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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Vollkampf, nicht ^cheinkampf

n jedem Lager finden sich Leute, die an den Maßregeln ihrer
Führer etwas auszusetzen haben, denn was dem Hinz schon als
ein Wagnis erscheint, wird von Kunz schlaff gescholten. Daß
aber oft gerade die Freunde der Volldampftheorie mehr hemmen
als fördern, das klingt vielleicht widersinnig, aber richtig ist es
doch, und besonders in der Politik. So würde auch das Buch, das vor
kurzem unter dem Titel: "Vollkampf, nicht Scheinkampf" im Liebelschen Verlag
in Berlin erschienen ist, mehr hemmen als fördern, wenn es seinem Verfasser
gelänge, sich an maßgebender Stelle Gehör zu verschaffen. Der Generalleut¬
nant z. D. von Boguslawski hat als Schriftsteller einen Namen von gutem
Klang -- sein wackres Eintreten für die Heeresreform im Jahre 1893
steht bei vielen noch in guter Erinnerung --, und wenn es ein Mann
wie er für nötig halt, bei einer Frage, die die ganze Nation in Spannung
hält, in die Arena der Broschürenkämpfe hinabzusteigen, so verdient das unter
allen Umständen Beachtung. Wir wollen ihm deshalb auf seinen Gängen
ein wenig folgen, obwohl wir, um das gleich hier zu sagen, das Ziel, auf
das er hinaus will, als verfehlt betrachten.

Das Buch beginnt mit einem Gleichnis. Es war im achtzehnten Jahr¬
hundert, als einige verzopfte Ingenieure den Festungskrieg in ein besondres
Schema gebracht hatten. Sie berechneten nämlich die zur Ausführung des
regelmäßigen Angriffs gegen eine Festung in seineu einzelnen Stufen nötige
Zeit ganz genau, gaben darnach die Maßregeln an, die der Angreifer ergreifen
mußte, und kamen so zu dem Schluß, daß sich jede Festung nur so und so
viel Tage oder Wochen zu halten imstande sei. Bei diesem wundervollen
Schema, das sie die "Analyse des Festungskampfes" nannten, war nur eins
vergessen, der Widerstand, den ein thätiger Verteidiger leisten konnte. Man


Grenzboten II 1395 1


Vollkampf, nicht ^cheinkampf

n jedem Lager finden sich Leute, die an den Maßregeln ihrer
Führer etwas auszusetzen haben, denn was dem Hinz schon als
ein Wagnis erscheint, wird von Kunz schlaff gescholten. Daß
aber oft gerade die Freunde der Volldampftheorie mehr hemmen
als fördern, das klingt vielleicht widersinnig, aber richtig ist es
doch, und besonders in der Politik. So würde auch das Buch, das vor
kurzem unter dem Titel: „Vollkampf, nicht Scheinkampf" im Liebelschen Verlag
in Berlin erschienen ist, mehr hemmen als fördern, wenn es seinem Verfasser
gelänge, sich an maßgebender Stelle Gehör zu verschaffen. Der Generalleut¬
nant z. D. von Boguslawski hat als Schriftsteller einen Namen von gutem
Klang — sein wackres Eintreten für die Heeresreform im Jahre 1893
steht bei vielen noch in guter Erinnerung —, und wenn es ein Mann
wie er für nötig halt, bei einer Frage, die die ganze Nation in Spannung
hält, in die Arena der Broschürenkämpfe hinabzusteigen, so verdient das unter
allen Umständen Beachtung. Wir wollen ihm deshalb auf seinen Gängen
ein wenig folgen, obwohl wir, um das gleich hier zu sagen, das Ziel, auf
das er hinaus will, als verfehlt betrachten.

Das Buch beginnt mit einem Gleichnis. Es war im achtzehnten Jahr¬
hundert, als einige verzopfte Ingenieure den Festungskrieg in ein besondres
Schema gebracht hatten. Sie berechneten nämlich die zur Ausführung des
regelmäßigen Angriffs gegen eine Festung in seineu einzelnen Stufen nötige
Zeit ganz genau, gaben darnach die Maßregeln an, die der Angreifer ergreifen
mußte, und kamen so zu dem Schluß, daß sich jede Festung nur so und so
viel Tage oder Wochen zu halten imstande sei. Bei diesem wundervollen
Schema, das sie die „Analyse des Festungskampfes" nannten, war nur eins
vergessen, der Widerstand, den ein thätiger Verteidiger leisten konnte. Man


Grenzboten II 1395 1
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/9>, abgerufen am 21.12.2024.