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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

ist der "nackte Egoismus." "Jeder Friede setzt an die Stelle des bisherigen
Kampfes der Gewalt das Recht. Das Recht löst die Gewalt ab, die ihrer
selbst wegen der Ruhe begehrt und aus weitere Vorteile verzichtet, die in keinem
Verhältnis zu den aufzuwendenden Mitteln stehen." Wie es auch immer sei:
ob Egoismus oder Moralität herrsche, die Entwicklung führt mit Notwendig¬
keit zur Schaffung einer Rechtsordnung, "die Gewalt über mir hat." Wer
an Anarchie als einen dauernden Zustand glaubt, träumt von einem Utopien,
das noch nie ein Mensch gesehen hat und nie einer sehen wird.


Louis Sell


Die transatlantischen Schnelldampfer
und der Reichstag
(Schluß)

uß das Schiff unterwegs verlassen werden, so dienen seine
Boote als Zuflucht. Sie sind mit einem Fäßchen Trinkwasser,
einer Kiste Proviant und den nötigsten nautischen Gegen¬
stünden: Riemen zum Pulten (Rudern), Segel, Putzen (Schöpf¬
gefäße), Kompaß, Anker und Kappbeil ausgerüstet; ferner ist
ein Fäßchen Öl zur Beruhigung der Wellen vorhanden. Die Boote sollen
stets gebrauchsfähig sein, und ihre Taljen (Flaschenzüge) "klarlaufen." Bei
der Gerichtsverhandlung, die im Jahre 1876 in Hnrwich über die Strandung
des Lloyddampfers Deutschland stattfand, wurde die schwierige Flottmachuug
der Boote gerügt; und nun soll es mit der Elbe ähnlich gewesen sein, weil
Winden und Taue mit Farbe verschmiert gewesen wären. (Bezüglich der
zu den kleinen Rettungsmitteln gehörenden Bojen stellte die Seeberufsge¬
nossenschaft öfter fest, daß sie durch zu dicken Anstrich wertlos geworden
waren.) Die Rettungsboote sind meist aus verzinktem Stahlblech hergestellt.
Sie vereinigen Leichtigkeit mit bedeutender Tragfähigkeit; die großen fassen
60 bis 80 Personen. Gegen das Untersinken sind sie durch Luftkasten, sowie
durch einen um den äußern Rand gelegten Korkring geschützt. Ist die Auf¬
hängevorrichtung stark genug, so darf man es wagen, die Boote schon an Deck
M besetzen oder doch wenigstens die Schwachen und die Kinder vorweg hinein
zu schicken. Die übrigen Personen müssen sich, da die Treppe schon bei ge¬
ringem Seegang unbenützbar ist, an Tauen hinablassen, die am Schiffsgeländer
oder sonstwo befestigt werden, oder ins Wasser springen, um in die Boote


Grenzboten II I8S5 27
Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag

ist der „nackte Egoismus." „Jeder Friede setzt an die Stelle des bisherigen
Kampfes der Gewalt das Recht. Das Recht löst die Gewalt ab, die ihrer
selbst wegen der Ruhe begehrt und aus weitere Vorteile verzichtet, die in keinem
Verhältnis zu den aufzuwendenden Mitteln stehen." Wie es auch immer sei:
ob Egoismus oder Moralität herrsche, die Entwicklung führt mit Notwendig¬
keit zur Schaffung einer Rechtsordnung, „die Gewalt über mir hat." Wer
an Anarchie als einen dauernden Zustand glaubt, träumt von einem Utopien,
das noch nie ein Mensch gesehen hat und nie einer sehen wird.


Louis Sell


Die transatlantischen Schnelldampfer
und der Reichstag
(Schluß)

