Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Erstes Vierteljahr.Wandlungen des Ich im Zeitenstrome 6. Das Alumnat as Priesterseminar wird in Vreslau Alumnat genannt. Die An¬ Die drei Vorsteher sind zugleich Lehrer. Der erste, der Pater Rektor Wandlungen des Ich im Zeitenstrome 6. Das Alumnat as Priesterseminar wird in Vreslau Alumnat genannt. Die An¬ Die drei Vorsteher sind zugleich Lehrer. Der erste, der Pater Rektor <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0641" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219645"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_219001/figures/grenzboten_341861_219001_219645_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Wandlungen des Ich im Zeitenstrome<lb/> 6. Das Alumnat </head><lb/> <p xml:id="ID_1986"> as Priesterseminar wird in Vreslau Alumnat genannt. Die An¬<lb/> stalt besitzt so viel Vermögen, daß sie den Zöglingen teils halbe,<lb/> teils ganze Freistellen gewahren kann. Der Rektor pflegt den<lb/> Alumnen einige Zeit nach dem Eintritt zu sagen, da sie ein¬<lb/> ander ohne Zweifel besser kennten, als er sie kenne, so möchten<lb/> sie selbst unter einander bestimmen, wer die ganzen Freistellen bekommen sollte;<lb/> auch mir wurde von meinen Kameraden eine zugesprochen. Der Kursus dauert<lb/> von Anfang Oktober bis Ende Juni.</p><lb/> <p xml:id="ID_1987" next="#ID_1988"> Die drei Vorsteher sind zugleich Lehrer. Der erste, der Pater Rektor<lb/> titulirt wird, war damals der Kanonikus Sauer. Unter allen frommen Men¬<lb/> schen, die ich kennen gelernt habe, ist er der einzige, den ich heilig zu nennen<lb/> wagen möchte: eine hohe, hagere Gestalt, ein durchgeistigtes Gesicht, eine Per¬<lb/> sönlichkeit, die man für unfähig hält, ein eignes irdisches Interesse zu ver¬<lb/> folgen und etwas andres als Gottes Willen und das Heil der Seelen zu wollen,<lb/> heiliger Eifer und überquellende Liebe, ein edler Anstand im Benehmen, ohne<lb/> eine Spur von jenen Lächerlichkeiten und Abgeschmacktheiten, zu denen die<lb/> Frömmigkeit einfältige und plumpe Geister verleitet — so war der Manu. Er<lb/> trug Pastoraltheologie vor, und jedes Wort von ihm ergriff wie eine Offen¬<lb/> barung. Er kannte die Welt zu gut, als daß er uns Hoffnung auf große<lb/> Erfolge hätte machen sollen, aber drei Klassen von Menschen, sagte er, werden<lb/> Ihnen bleiben: die Armen, die Kranken und die Kinder. Das trifft heute<lb/> höchstens noch zu einem Drittel zu, da die Armen teils der Sozialdemokratie,<lb/> teils dem Büttel, die Kinder aber dem Staate gehören. Dagegen wird ein<lb/> andres Wort von ihm bis ans Ende der Tage Geltung behalten: mag ein<lb/> Mensch noch so verdorben sein, so lange er noch einen einzigen andern Men¬<lb/> schen liebt, ist er nicht verloren. Sauer unterrichtete auch im Ritus und in<lb/> der pfarramtlichen Geschäftsführung. Seine Richtung nach oben hinderte ihn<lb/> nicht, sehr praktisch zu sein und eine vortreffliche Anleitung zur Verwaltung<lb/> des Pfarramts zu schreiben. Die Verwaltung des Kirchenvermögens und die<lb/> Schulaufsicht waren von Friedrich dem Großen so vortrefflich geordnet, und<lb/> die Bestimmungen des Staates waren mit den Diözesaneinrichtungen zu einem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0641]
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Wandlungen des Ich im Zeitenstrome
6. Das Alumnat
as Priesterseminar wird in Vreslau Alumnat genannt. Die An¬
stalt besitzt so viel Vermögen, daß sie den Zöglingen teils halbe,
teils ganze Freistellen gewahren kann. Der Rektor pflegt den
Alumnen einige Zeit nach dem Eintritt zu sagen, da sie ein¬
ander ohne Zweifel besser kennten, als er sie kenne, so möchten
sie selbst unter einander bestimmen, wer die ganzen Freistellen bekommen sollte;
auch mir wurde von meinen Kameraden eine zugesprochen. Der Kursus dauert
von Anfang Oktober bis Ende Juni.
Die drei Vorsteher sind zugleich Lehrer. Der erste, der Pater Rektor
titulirt wird, war damals der Kanonikus Sauer. Unter allen frommen Men¬
schen, die ich kennen gelernt habe, ist er der einzige, den ich heilig zu nennen
wagen möchte: eine hohe, hagere Gestalt, ein durchgeistigtes Gesicht, eine Per¬
sönlichkeit, die man für unfähig hält, ein eignes irdisches Interesse zu ver¬
folgen und etwas andres als Gottes Willen und das Heil der Seelen zu wollen,
heiliger Eifer und überquellende Liebe, ein edler Anstand im Benehmen, ohne
eine Spur von jenen Lächerlichkeiten und Abgeschmacktheiten, zu denen die
Frömmigkeit einfältige und plumpe Geister verleitet — so war der Manu. Er
trug Pastoraltheologie vor, und jedes Wort von ihm ergriff wie eine Offen¬
barung. Er kannte die Welt zu gut, als daß er uns Hoffnung auf große
Erfolge hätte machen sollen, aber drei Klassen von Menschen, sagte er, werden
Ihnen bleiben: die Armen, die Kranken und die Kinder. Das trifft heute
höchstens noch zu einem Drittel zu, da die Armen teils der Sozialdemokratie,
teils dem Büttel, die Kinder aber dem Staate gehören. Dagegen wird ein
andres Wort von ihm bis ans Ende der Tage Geltung behalten: mag ein
Mensch noch so verdorben sein, so lange er noch einen einzigen andern Men¬
schen liebt, ist er nicht verloren. Sauer unterrichtete auch im Ritus und in
der pfarramtlichen Geschäftsführung. Seine Richtung nach oben hinderte ihn
nicht, sehr praktisch zu sein und eine vortreffliche Anleitung zur Verwaltung
des Pfarramts zu schreiben. Die Verwaltung des Kirchenvermögens und die
Schulaufsicht waren von Friedrich dem Großen so vortrefflich geordnet, und
die Bestimmungen des Staates waren mit den Diözesaneinrichtungen zu einem
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