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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Wirren und Wege

in der Arbeitsvergeudung, die viele kleine Gewerbtreibende zur
Bedienung ihrer zersplitterten und ineinandergeschobnen Kund¬
schaftsbereiche nötig haben, sowie um der Notlage der Landwirt¬
schaft zu begegnen, ist kürzlich in den Grenzboten der Vorschlag
gemacht worden, die Landwirte sollten sich zusammenthun, die
Bäckerei im großen betreiben und sich dadurch ein angemessenes Äquivalent
für ihre produktiven Dienste verschaffen; zugleich würde auf diesem Wege die
Vrotverteuerung vermieden werden, die eine unvermeidliche Folge hoher Ge¬
treidezölle oder gar eines Getreidehandelsmonopols sei.

Sehr schön; aber eins scheint der Erfinder dieser Idee übersehen zu haben,
nämlich: Wo bleiben dann die durch die Vereinfachung und Regelung von
Produktion und Warenvertrieb überflüssig gewordnen Arbeitskräfte? Denn daß
dann eine große Zahl Arbeitsloser neu entstehen würde, bedarf doch wohl
keines Beweises. Und eine Menge selbständiger, d. h. natürlich nur relativ
selbständiger kleiner Leute würde den Zwang, in einen Großbetrieb einzutreten,
auch nicht mit Gleichmut ertragen. Außerdem würden auch die Großbetriebe
der Bäckerei nicht alle dieselbe Qualität von Ware liefern. Die Konkurrenz
würde also selbst unter diesen Umstünden wieder zersplitterte Kundschaftskreise
erzeugen. Es ist eben in volkswirtschaftlichen Zusanunenhängen leichter, das
Unsinnige und Anarchische nachzuweisen, als ein Heilmittel zu finden, das
acht seinerseits wieder neue Übel zur Folge hat. Das Unzulängliche der
erwähnten volkswirtschaftlichen Ratschläge läßt sich vielleicht noch besser da
nachweisen, wo die gleichen Übelstände in größerm Maße erkennbar find.
Welche Arbeits- und Zeitvergeudung leisten sich die großen Geschäfte, die ihren
Kundenkreis in allen Städten Deutschlands aufsuchen! Demgegenüber hat
man freilich den Wunsch, es mochten sich aus der heutigen zerfahrnen


Grenzboten II 189S 5V


Wirren und Wege

in der Arbeitsvergeudung, die viele kleine Gewerbtreibende zur
Bedienung ihrer zersplitterten und ineinandergeschobnen Kund¬
schaftsbereiche nötig haben, sowie um der Notlage der Landwirt¬
schaft zu begegnen, ist kürzlich in den Grenzboten der Vorschlag
gemacht worden, die Landwirte sollten sich zusammenthun, die
Bäckerei im großen betreiben und sich dadurch ein angemessenes Äquivalent
für ihre produktiven Dienste verschaffen; zugleich würde auf diesem Wege die
Vrotverteuerung vermieden werden, die eine unvermeidliche Folge hoher Ge¬
treidezölle oder gar eines Getreidehandelsmonopols sei.

Sehr schön; aber eins scheint der Erfinder dieser Idee übersehen zu haben,
nämlich: Wo bleiben dann die durch die Vereinfachung und Regelung von
Produktion und Warenvertrieb überflüssig gewordnen Arbeitskräfte? Denn daß
dann eine große Zahl Arbeitsloser neu entstehen würde, bedarf doch wohl
keines Beweises. Und eine Menge selbständiger, d. h. natürlich nur relativ
selbständiger kleiner Leute würde den Zwang, in einen Großbetrieb einzutreten,
auch nicht mit Gleichmut ertragen. Außerdem würden auch die Großbetriebe
der Bäckerei nicht alle dieselbe Qualität von Ware liefern. Die Konkurrenz
würde also selbst unter diesen Umstünden wieder zersplitterte Kundschaftskreise
erzeugen. Es ist eben in volkswirtschaftlichen Zusanunenhängen leichter, das
Unsinnige und Anarchische nachzuweisen, als ein Heilmittel zu finden, das
acht seinerseits wieder neue Übel zur Folge hat. Das Unzulängliche der
erwähnten volkswirtschaftlichen Ratschläge läßt sich vielleicht noch besser da
nachweisen, wo die gleichen Übelstände in größerm Maße erkennbar find.
Welche Arbeits- und Zeitvergeudung leisten sich die großen Geschäfte, die ihren
Kundenkreis in allen Städten Deutschlands aufsuchen! Demgegenüber hat
man freilich den Wunsch, es mochten sich aus der heutigen zerfahrnen


Grenzboten II 189S 5V
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[0401] [Abbildung] Wirren und Wege in der Arbeitsvergeudung, die viele kleine Gewerbtreibende zur Bedienung ihrer zersplitterten und ineinandergeschobnen Kund¬ schaftsbereiche nötig haben, sowie um der Notlage der Landwirt¬ schaft zu begegnen, ist kürzlich in den Grenzboten der Vorschlag gemacht worden, die Landwirte sollten sich zusammenthun, die Bäckerei im großen betreiben und sich dadurch ein angemessenes Äquivalent für ihre produktiven Dienste verschaffen; zugleich würde auf diesem Wege die Vrotverteuerung vermieden werden, die eine unvermeidliche Folge hoher Ge¬ treidezölle oder gar eines Getreidehandelsmonopols sei. Sehr schön; aber eins scheint der Erfinder dieser Idee übersehen zu haben, nämlich: Wo bleiben dann die durch die Vereinfachung und Regelung von Produktion und Warenvertrieb überflüssig gewordnen Arbeitskräfte? Denn daß dann eine große Zahl Arbeitsloser neu entstehen würde, bedarf doch wohl keines Beweises. Und eine Menge selbständiger, d. h. natürlich nur relativ selbständiger kleiner Leute würde den Zwang, in einen Großbetrieb einzutreten, auch nicht mit Gleichmut ertragen. Außerdem würden auch die Großbetriebe der Bäckerei nicht alle dieselbe Qualität von Ware liefern. Die Konkurrenz würde also selbst unter diesen Umstünden wieder zersplitterte Kundschaftskreise erzeugen. Es ist eben in volkswirtschaftlichen Zusanunenhängen leichter, das Unsinnige und Anarchische nachzuweisen, als ein Heilmittel zu finden, das acht seinerseits wieder neue Übel zur Folge hat. Das Unzulängliche der erwähnten volkswirtschaftlichen Ratschläge läßt sich vielleicht noch besser da nachweisen, wo die gleichen Übelstände in größerm Maße erkennbar find. Welche Arbeits- und Zeitvergeudung leisten sich die großen Geschäfte, die ihren Kundenkreis in allen Städten Deutschlands aufsuchen! Demgegenüber hat man freilich den Wunsch, es mochten sich aus der heutigen zerfahrnen Grenzboten II 189S 5V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/401>, abgerufen am 24.08.2024.