, und fordert bloß vom herrschenden Stande, daß er<lb/> auf Souderinteressen verzichte. Statt eines überkühnen, die Bedingungen der Wirk¬<lb/> lichkeit überfliegenden Idealismus könne man Plato vielmehr zum Borwurf machen,<lb/> daß er, „noch gar nicht frei genug über die derzeitige Erfahrung hinaus," die<lb/> sittliche Erneuerung des ganzen Staates zu fordern nicht gewagt habe. Der re¬<lb/> gierenden Klasse aber, „dem Adel Athens, den Fürsten und Fürstenberatern von<lb/> Syrakus" werde im „Staate" nichts zugemutet, „was nicht Plato und seine gleich-<lb/> gesinnten Genossen gegebnen Falls leisten konnten, leisten würden; nichts andres<lb/> als genau das, wozu seine Akademie die genial organisirte Pflanzschule darstellte."<lb/> An die Pädagogische Idee Platos anknüpfend, fordert Natorp, daß sich auch bei<lb/> uns eine geistige Aristokratie bilde, die deu Keim eiuer neuen Gesellschaft in sich<lb/> trage und die Kraft beweise, mit ihren Ideen die Massen zu durchdringen. Das<lb/> sei wichtiger als eine neue Wirtschaftsordnung. „Die herrlichste Wirtschaftsordnung<lb/> würde, wenn sie heute vom Himmel herabfiele, morgen wieder dahin sein, wenn<lb/> nicht zuvor die Höhe der physisch-geistigen Bildung, und zwar für die Gesamtheit<lb/> der Arbeitenden errungen ist, die allein eine bessere Ordnung der Dinge herbei¬<lb/> zuführen und, wenn herbeigeführt, zu erhalten imstande ist."</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Will,. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0112]
Litteratur
nicht besucht werden. Ich kann jetzt genau beurteilen, worauf das viel größere
Kunstinteresse der schwäbischen Studenten gegenüber den norddeutschen beruht: wo
immer ich nachkommen konnte, waren es die Kunstdenkmäler des Heimatstädtchens,
Gymnasiallehrer, die ein lebhaftes Interesse dafür gehabt hatten, und eine frei¬
willige Teilnahme am Zeichenunterricht in der Prima, wodurch der fruchtbare Keim
in die Herzen gelegt worden war. Gerade in Norddeutschland, wo die monumen¬
tale Überlieferung so viel spärlicher ist, sind deshalb die Seemannschcn Wandbilder
für jedes Gymnasium und jede Realschule unentbehrlich. Gerade sie bieten auch
die beste Grundlage für eine nebenbei zu betreibende Belehrung über Kunstgeschichte,
die, angeknüpft an den Geschichts-, Litteratur- oder Zeichenunterricht, die einzige
Form ist, in der sich die Kunstgeschichte auf den Gymnasien gegenwärtig Bürger¬
recht erwerben kann.
Aber nicht bloß für die höhern Schulen, sondern vor allen Dingen auch für
die Kunstschulen, Polytechniker und Universitäten ist die vorliegende Sammlung von
größtem Wert. Sie wird das Vorurteil zerstören, daß nur mit Hilfe des Skiopti-
tons ein vernünftiger Unterricht in der Kunstgeschichte möglich sei, und wird die
Benutzung des Skioptikous auf die Fälle beschränken, wo es am Platze ist, näm¬
lich bei öffentlichen Vorträgen vor einem gemischten Publikum, an denen Hunderte
von Zuhörern teilnehmen. Für die gewöhnlichen Bedürfnisse der Lehranstalten ge¬
nügen diese Blätter vollkommen, und ich kann nur den Wunsch aussprechen daß
,
U. x. die Sammlung dementsprechend benutzt und erweitert werde.
Platos Staat und die Idee der Sozialpädagogik von Dr. Paul Natorp, ordent¬
lichem Professor an der Universität Marburg. Berlin, Karl Heymann, 1895
Der Verfasser zeigt in dieser auf gründlicher Kenntnis Platos beruhenden
Studie, daß der „Staat" durchaus keine Utopie ist. Anstatt den allgemeinen wirt¬
schaftlichen Kommunismus (den Kommunismus der Produktion) anzustreben, der in
den „Gesetzen" als Endziel hingestellt wird, läßt Plato im „Staate" die Wirt-
schaftsverfassnng, wie sie war, und fordert bloß vom herrschenden Stande, daß er
auf Souderinteressen verzichte. Statt eines überkühnen, die Bedingungen der Wirk¬
lichkeit überfliegenden Idealismus könne man Plato vielmehr zum Borwurf machen,
daß er, „noch gar nicht frei genug über die derzeitige Erfahrung hinaus," die
sittliche Erneuerung des ganzen Staates zu fordern nicht gewagt habe. Der re¬
gierenden Klasse aber, „dem Adel Athens, den Fürsten und Fürstenberatern von
Syrakus" werde im „Staate" nichts zugemutet, „was nicht Plato und seine gleich-
gesinnten Genossen gegebnen Falls leisten konnten, leisten würden; nichts andres
als genau das, wozu seine Akademie die genial organisirte Pflanzschule darstellte."
An die Pädagogische Idee Platos anknüpfend, fordert Natorp, daß sich auch bei
uns eine geistige Aristokratie bilde, die deu Keim eiuer neuen Gesellschaft in sich
trage und die Kraft beweise, mit ihren Ideen die Massen zu durchdringen. Das
sei wichtiger als eine neue Wirtschaftsordnung. „Die herrlichste Wirtschaftsordnung
würde, wenn sie heute vom Himmel herabfiele, morgen wieder dahin sein, wenn
nicht zuvor die Höhe der physisch-geistigen Bildung, und zwar für die Gesamtheit
der Arbeitenden errungen ist, die allein eine bessere Ordnung der Dinge herbei¬
zuführen und, wenn herbeigeführt, zu erhalten imstande ist."
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will,. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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