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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sinn gebracht durch sie, die er gegen all die wohlberechtigten Angriffe in Schutz
nahm. Wann sollte sie ihm das alles vergelten können?

Du entschuldigst gewiß, sagte Hans, der neben ihr stehen geblieben war,
daß wir so mir nichts dir nichts ohne dich gefrühstückt haben. Aber Fritz
mußte weg. Er hat schon lange ein Auge auf die beiden Pferde drüben und
will sie sich nicht wegschnappen lassen. Mamselling hat aber auf dich ge¬
wartet, damit du nicht so mutterseelenallein da sitzen mußt. Ich rufe sie dir.

Aber Mamselling kam schon mit dem Kaffee, und Hans empfahl sich
eilig. Er war offenbar froh, hinauszukommen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Allmacht der Technik und die Ohnmacht der Politik.

Die
Feier an den holsteinischen Gestaden bedeutet einen neuen Triumph der Technik:
durch eines der staunenswertesten Werke, das Menschengeist und Menschenhände
geschaffen haben, in wenigen Jahren geschaffen haben, ist das Verkehrshindernis,
das sich in der Gestalt der dänischen Halbinsel zwischen Ost- und Nordsee ein¬
schiebt, beseitigt worden. Was ist unsrer Technik noch unmöglich? Nichts, was
das Menschenherz an körperlichen Leistungen wünschen kann, die Wünsche müßten
sich denn ins Phantastische verlieren. Keine Last ist ihr zu schwer, und kein
Hindernis, seis Fels oder Meer, vermag ihren Schritt aufzuhalten; alle Schätze
der praktisch unerschöpflichen Erde hebt sie mit spielender Leichtigkeit, giebt ihnen
im Nu tausend verschiedne Formen, in denen sie dem Menschen angenehm und
nützlich werden können, und befördert sie binden wenigen Stunden oder Tagen an
jeden beliebigen Ort der Erdoberfläche, wo man ihrer bedarf. Will sie aber der
Mensch zur Zerstörung verwenden, so leistet sie womöglich noch staunenswerteres;
hätte ein böser Dämon den Regierungen eingegeben, von der in Kiel versammelten
europäischen Kriegsflotte den Gebrauch zu machen, für den sie eigentlich bestimmt
ist, so konnten in wenigen Stunden viel tausend Menschen und eine Milliarde an
Wert in Gase und Trümmer aufgelöst werden. Die ohnehin kaum ausdenkbare
Stärke und Aktionsfähigkeit der Kriegsmacht des Deutschen Reichs hat der Kanal
vollendet.

Man sollte nun meinen, damit müßte das wunschlose goldne Zeitalter ange¬
brochen sein. Wie wenig das jedoch der Fall ist, sieht jedermann nur allzu klar.
Gerade an der Stelle versagt der Menschenwitz, wo er am nötigsten wäre, wo
es sich darum handelt, mit den Wundern, die er geschaffen hat, die Menschen
zu beglücken. Geht es ihm doch meistens mit seinen eignen staunenswerten
Leistungen wie den Philistern mit der Bundeslade: sie wußten nichts damit
anzufangen und hatten statt des Segens nur Plage davon. Während der Fort¬
schritt der Verkehrstechnik in glänzenden Festlichkeiten gefeiert wird, verwünschen
ihn Millionen in ihren Herzen, und streben die meisten Kulturvölker, wenigstens
ihre einflußreichsten Kreise, darnach, sich mit deu chinesischen Mauern unübersteig-


Grenzboten II 1895 79
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sinn gebracht durch sie, die er gegen all die wohlberechtigten Angriffe in Schutz
nahm. Wann sollte sie ihm das alles vergelten können?

Du entschuldigst gewiß, sagte Hans, der neben ihr stehen geblieben war,
daß wir so mir nichts dir nichts ohne dich gefrühstückt haben. Aber Fritz
mußte weg. Er hat schon lange ein Auge auf die beiden Pferde drüben und
will sie sich nicht wegschnappen lassen. Mamselling hat aber auf dich ge¬
wartet, damit du nicht so mutterseelenallein da sitzen mußt. Ich rufe sie dir.

Aber Mamselling kam schon mit dem Kaffee, und Hans empfahl sich
eilig. Er war offenbar froh, hinauszukommen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Allmacht der Technik und die Ohnmacht der Politik.

Die
Feier an den holsteinischen Gestaden bedeutet einen neuen Triumph der Technik:
durch eines der staunenswertesten Werke, das Menschengeist und Menschenhände
geschaffen haben, in wenigen Jahren geschaffen haben, ist das Verkehrshindernis,
das sich in der Gestalt der dänischen Halbinsel zwischen Ost- und Nordsee ein¬
schiebt, beseitigt worden. Was ist unsrer Technik noch unmöglich? Nichts, was
das Menschenherz an körperlichen Leistungen wünschen kann, die Wünsche müßten
sich denn ins Phantastische verlieren. Keine Last ist ihr zu schwer, und kein
Hindernis, seis Fels oder Meer, vermag ihren Schritt aufzuhalten; alle Schätze
der praktisch unerschöpflichen Erde hebt sie mit spielender Leichtigkeit, giebt ihnen
im Nu tausend verschiedne Formen, in denen sie dem Menschen angenehm und
nützlich werden können, und befördert sie binden wenigen Stunden oder Tagen an
jeden beliebigen Ort der Erdoberfläche, wo man ihrer bedarf. Will sie aber der
Mensch zur Zerstörung verwenden, so leistet sie womöglich noch staunenswerteres;
hätte ein böser Dämon den Regierungen eingegeben, von der in Kiel versammelten
europäischen Kriegsflotte den Gebrauch zu machen, für den sie eigentlich bestimmt
ist, so konnten in wenigen Stunden viel tausend Menschen und eine Milliarde an
Wert in Gase und Trümmer aufgelöst werden. Die ohnehin kaum ausdenkbare
Stärke und Aktionsfähigkeit der Kriegsmacht des Deutschen Reichs hat der Kanal
vollendet.