uß das Schiff unterwegs verlassen werden, so dienen seine
Boote als Zuflucht. Sie sind mit einem Fäßchen Trinkwasser,
einer Kiste Proviant und den nötigsten nautischen Gegen¬
stünden: Riemen zum Pulten (Rudern), Segel, Putzen (Schöpf¬
gefäße), Kompaß, Anker und Kappbeil ausgerüstet; ferner ist
ein Fäßchen Öl zur Beruhigung der Wellen vorhanden. Die Boote sollen
stets gebrauchsfähig sein, und ihre Taljen (Flaschenzüge) „klarlaufen." Bei
der Gerichtsverhandlung, die im Jahre 1876 in Hnrwich über die Strandung
des Lloyddampfers Deutschland stattfand, wurde die schwierige Flottmachuug
der Boote gerügt; und nun soll es mit der Elbe ähnlich gewesen sein, weil
Winden und Taue mit Farbe verschmiert gewesen wären. (Bezüglich der
zu den kleinen Rettungsmitteln gehörenden Bojen stellte die Seeberufsge¬
nossenschaft öfter fest, daß sie durch zu dicken Anstrich wertlos geworden
waren.) Die Rettungsboote sind meist aus verzinktem Stahlblech hergestellt.
Sie vereinigen Leichtigkeit mit bedeutender Tragfähigkeit; die großen fassen
60 bis 80 Personen. Gegen das Untersinken sind sie durch Luftkasten, sowie
durch einen um den äußern Rand gelegten Korkring geschützt. Ist die Auf¬
hängevorrichtung stark genug, so darf man es wagen, die Boote schon an Deck
M besetzen oder doch wenigstens die Schwachen und die Kinder vorweg hinein
zu schicken. Die übrigen Personen müssen sich, da die Treppe schon bei ge¬
ringem Seegang unbenützbar ist, an Tauen hinablassen, die am Schiffsgeländer
oder sonstwo befestigt werden, oder ins Wasser springen, um in die Boote


Grenzboten II I8S5 27
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[0217] Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag ist der „nackte Egoismus." „Jeder Friede setzt an die Stelle des bisherigen Kampfes der Gewalt das Recht. Das Recht löst die Gewalt ab, die ihrer selbst wegen der Ruhe begehrt und aus weitere Vorteile verzichtet, die in keinem Verhältnis zu den aufzuwendenden Mitteln stehen." Wie es auch immer sei: ob Egoismus oder Moralität herrsche, die Entwicklung führt mit Notwendig¬ keit zur Schaffung einer Rechtsordnung, „die Gewalt über mir hat." Wer an Anarchie als einen dauernden Zustand glaubt, träumt von einem Utopien, das noch nie ein Mensch gesehen hat und nie einer sehen wird. Louis Sell Die transatlantischen Schnelldampfer und der Reichstag (Schluß) uß das Schiff unterwegs verlassen werden, so dienen seine Boote als Zuflucht. Sie sind mit einem Fäßchen Trinkwasser, einer Kiste Proviant und den nötigsten nautischen Gegen¬ stünden: Riemen zum Pulten (Rudern), Segel, Putzen (Schöpf¬ gefäße), Kompaß, Anker und Kappbeil ausgerüstet; ferner ist ein Fäßchen Öl zur Beruhigung der Wellen vorhanden. Die Boote sollen stets gebrauchsfähig sein, und ihre Taljen (Flaschenzüge) „klarlaufen." Bei der Gerichtsverhandlung, die im Jahre 1876 in Hnrwich über die Strandung des Lloyddampfers Deutschland stattfand, wurde die schwierige Flottmachuug der Boote gerügt; und nun soll es mit der Elbe ähnlich gewesen sein, weil Winden und Taue mit Farbe verschmiert gewesen wären. (Bezüglich der zu den kleinen Rettungsmitteln gehörenden Bojen stellte die Seeberufsge¬ nossenschaft öfter fest, daß sie durch zu dicken Anstrich wertlos geworden waren.) Die Rettungsboote sind meist aus verzinktem Stahlblech hergestellt. Sie vereinigen Leichtigkeit mit bedeutender Tragfähigkeit; die großen fassen 60 bis 80 Personen. Gegen das Untersinken sind sie durch Luftkasten, sowie durch einen um den äußern Rand gelegten Korkring geschützt. Ist die Auf¬ hängevorrichtung stark genug, so darf man es wagen, die Boote schon an Deck M besetzen oder doch wenigstens die Schwachen und die Kinder vorweg hinein zu schicken. Die übrigen Personen müssen sich, da die Treppe schon bei ge¬ ringem Seegang unbenützbar ist, an Tauen hinablassen, die am Schiffsgeländer oder sonstwo befestigt werden, oder ins Wasser springen, um in die Boote Grenzboten II I8S5 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/217>, abgerufen am 24.08.2024.