Man sollte nun meinen, damit müßte das wunschlose goldne Zeitalter ange¬
brochen sein. Wie wenig das jedoch der Fall ist, sieht jedermann nur allzu klar.
Gerade an der Stelle versagt der Menschenwitz, wo er am nötigsten wäre, wo
es sich darum handelt, mit den Wundern, die er geschaffen hat, die Menschen
zu beglücken. Geht es ihm doch meistens mit seinen eignen staunenswerten
Leistungen wie den Philistern mit der Bundeslade: sie wußten nichts damit
anzufangen und hatten statt des Segens nur Plage davon. Während der Fort¬
schritt der Verkehrstechnik in glänzenden Festlichkeiten gefeiert wird, verwünschen
ihn Millionen in ihren Herzen, und streben die meisten Kulturvölker, wenigstens
ihre einflußreichsten Kreise, darnach, sich mit deu chinesischen Mauern unübersteig-


Grenzboten II 1895 79
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[0633] Maßgebliches und Unmaßgebliches Sinn gebracht durch sie, die er gegen all die wohlberechtigten Angriffe in Schutz nahm. Wann sollte sie ihm das alles vergelten können? Du entschuldigst gewiß, sagte Hans, der neben ihr stehen geblieben war, daß wir so mir nichts dir nichts ohne dich gefrühstückt haben. Aber Fritz mußte weg. Er hat schon lange ein Auge auf die beiden Pferde drüben und will sie sich nicht wegschnappen lassen. Mamselling hat aber auf dich ge¬ wartet, damit du nicht so mutterseelenallein da sitzen mußt. Ich rufe sie dir. Aber Mamselling kam schon mit dem Kaffee, und Hans empfahl sich eilig. Er war offenbar froh, hinauszukommen. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Die Allmacht der Technik und die Ohnmacht der Politik. Die Feier an den holsteinischen Gestaden bedeutet einen neuen Triumph der Technik: durch eines der staunenswertesten Werke, das Menschengeist und Menschenhände geschaffen haben, in wenigen Jahren geschaffen haben, ist das Verkehrshindernis, das sich in der Gestalt der dänischen Halbinsel zwischen Ost- und Nordsee ein¬ schiebt, beseitigt worden. Was ist unsrer Technik noch unmöglich? Nichts, was das Menschenherz an körperlichen Leistungen wünschen kann, die Wünsche müßten sich denn ins Phantastische verlieren. Keine Last ist ihr zu schwer, und kein Hindernis, seis Fels oder Meer, vermag ihren Schritt aufzuhalten; alle Schätze der praktisch unerschöpflichen Erde hebt sie mit spielender Leichtigkeit, giebt ihnen im Nu tausend verschiedne Formen, in denen sie dem Menschen angenehm und nützlich werden können, und befördert sie binden wenigen Stunden oder Tagen an jeden beliebigen Ort der Erdoberfläche, wo man ihrer bedarf. Will sie aber der Mensch zur Zerstörung verwenden, so leistet sie womöglich noch staunenswerteres; hätte ein böser Dämon den Regierungen eingegeben, von der in Kiel versammelten europäischen Kriegsflotte den Gebrauch zu machen, für den sie eigentlich bestimmt ist, so konnten in wenigen Stunden viel tausend Menschen und eine Milliarde an Wert in Gase und Trümmer aufgelöst werden. Die ohnehin kaum ausdenkbare Stärke und Aktionsfähigkeit der Kriegsmacht des Deutschen Reichs hat der Kanal vollendet. Man sollte nun meinen, damit müßte das wunschlose goldne Zeitalter ange¬ brochen sein. Wie wenig das jedoch der Fall ist, sieht jedermann nur allzu klar. Gerade an der Stelle versagt der Menschenwitz, wo er am nötigsten wäre, wo es sich darum handelt, mit den Wundern, die er geschaffen hat, die Menschen zu beglücken. Geht es ihm doch meistens mit seinen eignen staunenswerten Leistungen wie den Philistern mit der Bundeslade: sie wußten nichts damit anzufangen und hatten statt des Segens nur Plage davon. Während der Fort¬ schritt der Verkehrstechnik in glänzenden Festlichkeiten gefeiert wird, verwünschen ihn Millionen in ihren Herzen, und streben die meisten Kulturvölker, wenigstens ihre einflußreichsten Kreise, darnach, sich mit deu chinesischen Mauern unübersteig- Grenzboten II 1895 79

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/633>, abgerufen am 21.12.2024.